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Kein blasser Schatten des Führers

Eva Braun galt in der Hitlerforschung bislang lediglich als Blondchen vom Berghof. Ein Bild, mit dem sich die Historikerin Heike B. Görtemaker nicht zufriedengeben wollte. Nach akribischem Quellenstudium hat sie ihre Eva Braun-Biografie vorgelegt.

Von Volker Ullrich | 22.02.2010
    In der Nacht vom 28. auf den 29. April 1945, als das Regierungsviertel in der Berliner Wilhelmstraße bereits im Dauerhagel russischer Granaten lag, fand im "Führerbunker" unter dem Garten der Alten Reichskanzlei eine gespenstische Zeremonie statt. Adolf Hitler heiratete seine 23 Jahre jüngere Geliebte Eva Braun. Vierzig Stunden später, am Nachmittag des 30. April, nahm sich das frisch getraute Paar das Leben. Ihre Leichen wurden in den Garten der Reichskanzlei geschafft, mit Benzin übergossen und angezündet.

    In der wissenschaftlichen Literatur über Hitler hat die Frau, die durch den gemeinsamen Selbstmord ihren Namen untrennbar mit dem seinen verband, nur wenig Aufmerksamkeit gefunden. Das überrascht nicht, denn alle großen Biografen, von Alan Bullock über Joachim Fest bis Ian Kershaw, gingen im Grunde davon aus, dass der Diktator entweder zu persönlichen Bindungen unfähig gewesen sei, oder dass er, ganz mit seiner Führerrolle identisch, überhaupt kein Privatleben besessen habe. Vor diesem Hintergrund konnte seiner langjährigen Gefährtin nur eine schattenhafte Existenz, bestenfalls die Rolle einer historisch bedeutungslosen Randfigur zugebilligt werden. Die Berliner Historikerin Heike Görtemaker hat sich nun vorgenommen, dieses Bild zu korrigieren. Ihr Buch über Eva Braun ist die erste seriöse Biografie der Frau an Hitlers Seite. In der Einleitung beschreibt die Autorin ihre Absicht so:

    Es geht nicht darum, "Verständnis" für die private Seite eines Diktators zu zeigen, der als Luzifer in Person zu einem zweifelhaften Faszinosum geworden ist. Vielmehr bietet eine ernsthafte, quellenkritische Beschäftigung mit Eva Braun, die bislang von keinem Autor geleistet wurde, die Möglichkeit, eine neue Perspektive auf Hitler zu gewinnen, die auch zu dessen Entdämonisierung beitragen könnte.

    Freilich stand die Autorin vor einem schwer zu überwindenden Hindernis. Noch vor seinem Selbstmord ließ Hitler alle privaten Dokumente in den Tresoren seiner Domizile in München und auf dem Obersalzberg vernichten, darunter vermutlich auch seine Korrespondenz mit Eva Braun. Um Aufschluss über die Beziehung zwischen Hitler und seiner Lebensgefährtin zu erlangen, war Heike Görtemaker also auf andere Quellen angewiesen, auf gelegentliche Briefe Eva Brauns an Freundinnen und Bekannte, vor allem aber auf die Aussagen und Erinnerungen von Mitgliedern der engeren Umgebung Hitlers. Es ist ein besonderer Vorzug dieser Biografie, dass kein Zeugnis ungeprüft übernommen, vielmehr jedes sorgfältig auf seinen Wahrheitsgehalt abgeklopft wird. Die Hohe Schule historischer Quellenkritik – sie wird hier auf mustergültige Weise vorgeführt. Und dennoch: Auch Görtemakers akribische Recherche kann nicht alle Fragen beantworten.

    Das gilt schon für den Anfang der Beziehung. Vermutlich – sicher ist das nicht – begegnete Hitler Eva Braun, Tochter eines Münchner Berufsschullehrers, zum ersten Mal im Oktober 1929 im Atelier seines "Leibfotografen" Heinrich Hoffmann – also zu einem Zeitpunkt, als die NSDAP kurz vor ihrem Durchbruch zur entscheidenden politischen Kraft am Ende der Weimarer Republik stand. Der bereits 40-jährige Junggeselle fand offenbar Gefallen an der erst 17-jährigen hübschen Fotolaborantin und machte ihr, wie Hoffmanns Tochter Henriette, die spätere Frau des "Reichsjugendführers" Baldur von Schirach, berichtet, reichlich Komplimente:

    "Darf ich Sie in die Oper einladen, Fräulein Eva? Sehen Sie, ich bin immer von Männern umgeben, da weiß ich das Glück zu schätzen, mit einer Frau zusammen zu sein."

    Wann wurde aus dem Flirt eine intime Beziehung? Heike Görtemaker vertraut hier den Beobachtungen von Hitlers Haushälterin in dessen Münchner Wohnung in der Prinzregentenstraße, die nach dem Krieg ausgesagt hat, dass Eva Braun zu Beginn des Jahres 1932 die Geliebte Hitlers geworden sei.

    Allerdings musste sie sich den Platz an der Seite des NS-Führers, der auch nach der Machtübernahme 1933 zunächst seinen bohèmehaften Lebensstil beibehielt, hart erkämpfen. 1936 war sie endlich am Ziel: Sie bezog eine von Hoffmann im Auftrag Hitlers gekaufte kleine Villa im noblen Münchner Stadtteil Bogenhausen, und sie gehörte nun zur ständigen Begleitung des Diktators in seinem zum "Berghof" ausgebauten Refugium auf dem Obersalzberg.

