Es steht nicht gut um Afrika. Insbesondere um Schwarzafrika.
Nirgendwo auf der Welt herrscht so viel Armut und Krieg wie eben dort. Daran wird sich in der voraussehbaren Zukunft wohl wenig ändern. Allein schon auf Grund des außerordentlichen Bevölkerungswachstums. 1950 zählte Schwarzafrika rund 200 Millionen Einwohner. Mittlerweile hat sich diese Zahl auf über 650 Millionen mehr als verdreifacht. Bis zum Jahr 2050 wird sie sich – ungeachtet der vielzitierten Aids-Epidemie – noch einmal auf über 1,2 Milliarden Menschen verdoppelt haben. Ein solch exorbitantes Wachstum vermag keine Wirtschaft auf Dauer zu verkraften. Der Kampf um die Ressourcen, um Grund und Boden, verschärft sich. Wie geht es weiter in Afrika?
Eine – um es vorwegzunehmen, lesenswerte – Bestandsaufnahme der Probleme des nachkolonialen Afrikas haben jüngst zwei führende Afrikanisten vorgelegt. Beide lehren an der Universität Hamburg. Aus ihrer Einleitung:
"Afrika südlich der Sahara gehört zu den ärmsten Regionen der Welt. Die Mehrzahl der Afrikaner lebt heute unter schlechteren Lebensbedingungen als am Ende der Kolonialzeit. Afrika – obwohl reich an Bodenschätzen – ist kaum noch am Welthandel beteiligt. Und obwohl die meisten Länder noch vorwiegend Agrarländer sind, wächst Afrikas Abhängigkeit von Nahrungsmittelimporten. Helfen aber ist schwierig. Schon heute erhält Schwarzafrika pro Kopf der Bevölkerung im weltweiten Vergleich die meiste Entwicklungshilfe."
Selbstredend setzen sich die Autoren auch mit der Geschichte des Kontinents auseinander. Es mag überraschen, aber im Zeitalter der Entdeckungen, zwischen dem 15. und 18. Jahrhundert, blieb Afrika von den einstigen Kolonialmächten weitgehend unbeobachtet. Der Grund dafür war einfach: Amerika – Stichwort Landnahme – und Asien – Stichwort Handel – boten weit mehr. Sklaven waren – so schauerlich es klingen mag – der einzige Rohstoff, der über Jahrhunderte hinweg an Afrika interessierte.
Im transatlantischen Sklavenhandel sind über zwölf Millionen Schwarzafrikaner nach Amerika verschifft worden. Der Handel beruhte auf einem makabren Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage. Das Angebot kam von Afrika. Fang und Verkauf der Menschen lagen in schwarzafrikanischer Hand. Die Nachfrage kam aus Amerika, genauer gesagt, vom so genannten Plantagenamerika – von den Südstaaten der heutigen USA, aus der Karibik und aus Nordostbrasilien. Man benötigte Arbeitskräfte. Als London 1807 den transatlantischen Sklavenhandel verbot, brach bei westafrikanischen Herrschern Entsetzen aus. Zu gut hatten sie am Verkauf der Menschen verdient. Die Autoren beschreiben das so:
"Viele politische Führer Afrikas widersetzen sich der Abschaffung des Sklavenhandels. Könige von Asante, Dahomey und Lunda drohten damit, unverkaufte Häftlinge und Kriminelle hinrichten zu lassen."
Andere Herrscher suchten durch billige Sonderangebote, unter anderem an das spanische Kuba, im Geschäft zu bleiben. Über die Jahrhunderte hinweg verlief noch umfangreicher als der transatlantische Sklavenhandel der Menschenhandel in den arabisch-islamischen Raum. Die Zahl der davon betroffenen Menschen wird auf 17 Millionen geschätzt.
Europa begann sich erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mehr für Afrika zu interessieren. Dafür gab es Gründe. Nicht der geringste waren sich zuspitzende innereuropäische Gegensätze, vor allem zwischen Frankreich und England. Wollte Paris ein Stück Kolonie, wollte London nicht zurückstehen - und vice versa. Am Ende dieses Prozesses wurde Afrika unter den Kolonialmächten aufgeteilt. Allein England und Frankreich beanspruchten fortan fast drei Viertel der Gesamtfläche des Kontinents.
