Beatrix Novy: Wenn der Name van Gogh fällt, sind Superlative kaum vermeidbar. Mit seinen Bildern verbinden sich exorbitante Auktionserlöse, seine Lebenslegende ist weit verbreitet, Werke von ihm fehlen in keiner Sammlung. Noch vor anderthalb Jahren zeigte Budapest eine, Zitat, "weltweit bedeutendste Van-Gogh-Ausstellung seit 100 Jahren". Da fragt man sich, warum jetzt noch eine in Wien, dazu noch in der Albertina, die bis vor ein paar Jahren noch hauptsächlich als Heimat des Dürer-Hasen und der "Betenden Hände" bekannt war, ein Zeichnungsmuseum. Die Frage geht an Stefan Koldehoff.
Stefan Koldehoff: Ich bin auch sehr skeptisch gewesen, als ich die Einladung gelesen habe und habe eben genau das auch gedacht: Oh je, schon wieder eine Retrospektive. Aber das, was da heute Abend in der Albertina eröffnet werden wird, ist tatsächlich was anderes. Man hat sich dazu entschieden, eine These zu verfolgen und diese These ist eine, die tatsächlich in der Form noch nie beleuchtet worden ist im Oeuvre von van Gogh, nämlich wie stark haben sich bei ihm Zeichnungen und Gemälde gegenseitig beeinflusst. Es ist ja gar nicht einfach, so was zusammen zu zeigen, rein aus technischen Gründen. Zeichnungen brauchen viel, viel weniger Licht oder dürfen viel, viel weniger Licht nur haben als Gemälde, die vernünftig ausgeleuchtet sein müssen. Deswegen hat sich das in den letzten Jahrzehnten kaum ein Museum getraut. Auch 1990, als es die großen Retrospektiven in Amsterdam und Otterlo gegeben hat zum 100. Todestag Vincent van Goghs, da gab es schön getrennt die Zeichnungen in Otterlo, die Gemälde in Amsterdam. Wenn man aber weiß, wie sehr sich tatsächlich van Gogh, der als Zeichner angefangen hat, über das Zeichnen die Malerei erschlossen hat, mal erst in den Formen, hinterher kam dann, als er 2nach Paris ging, natürlich der Aspekt der Farbe dazu. Das hatte dann mit dem Zeichnen nicht mehr so viel so tun, aber immer wieder dann auch zur Zeichnung zurückgekehrt ist, sich neue Formen, neue Bildwelten über die Zeichnung mal erst erschlossen hat, das Ganze dann auch in Gemälden umgesetzt hat, hinterher mal wieder zurückgekehrt ist zur Zeichnung, also beides sozusagen in einem kreativen Wettbewerb parallel weiterverfolgt hat, dann ist das schon sehr erhellend, was man da sieht in Wien. Wenn man zweitens noch weiß, dass es gelungen ist, sehr, sehr viele Werke aus privaten Sammlungen für diese Ausstellung zu bekommen, das beispielsweise kein einziges Bild mit Sonnenblumen zu sehen ist, dass nur ein einziges Selbstbildnis vorhanden ist, dann gelingt es tatsächlich, was ich nicht für möglich gehalten hätte, doch noch mal einen anderen und einen sehr, sehr interessanten Blick auf van Gogh zu eröffnen.
Novy: Vielleicht nennen Sie mal ein Beispiel für diese enge Beziehung zwischen Zeichnung und Gemälde.
