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Kein Geld für Operationen

Deutschlands Klinikärzte fordern bessere Arbeitsbedingungen und 30 Prozent mehr Gehalt. Ähnliches gibt es auch aus Großbritannien zu berichten. Trotz einer boomenden Wirtschaft befindet sich der staatliche Gesundheitsdienst auf der Insel in einer schweren Krise. Martin Zagatta berichtet aus London.

    Alarm geschlagen hat der Verband der Krankenschwestern auf der Insel. Fast 8000 Entlassungen sind seinen Angaben zufolge im ohnehin Not leidenden britischen Gesundheitswesen angekündigt worden, innerhalb nur weniger Wochen und bis zum Monatsende werde sich die Zahl der Kündigungen womöglich schon auf 13.000 belaufen.

    Man habe soviel Zeit damit verbracht, zusätzliche Krankenschwestern für zusätzliche Aufgaben auszubilden und nun entlasse man sie einfach – ein rücksichtloses Vorgehen, das auch gegenüber den Patienten unverantwortlich sei, klagt Judith Walley.

    Sie ist die Sprecherin der Beschäftigten eines Krankenhauskomplexes in Birmingham, der ihren Angaben zufolge gerade 800 Jobs gestrichen hat, darunter die Stellen von 250 Krankenschwestern und Pflegerinnen. Obwohl die Regierung versucht, mit soviel Geld wie noch nie zuvor dem schlechten Ruf britischer Hospitäler beizukommen, ist das staatliche Gesundheitssystem NHS tief in die roten Zahlen geraten. Ein Viertel der aus Steuergeldern und nicht aus Beiträgen finanzierten Gesundheitsbehörden ist derart in Geldnot, dass Operationen verschoben werden, Personal entlassen wird und ganzen Krankenhäusern die Schließung droht. Zustände, gegen die die Krankenschwestern jetzt protestieren - und die auch deshalb für Empörung sorgen, weil die Gesundheitsministerin Patricia Hewitt, um sich zu verteidigen, vorgebracht hat, der NHS befinde sich im besten Jahr seiner gesamten Geschichte.

    Die Ministerin will die britische Öffentlichkeit davon überzeugen, dass die Regierung nicht nur für eine bessere und schnellere Pflege gesorgt hat, sondern dass sie auch das Bestmögliche bietet für das zusätzliche Geld, das sie in das Gesundheitswesen gepumpt hat - Eigenlob, das zum Teil sogar berechtigt ist. Um den vernachlässigten Service zu verbessern, hat die Labour-Regierung den Gesundheitsetat fast verdreifacht seit ihrem Amtsantritt 1997. Mit umgerechnet 130 Milliarden Euro pro Jahr gibt London nach Brüsseler Angaben mittlerweile vergleichbar viel aus wie andere EU-Staaten. Unter New Labour seien 85 000 zusätzliche Krankenschwestern eingestellt worden, hat Premierminister Tony Blair gestern angeführt. Die britischen Ärzte gehörten jetzt zu den bestbezahlten überhaupt und niemand müsse mehr länger als ein halbes Jahr auf eine Operation warten, beileibe keine Selbstverständlichkeit in Großbritannien.

    Für Oppositionsführer David Cameron dagegen sind die Entlassungen jetzt Beleg für die Misswirtschaft der Regierung. Und wenn Ministerin Hewitt vom "besten Jahr" für den Gesundheitsdienst spricht, so meint der Chef der konservativen Tories, dann müsse man fragen, auf welchem Planeten sie lebt.

    Politiker, Krankenhäuser und Ärzte geben sich gegenseitig die Schuld an dem Defizit. Aus Sicht der Gewerkschaften treibt die Labour-Regierung den Gesundheitsdienst in den Ruin, in dem sie aus Steuern finanzierte medizinische Hilfe auch in privaten Behandlungszentren zugelassen hat. Bleibt es bei dem Stellenabbau, wollen sie jetzt landesweite Streiks organisieren.

    Wir werden unsere Mitglieder verteidigen, wenn ihnen die Entlassung droht. Niemand wolle einen Streik, so Dave Prentis, der Gewerkschaftschef der öffentlich Bediensteten, aber letztlich gebe es gar keine andere Möglichkeit, sollte der Jobabbau vorangetrieben werden. Die Zeitung "Sun" geht davon aus, dass nach der Empörung über die Äußerungen der Gesundheitsministerin zumindest in den nächsten Tagen keine weiteren Krankenschwestern entlassen werden. Mit den Kündigungen werde jetzt wohl gewartet, so das Blatt, bis nach den Kommunalwahlen in der nächsten Woche.