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Kein Einknicken

Der für beißende Polemik ebenso geachtete wie gefürchtete Publizist Henryk M. Broder sägt auch mit seinem neuen Buch an den Nerven all derer, die sich unbequeme Wahrheiten ungern anhören. Es handelt vom Umgang Europas mit den Herausforderungen des Islam und von der Lust am Einknicken, die Broder allerorten beobachtet.

Moderation: Christina Janssen | 06.11.2006
    Christina Janssen: Seinem Essay hat Broder einen Ausspruch Winston Churchills vorangestellt, der übersetzt sinngemäß lautet: "Appeasement heißt, das Krokodil füttern und hoffen, dass es einen zuletzt frisst." "Wer ist das Krokodil?", war die erste Frage an Henryk M. Broder.

    Henryk M. Broder: Ja, wer ist das Krokodil? Das Krokodil ist eine diffuse Gestalt am Horizont der Geschichte. Die einen des Islam, die anderen Islamismus, die dritten Fundamentalismus. Mal kommt es aus der arabischen Gegend, mal aus Gebieten, die von Moslems bewohnt sind. Es ist auf alle Fälle die Bedrohung des heranbrechenden 21. Jahrhunderts, eine totalitäre Ideologie, der wir kaum etwas entgegenzusetzen haben außer unserer angestammten Liberalität.

    Janssen: Ihr Buch ist ja eine kritische Bestandsaufnahme des europäischen, des deutschen Umgangs mit dem von Ihnen gerade beschriebenen Phänomen. Sie bemängeln da die laxe Haltung der EU gegenüber dem iranischen Präsidenten beispielsweise, die europäische Naivität gegenüber der Hamas, das Einknicken im Karikaturenstreit. Nach Druck Ihres Buches kam dann die ja wahrlich groteske Absetzung einer "Idomeneo"-Inszenierung in Berlin noch hinzu, und Sie folgern aus all dem und natürlich auch vielen weiteren Beobachtungen, der Westen sei den Herausforderungen des Islam und des Terrors, des islamistischen Terrors, nicht gewachsen. Kuschen und kuscheln also statt Konfrontation, das ist Ihr Vorwurf. Was hätten Sie denn von den Deutschen erwartet, zum Beispiel im Karikaturenstreit?

    Broder: Es ist erst einmal kein Vorwurf, es ist eine Feststellung. Ich will niemandem Vorwürfe machen, weil in der Tat weiß ich auch nicht so genau, wie man es besser machen sollte. Konkret zum Karikaturenstreit: Da bringt eine dänische Zeitung zwölf Karikaturen über Mohammed. Diese zwölf Karikaturen zeichnen sich durch eine unglaubliche Harmlosigkeit aus, sie sind peinlich harmlos. Es gibt eine weltweite Empörung der Moslems, man sagt uns immer wieder, 1,5 Milliarden Moslems sind kollektiv beleidigt. Ich kenne persönlich ein paar Moslems, die nicht beleidigt waren, aber lassen wir das bei diesen 1,5 Milliarden. Und dann erfinden alle möglichen Zeitungen Begründungen, warum man diese Karikaturen nicht drucken sollte und nicht drucken durfte.

    Die "Frankfurter Rundschau", keine schlechte Zeitung, ist so weit gegangen, in einem Editorial zu schreiben, dass es ein Zeichen von Verantwortung ist, auf den Abdruck dieser Karikaturen zu verzichten, die aber furchtbar sind. Das heißt, der Leser muss sich auf das Wort des Redakteurs verlassen können. Aber der Redakteur oder die Redaktion meint, dem Leser das vorenthalten zu müssen. Es hätten alle deutschen Zeitungen, es hätten alle europäischen Zeitungen aus Solidarität mit "Jyllands Posten" diese Karikaturen nachdrucken müssen. In Deutschland haben es nur drei Zeitungen getan, ich glaube, jeweils eine Karikatur, das war die "taz", die "Welt" und ich glaube auch die "Zeit". Eine Pariser Zeitung hat die Karikaturen alle nachgedruckt, das Ergebnis war, dass der Chefredakteur umgehend gefeuert wurde. Das sind klare Signale des Nachgebens und des Einkneifens, übrigens bei einem harmlosen Anlass.

    Janssen: Herr Broder, waren dann zumindest die Reaktionen auf die "Idomeneo"-Absetzung, um jetzt noch ein weiteres Beispiel etwas auszuführen, in Ihrem Sinne, denn da hatte es doch im Grunde niemanden gegeben, der diese Entscheidung für richtig gehalten hat.