Blickt man zurück, war Afrika nur eine vergleichsweise kurze Zeit Kolonie, ein knappes Jahrhundert, vom Ende des 19. Jahrhunderts bis etwa um das Jahr 1960. Die Folgen waren nichtsdestoweniger tiefgreifend. Sie werden heute unter dem Begriff "Dialektik des Kolonialismus" diskutiert. Kolonialismus steht für Ausbeutung und Unterdrückung. Die Kolonialmächte brachten aber auch, über den Tag hinaus, nutzbare Neuerungen: Schulen, Krankenhäuser, Häfen, Straßen, Eisenbahnen. Die Autoren ziehen ein Fazit:
"Es spricht einiges dafür, die Langzeitwirkungen der europäischen Schule als die wichtigsten positiven Hinterlassenschaften des Kolonialismus, bedeutender als Straßen und Häfen, Eisenbahnen oder Bergwerke, anzusehen."
Den wiederholten Einwand, dass die aktuellen Probleme Afrikas Folgen des Kolonialismus seien, lassen die Autoren nur noch sehr bedingt gelten. Ein zentrales Problem ist in ihren Augen, dass auf dem Kontinent Staatsbildungen im hiesigen Vorverständnis weitgehend gescheitert sind:
"Das Ziel des 'nation-building' wurde nur selten erreicht. Der Staat ist in Afrika südlich der Sahara in der Regel nicht zu einer eigenständigen Institution geworden; er ist, umgangssprachlich ausgedrückt, 'nicht angekommen'."
Zu Zeiten des Kalten Krieges war diese Problematik in den Hintergrund gedrängt. West und Ost bemühten sich – selbstredend vornehmlich aus Eigeninteresse – um eine gewisse Stabilität auf dem Kontinent; sie unterstützten mit viel, wie auch immer definierter, Entwicklungshilfe das ihnen jeweils genehme Regime, mochte es auch noch so korrupt sein. Der Kalte Krieg aber ist mittlerweile Geschichte. Heute stellt sich nirgendwo auf der Welt das Problem des Staatszerfalls so drängend wie in Afrika. Auf dem Kontinent sind riesige Räume – ob in Zentral-, West- oder Ostafrika – bar jeder staatlicher Kontrolle.
"Ohne Staat jedoch, so die Autoren, ist kein sozialer Fortschritt möglich, droht Entzivilisierung."
Politik in Afrika wird heute weithin von Afrikanern verantwortet. Einfluss von außen ist nur begrenzt möglich. Er beschränkt sich vielfach auf die Gewährung von Entwicklungshilfe. Über die Hälfte aller afrikanischen Regierungen hängt mittlerweile substanziell von ihr ab. Sie stützt vielerorts, wie eh und je, korrupte und ineffiziente Regierungen. Die Autoren sind sich dieser Problematik sehr wohl bewusst, im Zweifelsfall – bevor Staatsverfall droht – sind sie jedoch für eine Fortführung von Hilfen. Nichts ist schlimmer als eine fortschreitende Anarchie auf dem Kontinent – übrigens auch für den Nachbarkontinent Europa. Sie schließen deshalb für die Zukunft die Notwendigkeit verstärkter militärischer Einsätze, auch von europäischer Seite, in Afrika nicht aus, schon damit Anarchie und Not auf dem Kontinent nicht ins Unendliche wuchern.
Die Bestandsaufnahme der Autoren fällt nüchtern aus, fast resignierend. So wohltuend die Sachlichkeit gegenüber ideologisch geprägten Afrika-Bänden auch ist, ein paar Hoffnungsschimmer, die es auch in Afrika gibt, hätten dem Werk nicht geschadet.
