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Kein Geld für liberale Juden?

Katja Lückert: Im letzten Jahr wurde der Staatsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Zentralrat der Juden unterzeichnet. Darin ist von einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit die Rede und von Zuschüssen in Höhe von jährlich drei Millionen Euro, die der Zentralrat erhält. Die in der Union Progressiver Juden in Deutschland organisierten liberalen Gemeinden bekommen bisher von diesem Geld nichts. Das kritisieren Sie, Jan Mühlstein?

    Jan Mühlstein: Das kritisieren wir, das ist richtig, denn dieses Geld ist nicht nur für die Zentralratsgemeinden, beziehungsweise für den Zentralrat bestimmt, sondern für die gesamte jüdische Gemeinschaft in Deutschland. Diesen Willen hat das Parlament bei der Ratifizierung des Vertrags bekundet, und die Parlamentarier haben uns ihren Willen bestätigt.

    Lückert: Herr Mühlstein, Sie sind Vorsitzender der Union Progressiver Juden in Deutschland. Wie viele Menschen zählen Sie zu dieser Union zugehörig? Denn die Zuschussfrage ist natürlich auch immer ein Frage des Verhältnisses zu der Zahl etwa derjenigen, die der Zentralrat der Juden vertritt.

    Mühlstein: Der Zentralrat der Juden vertritt dreiundachtzig Gemeinden, der Union Progressiver Juden gehören fünfzehn Gemeinden an. Das ist einmal zum Vergleich; bei der Mitgliederzahl ist der Vergleich schwieriger, weil die Grundlage etwas anders ist. In den Zentralratsgemeinden sind Menschen erfasst, die sich bei den Einwohnermeldeämtern als jüdisch gemeldet haben, während bei den liberalen Gemeinden, nur der gezählt wird, der aktiv eingetreten ist. Sie haben etwa dreitausend Mitglieder. Der Zentralrat spricht bei seinen Gemeinden von etwa hunderttausend.

    Lückert: Geht es denn in diesem innerjüdischen Konflikt, wie es im Moment noch scheint, tatsächlich nur um Geld, oder gibt es da noch andere Empfindlichkeiten?

    Mühlstein: Es geht im Grunde genommen darum, in welcher Form sich das Judentum künftig in Deutschland organisieren wird. Bis jetzt war es ja so, dass es eine einheitliche Organisation gegeben hat, die es aber nicht geschafft hat, die neuen entstandenen liberalen Gemeinden zu integrieren. Wir waren zu dieser Integration bereit; der Zentralrat, seine Landesverbände, seine Ortsgemeinden sind aber diesen Weg bisher nicht gegangen. Es geht also darum, wie erreicht wird, dass die staatliche Förderung - und da geht es auch um Geld - allen jüdischen Gemeinden in Deutschland zukommt. Denn das jüdische Leben spielt sich nicht im Zentralrat oder seinen Landesverbänden ab, sondern in den Gemeinden vor Ort. Auch die liberalen Gemeinden müssen Miete für die Synagogen bezahlen, müssen Gehälter für ihre Rabbi- und Religionslehrer zahlen, müssen Integrationskurse für die Zuwanderer organisieren.

    Lückert: Jetzt muss ich noch mal nachfragen, wieso bricht dieser Konflikt erst jetzt aus, gab es nicht früher schon Gelder der Bundesregierung, an denen die Union hätte partizipieren wollen?

    Mühlstein: Die Union und ihre Gemeinden verhandeln seit gut acht Jahren geduldig mit den jüdischen Organisationen, mit den öffentlichen Stellen, und dieser Konflikt existiert also schon seit einigen Jahren. Das Neue ist, dass wir uns nicht mehr auf Versprechungen verlassen wollen und auch nichts mehr auf die lange Bank schieben wollen, sondern, dass wir rechtliche Mittel angekündigt haben, wenn unsere Rechte nicht endlich erfüllt werden. Darauf reagiert jetzt der Zentralrat, darauf reagiert auch die Öffentlichkeit und auch die Bundesregierung.

    Lückert: Was erwarten Sie sich von dem morgigen Spitzengespräch?

    Mühstein: Eine schnelle und pragmatische Lösung.

    Lückert: Glauben Sie an die?

    Mühlstein: Ich glaube, dass eine Lösung gefunden wird; die Frage ist, in welcher Form. Die eine, nämlich, dass der Zentralrat uns endlich an dem Dreimillionen-Zuschuss beteiligt, halte ich für sehr unwahrscheinlich. Vermutlich wird es zu einer Lösung der Bundesregierung, zu der Direktförderung der Union Progressiver Juden kommen.

    Lückert: Zusätzliche Gelder?

    Mühlstein: Ja, zusätzliche Gelder zur Verfügung stellen.

    Lückert: Vielleicht zum Abschluss: Finden Sie es gewagt zu fragen, ob gerade dieser innerjüdische Konflikt auch ein Zeichen der Normalisierung ist?

    Mühlstein: Ich glaube, dass es ein Zeichen der Normalisierung ist, dass man wahrnimmt, dass die jüdische Gemeinschaft kein Monolith ist, sondern aus unterschiedlichen Strömungen besteht und auch Konflikte hat, die ausgetragen werden. Ich halte es für ungesund, wenn man Konflikte leugnet, unter den Teppich kehrt. Natürlich wäre ich froh, wenn sie in anderer Form ausgetragen werden würden.

    Lückert: Jan Mühlstein, Vorsitzender der Union Progressiver Juden in Deutschland war das.