Koldehoff: Es gibt eine Zeit, die van Gogh in Südfrankreich verbracht hat und da fährt er eines Tages mit der Postkutsche an den kleinen Fischerort Saintes-Maries-de-la-Mer am Mittelmeer und nimmt eine einzige Leinwand mit, vorbereitet und ansonsten nur Rohrfeder, Tinte und Skizzenblätter. Und er fängt an zu skizzieren, zeichnet die Segelboote auf dem Meer, zeichnet die Hütten in einer Straße, kehrt damit zurück nach Arles in sein Atelier, setzt das Ganze dort in Gemälde um, hat also so fein grafisch notiert, was er gesehen hatte, dass er das ohne es noch vor Augen zu haben, in Bilder umsetzen kann, die so aussehen, als wären sie in situ, also vor Ort entstanden, tatsächlich auch sehr grafisch aufgebaut, also sehr klare Kontur, Umrisslinien, sehr klare Geometrien, sehr gerade angelegte Straßen. Man sieht, dass die Gemälde, die dort entstehen, von der Zeichnung kommen. Und als er damit fertig ist, möchte er seinem Bruder, der in Paris als Kunsthändler lebt, zeigen, was er gemacht hat und setzt dann die Gemälde, die nach Zeichnungen entstanden waren, wieder in Zeichnungen um, die er dann per Brief nach Paris verschickt, und da sind dann plötzlich wieder die rhythmisierenden Linien, diese kleinen kurz gestrichelten Kornfelder, diese etwas längeren zeichnerischen Linien, die Häuserfassaden, Rauchwolken wiedergeben, vorhanden. Aus dem einen entsteht das andere und wird wieder zum einen.
Novy: Es hat fünf Jahre gedauert, bis die Albertina alle Werke zusammenhatte für diese Ausstellung. Aus 16 Ländern sind sie gekommen, und die machen zusammen einen Wert von drei Milliarden Euro aus. Das ist natürlich eine ungeheuer hohe Summe.
Koldehoff: Das ist hier in Wien auch seit Wochen und Monaten schon Thema, weil extra ein Bundesgesetz geändert werden musste. So was kann man natürlich nicht mehr versichern. Die Prämien übersteigen alles Denkbare. Deswegen hat eine sogenannte Staatshaftung stattgefunden. Also wenn was passiert, dann bürgt der österreichische Staat für die entstandenen Schäden. Die Stadt ist auch vollgepflastert mit Plakaten. Es ist ein riesiges Ereignis hier in Wien, wenn man allerdings auch weiß, dass die letzte Van-Gogh-Ausstellung 1958 stattgefunden hat in der österreichischen Galerie im Belvedere, dann war es einfach auch mal wieder nötig, diesen Maler in Österreich zu zeigen. Und ein dritter Aspekt kommt noch hinzu. Die Albertina ist ja jahrzehntelang das Zeichnungsmuseum Österreichs, und nicht nur Österreichs, sondern eins der bedeutendsten Zeichnungsmuseen der Welt gewesen mit großen Schiele-Beständen ...
Novy: Und man fragt sich natürlich, warum jetzt solche Ausstellungen, zumal gerade von van Gogh, glaube ich, nur zwei Zeichnungen vorhanden waren. Da geht es ja nicht mehr ums Lückenschließen.
Koldehoff: Nein, da geht es einfach darum, dass der Direktor Klaus Albrecht Schröder, der vor einigen Jahren übernommen hat, den großen Ehrgeiz hat, aus diesem ursprünglichen Zeichnungsmuseum ein vollwertiges Museum zu machen. Er hat in den letzten Jahren schon Ausstellungen veranstaltet über Dürer, über Rembrandt, über Edvard Munch und hat immer auch Gemälde gezeigt, weil er erkannt hat, dass es für solche Spartenmuseen, jedenfalls was Öffentlichkeitswirksamkeit angeht, offenbar keine Zukunft zu geben scheint. Ihm ist ein zweiter Schachtzug gelungen. Er hat eine prominente Privatsammlung eines Liechtensteiner Treuhänders namens Herbert Batliner als Dauerleihgabe bekommen, hat damit jetzt auch Gemälde zur Verfügung, die er austauschen kann. Denn Sie bekommen van Goghs nicht gegen Leihgebühren von den Museen der Welt, sondern nur wenn Sie sagen können, dafür bekommt ihr dann für zwei Monate mal unseren Renoir, unseren Monet oder unseren Modigliani. Das ist jetzt möglich, und insofern ist diese Ausstellung, die da heute Abend eröffnet wird, für Wien auch ein großes kulturpolitisches Signal: Es gibt ein zusätzliches vollwertiges Museum in der Stadt.