Reiner Tetzlaff und Cord Jakobeit: Das nachkoloniale Afrika
VS-Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden, 2005
304 Seiten
29 Euro
Nirgendwo auf der Welt herrscht so viel Armut und Krieg wie eben dort. Daran wird sich in der voraussehbaren Zukunft wohl wenig ändern. Allein schon auf Grund des außerordentlichen Bevölkerungswachstums. 1950 zählte Schwarzafrika rund 200 Millionen Einwohner. Mittlerweile hat sich diese Zahl auf über 650 Millionen mehr als verdreifacht. Bis zum Jahr 2050 wird sie sich – ungeachtet der vielzitierten Aids-Epidemie – noch einmal auf über 1,2 Milliarden Menschen verdoppelt haben. Ein solch exorbitantes Wachstum vermag keine Wirtschaft auf Dauer zu verkraften. Der Kampf um die Ressourcen, um Grund und Boden, verschärft sich. Wie geht es weiter in Afrika?
Eine – um es vorwegzunehmen, lesenswerte – Bestandsaufnahme der Probleme des nachkolonialen Afrikas haben jüngst zwei führende Afrikanisten vorgelegt. Beide lehren an der Universität Hamburg. Aus ihrer Einleitung:
"Afrika südlich der Sahara gehört zu den ärmsten Regionen der Welt. Die Mehrzahl der Afrikaner lebt heute unter schlechteren Lebensbedingungen als am Ende der Kolonialzeit. Afrika – obwohl reich an Bodenschätzen – ist kaum noch am Welthandel beteiligt. Und obwohl die meisten Länder noch vorwiegend Agrarländer sind, wächst Afrikas Abhängigkeit von Nahrungsmittelimporten. Helfen aber ist schwierig. Schon heute erhält Schwarzafrika pro Kopf der Bevölkerung im weltweiten Vergleich die meiste Entwicklungshilfe."
Selbstredend setzen sich die Autoren auch mit der Geschichte des Kontinents auseinander. Es mag überraschen, aber im Zeitalter der Entdeckungen, zwischen dem 15. und 18. Jahrhundert, blieb Afrika von den einstigen Kolonialmächten weitgehend unbeobachtet. Der Grund dafür war einfach: Amerika – Stichwort Landnahme – und Asien – Stichwort Handel – boten weit mehr. Sklaven waren – so schauerlich es klingen mag – der einzige Rohstoff, der über Jahrhunderte hinweg an Afrika interessierte.
Im transatlantischen Sklavenhandel sind über zwölf Millionen Schwarzafrikaner nach Amerika verschifft worden. Der Handel beruhte auf einem makabren Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage. Das Angebot kam von Afrika. Fang und Verkauf der Menschen lagen in schwarzafrikanischer Hand. Die Nachfrage kam aus Amerika, genauer gesagt, vom so genannten Plantagenamerika – von den Südstaaten der heutigen USA, aus der Karibik und aus Nordostbrasilien. Man benötigte Arbeitskräfte. Als London 1807 den transatlantischen Sklavenhandel verbot, brach bei westafrikanischen Herrschern Entsetzen aus. Zu gut hatten sie am Verkauf der Menschen verdient. Die Autoren beschreiben das so:
"Viele politische Führer Afrikas widersetzen sich der Abschaffung des Sklavenhandels. Könige von Asante, Dahomey und Lunda drohten damit, unverkaufte Häftlinge und Kriminelle hinrichten zu lassen."
Andere Herrscher suchten durch billige Sonderangebote, unter anderem an das spanische Kuba, im Geschäft zu bleiben. Über die Jahrhunderte hinweg verlief noch umfangreicher als der transatlantische Sklavenhandel der Menschenhandel in den arabisch-islamischen Raum. Die Zahl der davon betroffenen Menschen wird auf 17 Millionen geschätzt.
Europa begann sich erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mehr für Afrika zu interessieren. Dafür gab es Gründe. Nicht der geringste waren sich zuspitzende innereuropäische Gegensätze, vor allem zwischen Frankreich und England. Wollte Paris ein Stück Kolonie, wollte London nicht zurückstehen - und vice versa. Am Ende dieses Prozesses wurde Afrika unter den Kolonialmächten aufgeteilt. Allein England und Frankreich beanspruchten fortan fast drei Viertel der Gesamtfläche des Kontinents.
