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Kein Ende des Lehrermangels in Sicht

Trotz Lehrermangels in Deutschland bleiben nach dem "Lehrerarbeitsmarktbericht 2006" der Uni Duisburg-Essen 25.000 Pädagogen in diesem Jahr ohne Stelle. Zwar sei die Zahl der Einstellungen in den vergangenen Jahren gestiegen, so der Bildungsforscher Professor Klaus Klemm, doch nicht stark genug, um Mangelsituationen insbesondere in naturwissenschaftlichen Fächern aufzufangen.

Moderation: Kate Maleike |
    Kate Maleike: Weniger Unterricht, mehr Stundenausfall und größere Klassen. Das sind die täglichen Folgen, die Schüler zu spüren bekommen, weil wir in Deutschland zu wenig Lehrer haben. Und die Lehrer selbst klagen auch über diese Mangelwirtschaft. Fünf Jahre nach der ersten Pisa-Studie hat sich an der personellen Situation zumindest nichts verändert, und festhalten: Es wird wohl noch schlimmer kommen. Das zumindest belegt jetzt eine Studie, die das Team rund um den Bildungsforscher Professor Klaus Klemm an der Uni Duisburg-Essen veröffentlicht hat. Hallo, Herr Klemm.

    Klaus Klemm: Guten Tag.

    Maleike: Welches Zukunftsszenario zeichnen Sie mit Ihrer Studie? Auf was müssen wir uns noch gefasst machen im Hinblick auf die Lehrerversorgung?

    Klemm: Wenn die Lehrerversorgung sich an den augenblicklichen Versorgungsziffern - wie viele Kinder kommen auf einen Lehrer, wie viele Kinder lernen in einer Klasse, wie viel Unterricht gibt ein einzelner Lehrer - wenn sie sich daran orientiert, zeichnet sich im Augenblick nicht ab, dass sich irgendetwas im deutschen Schulsystem, was die Personalseite angeht, verbessern wird. Wir werden perspektivisch in einzelnen Bereich Mangelsituationen haben, was die Lehrerversorgung angeht und zugleich - das ist das schwierige und auch schwer vermittelbare - zugleich aber Überschusssituationen in anderen Bereichen haben. Wir haben dieses Jahr in Deutschland insgesamt etwa 24, 25.000 Lehrer neu in Beschäftigungen übernommen. Aber wir haben zugleich etwa 25.000 Bewerber, die in den Schuldienst eintreten wollen, nicht einstellen können.

    Maleike: Das ist ja eine völlig paradoxe Situation. Wie geht das zusammen?

    Klemm: Na ja, es ist leider so, dass immer dann, wenn Arbeitsmarktdaten den jungen Leuten, den Abiturienten signalisieren, Lehrer werden wieder gebraucht - und das ist seit zwei, drei Jahren ein deutliches Signal aus der Politik auch ...

    Maleike: Also der Schweinezyklus.

    Klemm: Ja, ich benutze den Begriff nicht so gerne, aber so heißt das dann oft. Immer wenn das wieder signalisiert wird, dann sagen sich die jungen Abiturientinnen und Abiturienten, das ist wieder eine Perspektive, ich studiere in Richtung Lehramt. Aber leider orientieren sie sich dabei nicht an den fachspezifischen und auch an den schulformspezifischen Bedarfssituationen. Wir haben einen großen Bedarf - ich nehme mal den Hit da - einen großen Bedarf etwa an Mathematiklehrern oder auch an Physiklehrern in den Gymnasien. Aber wir haben zum Beispiel einen ausgesprochen geringen Bedarf an Lehrern, die das Unterrichtsfach Pädagogik studiert haben. Oder generell, um es etwas zu polarisieren: Die Lehrer, die geisteswissenschaftliche Fächer studieren, werden immer weniger Berufschancen haben als die Lehrer, die mathematisch-naturwissenschaftliche Fächer studieren. Da ist ein Potential, das voraussichtlich in den kommenden Jahren nicht reichen wird, um unseren Bedarf zu decken.

    Maleike: Jetzt ist es ja so, dass wir im Moment auch in einer leicht anlaufenden Pensionswelle sind. Die Kultusministerkonferenz hat ausgerechnet, dass bis zum 2015 knapp die Hälfte der rund 790.000 hauptberuflichen Lehrer in den Ruhestand gehen. Müsste da nicht eigentlich die Situation sich langsam auch entspannen oder wird einfach immer gespart, wenn ein Lehrer geht?