Die Ausstellung läuft vom 5. September bis 8. Dezember 2008.
Stefan Koldehoff: Ich bin auch sehr skeptisch gewesen, als ich die Einladung gelesen habe und habe eben genau das auch gedacht: Oh je, schon wieder eine Retrospektive. Aber das, was da heute Abend in der Albertina eröffnet werden wird, ist tatsächlich was anderes. Man hat sich dazu entschieden, eine These zu verfolgen und diese These ist eine, die tatsächlich in der Form noch nie beleuchtet worden ist im Oeuvre von van Gogh, nämlich wie stark haben sich bei ihm Zeichnungen und Gemälde gegenseitig beeinflusst. Es ist ja gar nicht einfach, so was zusammen zu zeigen, rein aus technischen Gründen. Zeichnungen brauchen viel, viel weniger Licht oder dürfen viel, viel weniger Licht nur haben als Gemälde, die vernünftig ausgeleuchtet sein müssen. Deswegen hat sich das in den letzten Jahrzehnten kaum ein Museum getraut. Auch 1990, als es die großen Retrospektiven in Amsterdam und Otterlo gegeben hat zum 100. Todestag Vincent van Goghs, da gab es schön getrennt die Zeichnungen in Otterlo, die Gemälde in Amsterdam. Wenn man aber weiß, wie sehr sich tatsächlich van Gogh, der als Zeichner angefangen hat, über das Zeichnen die Malerei erschlossen hat, mal erst in den Formen, hinterher kam dann, als er 2nach Paris ging, natürlich der Aspekt der Farbe dazu. Das hatte dann mit dem Zeichnen nicht mehr so viel so tun, aber immer wieder dann auch zur Zeichnung zurückgekehrt ist, sich neue Formen, neue Bildwelten über die Zeichnung mal erst erschlossen hat, das Ganze dann auch in Gemälden umgesetzt hat, hinterher mal wieder zurückgekehrt ist zur Zeichnung, also beides sozusagen in einem kreativen Wettbewerb parallel weiterverfolgt hat, dann ist das schon sehr erhellend, was man da sieht in Wien. Wenn man zweitens noch weiß, dass es gelungen ist, sehr, sehr viele Werke aus privaten Sammlungen für diese Ausstellung zu bekommen, das beispielsweise kein einziges Bild mit Sonnenblumen zu sehen ist, dass nur ein einziges Selbstbildnis vorhanden ist, dann gelingt es tatsächlich, was ich nicht für möglich gehalten hätte, doch noch mal einen anderen und einen sehr, sehr interessanten Blick auf van Gogh zu eröffnen.
Novy: Vielleicht nennen Sie mal ein Beispiel für diese enge Beziehung zwischen Zeichnung und Gemälde.
Koldehoff: Es gibt eine Zeit, die van Gogh in Südfrankreich verbracht hat und da fährt er eines Tages mit der Postkutsche an den kleinen Fischerort Saintes-Maries-de-la-Mer am Mittelmeer und nimmt eine einzige Leinwand mit, vorbereitet und ansonsten nur Rohrfeder, Tinte und Skizzenblätter. Und er fängt an zu skizzieren, zeichnet die Segelboote auf dem Meer, zeichnet die Hütten in einer Straße, kehrt damit zurück nach Arles in sein Atelier, setzt das Ganze dort in Gemälde um, hat also so fein grafisch notiert, was er gesehen hatte, dass er das ohne es noch vor Augen zu haben, in Bilder umsetzen kann, die so aussehen, als wären sie in situ, also vor Ort entstanden, tatsächlich auch sehr grafisch aufgebaut, also sehr klare Kontur, Umrisslinien, sehr klare Geometrien, sehr gerade angelegte Straßen. Man sieht, dass die Gemälde, die dort entstehen, von der Zeichnung kommen. Und als er damit fertig ist, möchte er seinem Bruder, der in Paris als Kunsthändler lebt, zeigen, was er gemacht hat und setzt dann die Gemälde, die nach Zeichnungen entstanden waren, wieder in Zeichnungen um, die er dann per Brief nach Paris verschickt, und da sind dann plötzlich wieder die rhythmisierenden Linien, diese kleinen kurz gestrichelten Kornfelder, diese etwas längeren zeichnerischen Linien, die Häuserfassaden, Rauchwolken wiedergeben, vorhanden. Aus dem einen entsteht das andere und wird wieder zum einen.