    Broder: Nein, nicht ganz. Ich war bei der Diskussion, die anschließend in der Berliner Oper stattfand, und die vox populi war geteilt. Die Medien - da haben Sie recht - waren alle gegen die Absetzung, gegen das Einknicken, das war sozusagen auch eine Art Wendepunkt. Hier fand die Kapitulation schon statt seitens der Oper, noch bevor der erste Schuss abgefeuert wurde. Es gab keine Drohung, es gab keine Bedrohung, es gab eine diffuse Gefahrenanalyse - was immer das sein mag – des Berliner Landeskriminalamtes. Und daraufhin beschloss die arme Intendantin, das Stück abzusetzen, daraufhin wurde sie geprügelt.

    Ich glaube, die Empörung, die darüber ausbrach, hängt damit zusammen, dass die Oper sozusagen der heilige Gral der deutschen Kultur ist. Das lässt sich das Bürgertum nicht so gern vermasseln. Im übrigen war das so bei dieser Geschichte, dass in den Medien die Meinungen ziemlich eindeutig waren, an der Basis im Volk nicht. Bei der Diskussion, an der ich teilnahm, war ungefähr die Hälfte der Besucher der Meinung, man hätte es absetzen sollen, es war richtig es abzusetzen. Hinter mir stand ein mittelalter Herr auf, so um die 50, und rief ganz empört und voller Rage in den Saal: "Ich möchte, dass meine Kinder und Kindeskinder in Ruhe zur Schule gehen können!" Also er sah schon die nachfolgenden Generationen durch die Aufführung bedroht.

    Janssen: Was wäre denn eine geeignete Reaktion? Sie stellen in Ihrem Buch ja die Frage, ob Respekt, Rücksichtnahme und Toleranz die richtigen Mittel im Umgang mit Kulturen sind, ich zitiere das hier wörtlich, die sich ihrerseits respektlos, rücksichtslos und intolerant verhalten, jedenfalls dann, wenn es um den so genannten dekadenten Westen geht. Aber was wäre eine Antwort? Ist Intoleranz die richtige Reaktion auf Intoleranz?

    Broder: Also mit Ihrer rheinischen Grausamkeit haben Sie mich natürlich jetzt genau auf dem Fuß erwischt, auf dem ich am schwächsten bin. Ich habe kein Rezept. Wenn Sie mich fragen, was man machen könnte, kann ich nur sagen, erstens weiß ich es nicht so genau, zweitens, einfach die eigenen Standards behaupten, also mit diesem naiven Gerede aufhören, dass alle Kulturen eigentlich gleich sind, und vor allem auch mit diesem Gerede aufhören, dass es sich um einen Kulturkampf handelt.

    Es findet kein Kulturkampf statt. Es ist eine dumme Formel, die damit zusammenhängt, dass man in Deutschland permanent, seit Jahrzehnten, wenn nicht seit Jahrhunderten Kultur mit Zivilisation verwechselt. Das ist eine deutsche Krankheit. Kultur ist, wenn ich Ihnen den Kopf abschlage, und aus Ihrem Kopf eine Blumenvase mache. Das ist Kultur. Zivilisation aber ist, wenn ich dafür ins Gefängnis komme, und was mich angeht, ziehe ich die Zivilisation der Kultur vor. Es gibt auch keinen Kulturkampf, weil es auf der Gegenseite, unter den Moslems, genug säkulare aufgeklärte, vernünftige Leute gibt, die sich auch darum sorgen, dass die Werte der Liberalität, der Freiheit und Aufklärung durchgesetzt werden. Und das sind zur Zeit in der Tat unsere besten Verbündeten.

    Leute wie Seyran Ates und Necla Kelek in Berlin, Salman Rushdie oder Wafa Sultan, oder der großartige pakistanische Schriftsteller Ibn Warraq, das sind Leute, die erkannt haben, worum es geht, und es ist kein Kulturkampf, weil der Kampf sozusagen durch alle Kulturen geht. Es geht um die Durchsetzung zivilisatorischer Standards.

    Janssen: Von diesen Standards haben Sie eben schon gesprochen, indem Sie sagten, man müsse sie behaupten. Sie sagen gerade, man muss sie durchsetzen und geben in Ihrem Buch ja zumindest einen vagen Hinweis darauf, wie das aussehen könnte. Sie schreiben, man könne den Terror nicht allein mit rechtsstaatlichen Mitteln bekämpfen. Wo aber ist die Grenze dessen überschritten, was der Kampf gegen den Terror denn legitimieren kann. Sind die USA da aus Ihrer Sicht ein Modell für Europa mit Abu Graib und mit Guantanamo und allem, was da sonst noch dazugehört?