    Klemm: Nein, nein, wir haben in den letzten Jahren nicht jeden Lehrer wieder ersetzt. Und das wird auch in den nächsten Jahren so bleiben, das ist meine ziemlich sichere Einschätzung. Aber wir haben zugleich in den letzten Jahren mehr Einstellungen als viele Jahre zuvor - dieses Jahr knapp 25.000, in der gleichen Größenordnung in den letzten zwei, drei Jahren. Wir waren in Westdeutschland, also ohne die neuen Länder, waren wir in den 80er Jahren mal bei 5000, 6000 Lehrern, die nur noch eingestellt wurden. Also wir haben schon einen deutlich wieder hoch fahrenden Einstellungskorridor. Es werden auch viele Lehrer ersetzt, aber nicht alle, weil auch die Schülerzahlen sinken. Wenn man über das hinausginge, was im Augenblick eingestellt wird, dann könnte man die Schule deutlich verbessern, aber das zeichnet sich in meiner Sicht im Augenblick nicht ab.

    Maleike: Warum nicht? Weil einfach der Sparkurs regiert oder weil vielleicht einige Landesregierungen - salopp formuliert - den Knall noch nicht gehört haben, den es dann bald vielleicht tun könnte?

    Klemm: Ich kann mir nicht vorstellen, dass in irgendeinem Kultusministerium der Knall noch nicht gehört worden ist. Aber es ist nun mal so, dass die Kultusminister sich gegenüber den - ich sage jetzt mal etwas polarisierend - gegenüber den Finanzministern nicht so richtig durchsetzen können. Wenn wir die öffentlichen Bildungsausgaben Deutschlands für die Jahre 2002, das war das PISA-Veröffentlichungsjahr, 2002, 2003, 2004, über die Jahre haben wir Daten, wenn wir uns die anschauen, sind in den drei Jahren die Bildungsausgaben real gesunken, nicht gestiegen. Und das in einer Zeit, wo in kaum einer bildungspolitischen Rede nicht der Satz vorkommt, Bildungsausgaben sind Investitionen in die Zukunft.

    Maleike: Was heißt das jetzt in der Konsequenz für die Schulen, für die Arbeit in den Schulen?

    Klemm: Für die Arbeit in den Schulen heißt das, wir werden insgesamt keine gravierenden Verbesserungen kriegen. Ich sehe nicht, wie mit den Personalplanungen derzeit die Ganztagsschulen deutlich ausgebaut werden. Ich sehe nicht, dass Klassen kleiner werden. Ich sehe nicht, dass wir mehr Lehrer und Lehrerinnen für die individuelle Förderung einzelner Schüler haben.

    Maleike: Also schreit das nach Empfehlungen. Welche Empfehlung haben Sie aus Ihrer Studie abgeleitet?

    Klemm: Erstens, was das Aufnehmen des Lehrerberufs angeht: Junge Leute, die Spaß daran haben, mit Kindern und Jugendlichen zu arbeiten, sollen den Beruf ergreifen und sollen darauf setzen, dass sie mit ihrer eigenen Kompetenz sich auch durchsetzen werden. Wer aber diesen Beruf nur ergreift, weil es eine Verlegenheitslösung ist - ich sage immer etwas polemisch, wir brauchen keine jungen Leute in den Schulen, die Kinder noch nie haben leiden können - wer also aus Mangel an Alternativen, aus anderen Interessen diesen Beruf ergreift, der sollte lieber die Finger davon lassen.

    Maleike: Letzte Frage: Hat die Kultusministerkonferenz sich in irgendeiner Form schon als Reaktion an Sie gewendet?

    Klemm: Nein. Was mich etwas beunruhigt ist, wir machen diese Studien seit vier, fünf Jahren, und immer so ein halbes Jahr danach macht die Kultusministerkonferenz eine eigene Studie, die in der Regel unsere Daten im Kern bestätigt hat. Für das Jahr 2005 fehlt eine solche Untersuchung der Kultusministerkonferenz. Ich weiß nicht, ob für das Jahr 2006 wieder eine geplant ist. Wenn die Kultusministerkonferenz aus diesem Geschäft aussteigt, ist die Informationsbasis für die Abiturienten und die Abiturientinnen und für die, die sie beraten, noch schlechter, als sie jetzt schon ist. Denn so seriös, wie ich meine, dass wir arbeiten, für eine Beratungsbasis beruft sich ein Berater am Arbeitsamt, ein Lehrer, der Abiturienten berät, natürlich lieber auf offizielle KMK-Statistiken, als auf das, was eine Essener Hochschulgruppe gemacht hat.