Novy: Es hat fünf Jahre gedauert, bis die Albertina alle Werke zusammenhatte für diese Ausstellung. Aus 16 Ländern sind sie gekommen, und die machen zusammen einen Wert von drei Milliarden Euro aus. Das ist natürlich eine ungeheuer hohe Summe.
Koldehoff: Das ist hier in Wien auch seit Wochen und Monaten schon Thema, weil extra ein Bundesgesetz geändert werden musste. So was kann man natürlich nicht mehr versichern. Die Prämien übersteigen alles Denkbare. Deswegen hat eine sogenannte Staatshaftung stattgefunden. Also wenn was passiert, dann bürgt der österreichische Staat für die entstandenen Schäden. Die Stadt ist auch vollgepflastert mit Plakaten. Es ist ein riesiges Ereignis hier in Wien, wenn man allerdings auch weiß, dass die letzte Van-Gogh-Ausstellung 1958 stattgefunden hat in der österreichischen Galerie im Belvedere, dann war es einfach auch mal wieder nötig, diesen Maler in Österreich zu zeigen. Und ein dritter Aspekt kommt noch hinzu. Die Albertina ist ja jahrzehntelang das Zeichnungsmuseum Österreichs, und nicht nur Österreichs, sondern eins der bedeutendsten Zeichnungsmuseen der Welt gewesen mit großen Schiele-Beständen ...
Novy: Und man fragt sich natürlich, warum jetzt solche Ausstellungen, zumal gerade von van Gogh, glaube ich, nur zwei Zeichnungen vorhanden waren. Da geht es ja nicht mehr ums Lückenschließen.
Koldehoff: Nein, da geht es einfach darum, dass der Direktor Klaus Albrecht Schröder, der vor einigen Jahren übernommen hat, den großen Ehrgeiz hat, aus diesem ursprünglichen Zeichnungsmuseum ein vollwertiges Museum zu machen. Er hat in den letzten Jahren schon Ausstellungen veranstaltet über Dürer, über Rembrandt, über Edvard Munch und hat immer auch Gemälde gezeigt, weil er erkannt hat, dass es für solche Spartenmuseen, jedenfalls was Öffentlichkeitswirksamkeit angeht, offenbar keine Zukunft zu geben scheint. Ihm ist ein zweiter Schachtzug gelungen. Er hat eine prominente Privatsammlung eines Liechtensteiner Treuhänders namens Herbert Batliner als Dauerleihgabe bekommen, hat damit jetzt auch Gemälde zur Verfügung, die er austauschen kann. Denn Sie bekommen van Goghs nicht gegen Leihgebühren von den Museen der Welt, sondern nur wenn Sie sagen können, dafür bekommt ihr dann für zwei Monate mal unseren Renoir, unseren Monet oder unseren Modigliani. Das ist jetzt möglich, und insofern ist diese Ausstellung, die da heute Abend eröffnet wird, für Wien auch ein großes kulturpolitisches Signal: Es gibt ein zusätzliches vollwertiges Museum in der Stadt.
Die Ausstellung läuft vom 5. September bis 8. Dezember 2008.