Blickt man zurück, war Afrika nur eine vergleichsweise kurze Zeit Kolonie, ein knappes Jahrhundert, vom Ende des 19. Jahrhunderts bis etwa um das Jahr 1960. Die Folgen waren nichtsdestoweniger tiefgreifend. Sie werden heute unter dem Begriff "Dialektik des Kolonialismus" diskutiert. Kolonialismus steht für Ausbeutung und Unterdrückung. Die Kolonialmächte brachten aber auch, über den Tag hinaus, nutzbare Neuerungen: Schulen, Krankenhäuser, Häfen, Straßen, Eisenbahnen. Die Autoren ziehen ein Fazit:
"Es spricht einiges dafür, die Langzeitwirkungen der europäischen Schule als die wichtigsten positiven Hinterlassenschaften des Kolonialismus, bedeutender als Straßen und Häfen, Eisenbahnen oder Bergwerke, anzusehen."
Den wiederholten Einwand, dass die aktuellen Probleme Afrikas Folgen des Kolonialismus seien, lassen die Autoren nur noch sehr bedingt gelten. Ein zentrales Problem ist in ihren Augen, dass auf dem Kontinent Staatsbildungen im hiesigen Vorverständnis weitgehend gescheitert sind:
"Das Ziel des 'nation-building' wurde nur selten erreicht. Der Staat ist in Afrika südlich der Sahara in der Regel nicht zu einer eigenständigen Institution geworden; er ist, umgangssprachlich ausgedrückt, 'nicht angekommen'."
Zu Zeiten des Kalten Krieges war diese Problematik in den Hintergrund gedrängt. West und Ost bemühten sich – selbstredend vornehmlich aus Eigeninteresse – um eine gewisse Stabilität auf dem Kontinent; sie unterstützten mit viel, wie auch immer definierter, Entwicklungshilfe das ihnen jeweils genehme Regime, mochte es auch noch so korrupt sein. Der Kalte Krieg aber ist mittlerweile Geschichte. Heute stellt sich nirgendwo auf der Welt das Problem des Staatszerfalls so drängend wie in Afrika. Auf dem Kontinent sind riesige Räume – ob in Zentral-, West- oder Ostafrika – bar jeder staatlicher Kontrolle.
"Ohne Staat jedoch, so die Autoren, ist kein sozialer Fortschritt möglich, droht Entzivilisierung."
Politik in Afrika wird heute weithin von Afrikanern verantwortet. Einfluss von außen ist nur begrenzt möglich. Er beschränkt sich vielfach auf die Gewährung von Entwicklungshilfe. Über die Hälfte aller afrikanischen Regierungen hängt mittlerweile substanziell von ihr ab. Sie stützt vielerorts, wie eh und je, korrupte und ineffiziente Regierungen. Die Autoren sind sich dieser Problematik sehr wohl bewusst, im Zweifelsfall – bevor Staatsverfall droht – sind sie jedoch für eine Fortführung von Hilfen. Nichts ist schlimmer als eine fortschreitende Anarchie auf dem Kontinent – übrigens auch für den Nachbarkontinent Europa. Sie schließen deshalb für die Zukunft die Notwendigkeit verstärkter militärischer Einsätze, auch von europäischer Seite, in Afrika nicht aus, schon damit Anarchie und Not auf dem Kontinent nicht ins Unendliche wuchern.
Die Bestandsaufnahme der Autoren fällt nüchtern aus, fast resignierend. So wohltuend die Sachlichkeit gegenüber ideologisch geprägten Afrika-Bänden auch ist, ein paar Hoffnungsschimmer, die es auch in Afrika gibt, hätten dem Werk nicht geschadet.
Reiner Tetzlaff und Cord Jakobeit: Das nachkoloniale Afrika
VS-Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden, 2005
304 Seiten
29 Euro