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Kein Ende der Folter in Tunesien

Der Diktator ist weg, doch die Praktiken sind die gleichen: Auch nach der Revolution wird in Tunesiens Polizeiwachen und Gefängnissen weiter gefoltert, so ein Bericht der Internationalen Menschenrechtsliga. Wer ungefragt darüber spricht oder als Zeuge auspackt, bringt sich in Gefahr.

Von Alexander Göbel | 12.05.2012
    Mohamed Ben Abdallah sitzt in einem belebten Café in Sousse, einer Großstadt, rund zwei Autostunden südlich von Tunis. Mit seiner schwarzen Lederjacke und der Sonnenbrille fällt der Mann Anfang vierzig hier nicht weiter auf. Musik dröhnt aus den Lautsprechern. Gut so, denn dann können die Menschen an den Nachbartischen nicht mithören, was er erzählt. Ben Abdallah heißt eigentlich anders. Aber er will lieber unerkannt bleiben. Seit er in der Öffentlichkeit über Missstände in tunesischen Gefängnissen berichtet, ist er in großer Gefahr.

    "Ich bin Offizier und erkläre öffentlich, Zeuge von Folter und Tötungen zu sein und nichts passiert – ja ist das denn normal' Das ist doch nicht normal. Sogar die Medien haben Angst. Die, denen ich die Unterlagen gezeigt habe, haben aus Furcht abgelehnt."

    Seit zwanzig Jahren kennt der Leutnant die die tunesischen Gefängnisse. 1992 tritt Ben Abdallah in die Militärakademie ein – nach seinem Abschluss tritt er seine erste Stelle im Gefängnis von Tunis an und macht zunächst schnell Karriere. Mit Demütigungen und Folter der Häftlinge wird er von Anfang an konfrontiert.

    "Es gab dort viele politische Gefangene, zum Beispiel einen aktuellen Parteivorsitzenden, der im März 1998 einen Hungerstreik gemacht hat. Sie haben mit ihm Dinge gemacht, die beschämend sind – er wurde vergewaltigt. Ich habe auch gesehen, wie viele weitere politische Gefangene, zum Beispiel von der Kommunistischen Partei, gefoltert wurden."

    Im März 1999 wird Ben Abdallah Stellvertretender Direktor des Gefängnisses von Borj Erroumi – die bloße Nennung des Namens lässt jedem Tunesier einen kalten Schauer den Rücken herunterlaufen. In der Festung, die schon von den Franzosen als Gefängnis genutzt wurde, sitzen vor allem Schwerverbrecher und politische Häftlinge ein. Die Wenigen, die das Gefängnis lebend verlassen haben, berichten von katastrophalen Haftbedingungen und Folter.

    "In Borj Erroumi habe ich das Schlimmste gesehen. Die Menschen wurden auf unvorstellbare Weise gefoltert."

    Ben Abdallah schreckt nicht davor zurück, Namen zu nennen - auf den Tag genau berichtet er darüber, wie Häftlinge zu Tode gefoltert wurden. Die Verantwortlichen sind vielfach auch nach der Revolution noch im Dienst.

    Im Jahr 2003 hängt ihm sein Vorgesetzter einen Prozess an, Ben Abdallah wird aus dem Dienst entlassen.

    "Aber zum Glück kam die Revolution und vieles hat sich verändert. Nein, eigentlich hat sich nicht viel verändert, nur der Name. Ben Ali ist weg, ansonsten ist alles beim Alten geblieben."

    Ben Abdallah ist ernüchtert. Die Aufarbeitung der Verbrechen der Ben Ali-Herrschaft beschränkt sich auf die Zeit der Revolution - was während der 23 Jahre unter Ben Ali passiert ist, spielt im postrevolutionären Tunesien zur Zeit keine Rolle. Viel schlimmer findet Mohamed Ben Abdallah aber, dass viele Folterer aus der Zeit Ben Alis sitzen nach wie vor auf ihren Posten sitzen.

    Wenige Tage nach der Revolution stellt Ben Abdallah den Antrag, wieder in den Polizeidienst aufgenommen zu werden – vergeblich. Erst als er im Interview mit einem Radiosender droht, ehemaligen Häftlingen als Zeuge zu Verfügung zu stehen, wird er kurzerhand wieder eingestellt.
    Doch Ben Abdallah muss erkennen: Es wird weiter gefoltert. Im Gefängnis von Messadine, in der Nähe von Sousse, wo er zunächst arbeitet, wird er Zeuge von Drogenschmuggel und Vergewaltigung einer Insassin.

    Als er diese Vorfälle anzeigt, passiert nichts. Als er diese Vorfälle anzeigt, passiert nichts. Er zieht unzählige Schreiben an das Justizministerium hervor, alle hat er persönlich vorbeigebracht, sie tragen eine datierte Eingangsbestätigung – doch die Schreiben bleiben unbeantwortet. In Messadine trifft er einen alten Bekannten wieder: Imed El Ajmi, seinen ehemaligen Vorgesetzten, der in Borj Erroumi für Folter verantwortlich gewesen sein soll. El Ajmi konnte nach der Revolution unbehelligt weiter arbeiten, als Gefängnisdirektor und Oberster Berater des Generaldirektors der tunesischen Gefängnisse. Bald hat Ben Abdallah wieder Probleme, ihm wird nahegelegt, den Mund zu halten. Im Herbst 2011 wird er erneut entlassen. Er wendet sich wieder an die tunesische Presse. Die Journalisten, die mit ihm sprechen, erhalten postwendend einen Anruf aus dem Innenministerium – und Ben Abdallah wird wieder eingestellt.

    "Dass so etwas unter Ben Ali passiert: ok. Aber nach der Revolution? Es gibt zwei Möglichkeiten: entweder, ich habe Recht, dann müssten die Vorfälle untersucht werden; oder ich lüge, dann müsste man mich anzeigen. Aber es passiert gar nichts. Sie nehmen noch nicht mal meine Aussage auf, damit später nichts Offizielles vorliegt. Ganz ehrlich: ich habe Angst um mein Leben. Ich habe den Eindruck, die haben etwas vor mit mir. Sie wollen dass ich wahnsinnig werde, oder sie werden einen Unfall inszenieren um mich loszuwerden."

    "Melden Sie sich, wenn sie noch Fragen haben", sagt Mohamed Ben Abdallah, bevor er geht. "Wenn ich dann noch am Leben bin."