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Kein Deutsch für Anfänger

Die Bundesregierung will nachziehende Ehepartner, die aus dem Ausland nach Deutschland kommen, zu deutschen Sprachkenntnissen verpflichten - und zwar bevor sie in Deutschland eintreffen. Pro Jahr werden rund 15.000 Anträge auf Familiennachzug aus der Türkei bewilligt. Doch bezahlbare Deutschkurse in der Türkei sind rar. Susanne Güsten berichtet.

    Deutschunterricht am Goethe-Institut in Istanbul: Die Schüler eines Fortgeschrittenen-Kurses üben sich in der Kunst der Konversation. Nach Deutschland wollen sie deshalb aber nicht unbedingt. Der angehende Bauingenieur Göktur etwa zieht demnächst zum Aufbaustudium nach Amerika. Im Sprachkurs sitzt er aus einem anderen Grund:

    "Ich lerne Deutsch, denn ich weiß, das wird mich in Zukunft bei vielen Kunden helfen."

    Und auch diejenigen Kursteilnehmer, die es nach Deutschland zieht wie die Studentin Fatma wollen nicht als so genannte Import-Bräute türkischer Arbeiter dorthin:

    "Ich möchte meine Magister in Deutschland, deswegen lerne Deutsch."

    Selbst in den Anfängerkursen sieht man im Istanbuler Goethe-Institut keine Kopftuchfrauen, die sich auf ein neues Leben in Deutschland vorbereiten. Auf die zielen die Kurse auch gar nicht ab, sagt Christian Merten, der stellvertretende Institutsleiter:

    "Wir haben als Publikum hauptsächlich die jungen Eliten von morgen, das heißt Kursteilnehmer, die zwischen 18 und 25 Jahre alt sind, studieren, meistens Wirtschaftwissenschaften oder Ingenieurswissenschaften, teilweise auch Berufstätige - jedenfalls sind es hauptsächlich akademisch Vorgebildete, die bei uns lernen."

    Dass hier keine Kandidatinnen für den Familiennachzug nach Deutschland erste Sprachkenntnisse erwerben, hat auch einen ganz praktischen Grund:

    "Das ist, glaube ich, eine Zielgruppe, die sich die Kurse gar nicht leisten könnte hier. Die Kurse kosten so 300 bis 400 YTL. Das ist für die hiesigen Verhältnisse schon eine Menge."

    300 bis 400 türkische Lira, das entspricht 160 bis 215 Euro für einen zweimonatigen Kurs und zugleich fast einem monatlichen Mindestlohn in der Türkei. Wo aber könnten denn türkische Ehefrauen die Deutschkenntnisse erwerben, die sie für ihr künftiges Leben in Deutschland so dringend brauchen? Am Goethe-Institut weiß man es auch nicht:

    "Kann ich Ihnen gar nicht sagen, ehrlich gesagt. Also, wir haben natürlich auch andere Sprachkursangebote vor Ort, aber da handelt es sich um Berlitz, es handelt sich um Universitäten, die Kurse anbieten. Aber für diese Zielgruppe wird, glaube ich, wenig getan."

    Und deshalb ist diese Zielgruppe auch ziemlich bestürzt von der Vorstellung, eine Deutschprüfung ablegen zu müssen. Der Straßenverkäufer Izzedin Demir würde nur zu gerne nach Deutschland auswandern:

    "Ich finde das nicht richtig. Viele Menschen hier wollen nach Deutschland. Aber wie sollen wir denn Deutsch lernen? Das ist eine große Gemeinheit, damit werden wir zur ewigen Armut verdammt. Die Sprache muss frei bleiben."

    Grundsätzlich richtig finden viele Menschen auf den Straßen von Istanbul zwar den Anspruch, dass man Deutsch können sollte, wenn man nach Deutschland zieht. Wie das aber in der Praxis funktionieren soll, ist den meisten ein Rätsel, auch dem arbeitslosen Sedat Köze, der nach seiner Kindheit in Deutschland selbst fließend Deutsch spricht:

    "Ich finde das schon in Ordnung, aber jeder? Wenn einer 60 Jahre alt ist und aus der Osttürkei kommt, ein Kurde oder so, und der kann noch nicht mal richtig Türkisch, wie soll der Deutsch können, wo soll er Deutsch lernen?"

    Zwar dürften 60-jährige Männer ohnehin nur ausnahmsweise für den Ehegattennachzug in Frage kommen, doch stellt sich auch für junge Frauen aus ländlichen Gegenden die Frage, wie sie an die erforderlichen Sprachkenntnisse kommen sollen. Zumindest in Istanbul und Ankara könnte das Goethe-Institut helfen, wenn die Bundesregierung das wolle, sagt Christian Merten:

    "Ja, wenn es den politischen Willen gibt, dann auf jeden Fall, dann könnten wir auch für diese Zielgruppe etwas tun. Ich denke, es scheitert wirklich an den politischen Rahmenbedingungen bisher. Also, da muss mehr getan werden in der Richtung."

    Nicht nur grundlegende Sprachkenntnisse, auch Landeskunde müssten solche Kurse vermitteln, um den Kulturschock abzufedern, sagt Merten. Das könnte das Goethe-Institut zwar relativ kurzfristig leisten, doch wäre dazu außer dem politischen Willen noch etwas notwendig:

    "Da bedarf es finanzieller Unterstützung der Regierungen, das ist ganz klar."