    Broder: Ja, das ist eine richtige Frage. Es ist wirklich eine fundamentale Entscheidung, vor der Europa irgendwann einmal stehen wird. Ich bin nicht für die Aufhebung von Grundrechten, ich bin auch nicht für die Aufhebung rechtsstaatlicher Spielregeln, ganz im Gegenteil. Ich glaube nur, dass es nicht nur asymmetrische Kriege gibt, es gibt auch asymmetrische Konflikte. Und glauben Sie doch nicht, dass die zwei Jungs, die – wo war das, Köln oder Koblenz – vor kurzem versucht haben, Bomben in Zügen zu deponieren –, dass diese Jungs mit normalen polizeilichen Methoden ermittelt und geschnappt worden sind. Da gab es eine diskrete Zusammenarbeit zwischen deutschen und libanesischen Geheimdiensten, wahrscheinlich mit Beteiligung anderer, und nur so konnten die Täter mehr oder weniger ermittelt werden.

    Es ist immer wieder die Rede davon, dass es um Afghanistan oder den Irak ging, man hätte polizeiliche Methoden anwenden müssen, um Osama Bin Laden zu erwischen. Ich meine, man hätte auch einen deutschen Gerichtsvollzieher, flankiert von ein paar Soldaten der Heilsarmee, hinschicken können. Also die Alternative, die wir haben, wird in der Tat irgendwann einmal sein: Rechtsstaat oder Sicherheit. Und das wäre natürlich eine Katastrophe, weil das wäre der absolute Sieg des Terrorismus. Aber wir bewegen uns dahin, und ich möchte nicht, dass wir uns dahin bewegen. Ich glaube nur nicht, dass man dem Terror mit dem üblichen Instrumentarium des Rechtsstaates beikommen kann. Ich glaube das einfach nicht, weil: Die Gegenseite hält sich an keine Regel, verlangt aber von uns die Einhaltung aller Regeln, und das ist eine klassische No-win-Situation, der wir nicht begegnen können.

    Janssen: Im vorletzten Kapitel Ihres Buches postulieren Sie, das eigentliche Problem der Muslime sei nicht das, was hier immer wieder gesagt und wiederholt wird, die Unterdrückung, es sei nicht der Mangel an Bildung und Wissen, sondern ein Mangel an sexueller Freiheit. Möchten Sie dem Islam eine Art Hippie-Leitkultur verpassen? Make Love, und dann gibt es auch keinen Krieg mehr?

    Broder: Das hat schon im Westen nicht funktioniert, wahrscheinlich würde es im Islam auch nicht funktionieren, weil es so monokausal nicht geht. Aber im Prinzip haben Sie schon recht, die Sache ist natürlich nur etwas ernster als in der Hippie-Kultur, die wir alle erfolgreich hinter uns gebracht haben. Ich glaube, dass eine Gesellschaft, in der die eine Hälfte der Gesellschaft, nämlich die Männer, damit beschäftigt ist, die andere Hälfte der Gesellschaft, nämlich die Frauen, zu unterdrücken, dass eine solche Gesellschaft überhaupt nicht von der Stelle kommt. Sie ist völlig obsessiv damit beschäftigt, sich dieser einen Aufgabe zu widmen.

    Ich habe, nachdem die Taliban-Herrschaft in Afghanistan vorbei war, haben wir alle diese wahnsinnigen Filme gesehen von vollverschleierten Frauen, die vollverschleiert zur Exekution ins Fußballstadion geführt wurden. Ich hatte diese Bilder vorher nicht gesehen, diese Bilder waren aus Afghanistan herausgeschmuggelt worden, von Frauenorganisationen, und sie erregten im Westen keinen großen Abscheu. Wir haben das auch abgebucht als eine Art von Kultureigenschaft, die man hinnehmen muss.

    Allein schon deswegen - darauf wollte ich hinaus - wäre eine Invasion Afghanistans völlig berechtigt gewesen, allerdings nicht von der westlichen Truppe, die dort jetzt herumspringt, sondern es hätte irgendeine Einheit, eine Truppe der islamischen oder arabischen Länder Afghanistan befreien sollen. Also in der Tat ist die Frauenfrage die zentrale Frage der arabischen oder der islamischen Welt, und es wird sich in dieser Kultur der Zivilisation nichts ändern, solange sich die Stellung der Frau nicht geändert hat.

    Der Publizist Henryk M. Broder über seinen Essay "Hurra! Wir kapitulieren". Vor soviel Wortgewalt kapituliert jetzt auch die Moderatorin und gibt Ihnen nur noch die bibliographischen Angaben mit auf den Weg: Das schmale Bändchen ist bei Wolf Jobst Siedler junior erschienen, hat 168 Seiten und mit 16 Euro sind Sie dabei. Und es ist nicht nur der "ultimative Albtraum für alle Verfechter der Political Correctness", wie Leon de Winter dazu angemerkt hat, sondern auch ein großes Lesevergnügen.

    Henryk M. Broder: Hurra, wir kapitulieren! Von der Lust am Einknicken.
    Verlag Wolf Jobst Siedler jr. Berlin 2006.
    168 Seiten. 16 Euro.