    Damit war die Position der jungen Frau im Gefüge des inneren Zirkels praktisch unangreifbar geworden, hebt die Autorin hervor. Wer die Nähe und Gunst Hitlers suchte, musste sich fortan mit seiner Geliebten gut stellen. Wer es, wie Hitlers Halbschwester Angela Raubal, wagte, Eva Braun zu kritisieren, der wurde mit der Verbannung vom "Berghof" bestraft.

    Bewusst hat Heike Görtemaker darauf verzichtet, Schlüssellochfantasien zu reizen. Was sich womöglich im Schlafzimmer Hitlers, das neben den Gemächern Eva Brauns im zweiten Stock des "Berghofs" lag, zugetragen hat, darüber verliert sie kein Wort. Aber sie geht davon aus, dass die beiden ein normales, eheähnliches Liebesleben führten. Nach außen freilich musste die Beziehung geheim gehalten werden. Denn Hitler fürchtete, dass ein Bekanntwerden seinem Nimbus als "Führer", der sein Privatleben dem Dienst an der Nation opferte, abträglich sein könne. Auch im vertrauten Kreis äußerte er immer wieder:

    "Ich habe eine andere Braut: Deutschland! Ich bin verheiratet mit dem deutschen Volk, mit seinem Schicksal! Nein, ich kann nicht heiraten, ich darf es nicht."
    Deshalb durfte Eva Braun öffentlich nicht in Erscheinung treten. Beim Eintreffen offizieller Besucher oder ausländischer Gäste auf dem "Berghof" blieb sie unsichtbar. Und wenn sie Hitler auf Staatsbesuchen begleitete, reiste sie stets abseits des offiziellen Gefolges. Zwar gab es manches Getuschel in Kreisen der Partei und des Diplomatischen Korps in Berlin; doch die deutsche Öffentlichkeit erfuhr erst nach Kriegsende von der Existenz der Hitler-Geliebten.

    Aus vielen Bruchstücken setzt Heike Görtemaker das Porträt der Eva Braun zusammen, die so gar nicht dem nationalsozialistischen Idealbild einer deutschen Frau entsprach. Sie rauchte, schminkte sich, trug teure Kleider, fotografierte und filmte gern, trieb exzessiv Sport und feierte, sobald Hitler den "Berghof" verlassen hatte, Champagnerpartys. Vor allem aber war sie nicht das politisch unbedarfte Blondchen, als das sie immer wieder dargestellt worden ist.

    Heike Görtemaker korrigiert das von Albert Speer in seinen "Erinnerungen" gezeichnete Bild der "Berghof"-Gesellschaft, in der angeblich in Anwesenheit von Frauen über Politik nicht gesprochen werden durfte. Nicht nur die Männer, auch die Frauen im inneren Zirkel, allen voran Eva Braun, identifizierten sich vorbehaltlos mit dem rassenantisemitischen Programm Hitlers und seiner aggressiven Eroberungs- und "Lebensraum"-Politik.

    Da der Diktator sich der Loyalität seiner Entourage sicher sein konnte, musste er sich in seinen politischen Äußerungen auch keine Zurückhaltung auferlegen. Allerdings: Über die Ermordung der Juden durfte auch im engsten Kreis niemals offen gesprochen werden. Wieweit Eva Braun davon wusste, bleibt ungeklärt. Niemals aber lässt die Autorin vergessen, vor welchem mörderischen Hintergrund sich die vermeintliche Idylle auf dem Obersalzberg abspielte.

    Im Zweiten Weltkrieg nahm, wie die Autorin nachweist, Eva Brauns Bedeutung für Hitler noch zu. Während sich nach der Niederlage von Stalingrad auch auf dem "Berghof" Untergangsstimmungen breitmachten und die ersten Paladine sich von Hitler abzuwenden begannen, blieb sie scheinbar unbeeindruckt. Propagandaminister Joseph Goebbels notierte im August 1943:

    Der Führer hebt demgegenüber auf das Lobendste die ruhige, kluge und sachliche Art von Eva Braun hervor.

    Der misstrauische Diktator, der sich zumal nach dem 20. Juli 1944 von "Verrätern" umzingelt wähnte, wusste die bedingungslose Treue seiner Lebensgefährtin zu schätzen. Der gemeinsame Selbstmord entsprang keiner spontanen Entscheidung, sondern war von Eva Braun bereits Monate zuvor beschlossen worden.

    Heike Görtemakers Biografie ist ein wichtiger Beitrag zur Hitlerforschung. Sie bietet nicht nur eine neue Sicht auf Eva Braun, sondern öffnet tiefe Einblicke in die vom Führerkult verborgen gehaltene private Existenz des Diktators. Mehr noch: sie zeigt, dass sein Privatleben nicht von seinem politischen Leben zu trennen ist, beides vielmehr im Zusammenhang gesehen werden muss. Der Jahrhundertverbrecher war, was man lange nicht hat wahrhaben wollen oder können, auch ein Mann mit ganz normalen menschlichen Bedürfnissen und Empfindungen. Das macht die Lektüre des Buches so verstörend und aufschlussreich zugleich.

    Volker Ullrich war das über Heike B. Görtemakers Buch: Eva Braun – Leben mit Hitler. Es kommt aus dem Beck-Verlag, hat 366 Seiten und kostet 24,95 Euro (ISBN 978-3-406-58514-2).