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Kein Geld, aber neue Straßen

Um in Krisenzeiten die Wirtschaft anzukurbeln, investieren Regierungen nicht selten in Infrastruktur und Straßenbauprojekte: Auch Portugal möchte deswegen sein Autobahnnetz ausbauen. Einziges Problem: Es gibt bereits viele Autobahnen in Portugal, die kaum befahren werden.

Von Jochen Faget |
    Portugals Ministerpräsident José Sócrates ist ein Autobahnfan: Vor kurzem, bei der Bauvergabe eines neuen Teilstücks in die an der spanischen Grenze gelegenen Stadt Bragança, erklärte er stolz:

    "Mit dieser Investition wollen wir die Wirtschaftskrise bekämpfen. Wir werden Arbeitsplätze schaffen. Wir werden die Lebensqualität der Portugiesen verbessern und unserer Wirtschaft neue Impulse geben."

    Nur glauben immer weniger Fachleute an diese Versprechen. Fast 3000 Kilometer Autobahnen gibt es in Portugal bereits und in den nächsten vier Jahren sollen weitere 1400 Kilometer dazu kommen. Dabei hat das arme Land am Westende Europas bereits die meisten - und am schwächsten befahrenen - Autobahnkilometer pro Einwohner und Fläche in der EU. Mit dem Schnellstraßennetz wachse ein Schuldenberg, der eigentlich nicht zu verantworten sei, meint José Viegas, Professor an der Technischen Hochschule Lissabon:

    "Die Regierungen dieses Landes haben sich wie jemand verhalten, der mit ungedeckter Kreditkarte bezahlt. Wenn die Abrechnungen kommen, erschrecken sie. Und die Rechnung, die dann auf unsere Kinder und Enkel übergeht, wird fast unbezahlbar sein. Wir laufen Gefahr, dass die nächste Generation kaum noch Entscheidungsfreiheit hat, wofür sie öffentliche Gelder ausgeben will, weil wir schon alles verschwendet haben."

    Der Fachmann für Fernstraßenbau kritisiert, dass Portugal den Ausbau der billigeren Nationalstraßen vernachlässigt und stattdessen auf die viel teureren Autobahnen gesetzt habe. Aus innenpolitischen Gründen und weil eine sonderbare EU-Schulden-Arithmetik das ermöglicht hat:

    "Es musste ja alles ganz schnell gehen, nach dem Motto: heute einweihen und morgen bezahlen. Da Autobahnen in Portugal in Konzessionen gebaut werden und Maut kosten, ist die Haushaltsbelastung kleiner. Eine Nationalstraße dagegen müsste gleich vom Staat bezahlt werden. Es handelt sich um eine Mischung aus zu großer Eile und finanzieller Unvorsicht, die zu dieser unsinnigen Situation geführt hat, dass ein armes Land mit großen Problemen so viele Autobahnen hat."

    In der Tat eine verführerische Milchmädchenrechnung: Zuerst bezahlt die EU rund ein Viertel der Autobahnen, den Rest muss das Unternehmen aufbringen, das die Autobahn betreibt. 30 Jahre lang zahlt der Staat dann eine Nutzungsgebühr, die aber nach EU-Regelung nicht in die Staatsverschuldung eingerechnet wird. Doch weil auch in Portugal das Geld wegen der Wirtschaftskrise immer weniger wird, dürfte sie nicht aufgehen, fürchtet José Viegas. Ganz abgesehen davon, dass Portugal außer dem Autobahnbau sehr wenig für die Landesentwicklung tue. Das findet der Antropologe und Soziologe Ricardo Vieira.

    "Autobahnen verbinden nicht nur, sie trennen auch. Sie verbinden zwar die wenigen großen Städte. Aber sie entfernen die Provinz und das Landesinnere. Vielen Menschen wird so eine gewisse Lebensqualität vorenthalten, die es geben könnte, würde nicht nur in Autobahnen investiert."

    Denn das Geld, das in den Autobahnbau gesteckt wird, fehle beim Bau von Schulen, Krankenhäusern, Kindergärten und anderen wichtigen Infrastrukturen. Ricardo Vieira, weiß, wovon er spricht. Er ist Professor an der Fachhochschule im mittelportugiesischen Leiria:

    "Portugal ist eben nicht nur Lissabon, Porto und der dicht besiedelte Küstenstreifen. Portugal ist vor allem das Landesinnere. Und damit die Menschen dort sich fortbewegen können, brauchen sie andere Straßen. National- und Gemeindestraßen, die auch kleinere Orte verbinden, oder Autobahnzubringer. Aber all das gibt es nicht."