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Kein eindeutiger Beweis

Genetik. - Am 25. Januar erbeuteten Einbrecher im Berliner Kaufhaus des Westens Schmuck im Wert von fünf Millionen Euro. Einer der Einbrecher konnte mithilfe von DNA-Spuren identifiziert werden, musste dann aber freigelassen werden, weil er einen Zwillingsbruder hat. Der Wissenschaftsjournalist Michael Lange erklärt im Gespräch mit Gerd Lange die Gründe.

20.03.2009
    Pasch: Herr Lange, lassen sich eineiige Zwillinge durch den genetischen Fingerabdruck wirklich nicht unterscheiden?

    Lange: Eineiige Zwillinge sind genetisch völlig identisch. Sie haben das gleiche Erbgut. Das entsteht folgendermaßen: Sie sind aus einer befruchteten Eizelle entstanden, eine Eizelle wird durch ein Spermium befruchtet. Dann steht das genetische Material fest. Dann entsteht ein Embryo aus vier oder acht Zellen. Der teilt sich dann in zwei Individuen und so entstehen zwei Menschen mit gleichem Erbgut.

    Pasch: Würde es etwas nutzen, wenn man die entdeckten DNA-Spuren genau untersuchen würde?

    Lange: Man könnte sie in der Tat genauer untersuchen. Beim genetischen Fingerabdruck werden ja nur acht Stellen im Erbgut angeschaut. Acht Stellen, das reicht aus, um zwei genetisch unterschiedliche Menschen zu unterscheiden. Wenn man genauer hinschaut, könnte man sich jeden Buchstaben im Erbgut ansehen. Aber bei eineiigen Zwillinge sind auch diese Buchstaben identisch. Das einzige, was passieren könnte, dass einzelne Zellen im Körper eine Mutation erfahren, also eine Veränderung im Erbgut. Und sie könnten unabhängig nur bei dem einen Zwilling auftreten. Das ist allerdings sehr schwer zu finden. Man müsste ja verschiedene Zellen untersuchen, man müsste sie vergleichen und man müsste das ganze Erbgut von vorne bis hinten durchsequenzieren. Und das ist sehr aufwändig, wurde bisher nur bei einer Handvoll Menschen gemacht. Also es wäre sehr aufwändig, sehr teuer und sehr schwierig.

    Pasch: Stichwort Mutation. Wie lässt sich denn so eine Mutation finden bei eineiigen Zwillingen?

    Lange: Es würde jedenfalls nicht ausreichen, wenn man sich irgendwelche beliebigen Zellen anschauen würde. Man muss ja sehen, eine Mutation findet irgendwann im Laufe des Lebens statt. Wenn sie schon im Embryo stattfindet, dann haben sehr viele unserer Zellen diese Mutation. Wenn diese Mutation aber zum Beispiel erst sehr spät stattfindet, zum Beispiel beim Raucher in der Lunge, dann sind natürlich nur bestimmte Zellen betroffen. Und wenn man eine genetische Spur hat, also zum Beispiel eine Hautschuppe, in diesem Fall in einem Handschuh, dann wäre es ja Zufall, wenn da eine bestimmte Mutation stattgefunden hätte. Also da müssten einige Zufälle zusammenkommen, um eine solche Mutation aufzuspüren.

    Pasch: Aber auch die Umwelt hinterlässt ja Spuren in jedem Menschen. Ließen sich die Auswirkungen von Umweltfaktoren aus der DNA-Probe ermitteln?

    Lange: Auch das ist prinzipiell möglich. Heute auf der Tagung der Molekulargenetiker hier in Köln war das ein wichtiges Thema: die so genannte Epigenetik. Das heißt im Laufe eines Lebens wird zwar nicht das Erbgut verändert, aber die Schalter, die im Erbgut sitzen, da sitzen so genannte Methylgruppen und die sorgen dafür, dass bestimmte Gene nicht abgelesen werden. Wissenschaftliche Untersuchungen haben jetzt gerade in den letzten Monaten gezeigt, dass diese Methylgruppen im Laufe eines Lebens sich ändern können. Zum Beispiel durch traumatische Erlebnisse. Man hat das sowohl im Tierversuch zeigen können, als auch schon bei Untersuchungen einzelner Menschen. Also, es ist tatsächlich so, dass so etwas stattfindet. Aber da müssen wirklich deutliche Unterschiede vorliegen, in diesem Beispiel ist es ja so, wenn die beiden Zwillinge zusammen aufgewachsen sind, in etwa das gleiche erlebt haben, der gleichen Umwelt ausgesetzt waren, dürften diese Unterschiede äußerst gering sein, und die Methodik von heute reicht nicht aus, um solche kleinen Unterschiede zu finden.

    Pasch: Wie realistisch ist es denn, dass einer der Zwillinge vom KaDeWe-Raub durch wissenschaftliche Methoden doch noch überführt wird?

    Lange: Ich halte das im Moment für ausgeschlossen. Viel zu aufwändig. Aber es ist tatsächlich so, dass gerade in diesem Bereich Epigenetik die Forschung sehr schnell vorankommt. Und wenn man die Proben aufbewahrt, könnte man tatsächlich mit verbesserten Methoden in fünf Jahren noch einmal nachschauen. Also die Verbrecher, die mutmaßlichen Einbrecher können sich noch nicht absolut sicher sein.