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Kein Geld im Hut

Nie waren die Nachwuchskräfte im Jazz so gut und so gut ausgebildet wie heute: Mittlerweile hat fast jede deutsche Musikhochschule einen Jazzstudiengang. Eine goldene Zukunft steht aber nicht jedem der Absolventen bevor.

Von Elske Brault | 05.09.2011
    Eigentlich sollte die Berliner Pianistin Clara Haberkamp nur im maximal hundert Zuschauer fassenden Schlosscafé auftreten. Die Flugzeug-Verspätung einer anderen Band gab ihrem Trio die Chance zum Sprung auf die große Bühne. Erstmals sang Haberkamp vor 800 Menschen, dabei aufgezeichnet von Fernsehkameras und Radiomikrofonen:

    "Ich hab es auch schon andersrum erlebt. Dass mehr Leute auf der Bühne standen als im Publikum. Ich hab erst kürzlich 'nen Gig gespielt, da waren glaub ich vier Leute im Publikum, und wir waren ein Quintett."

    Trio-Schlagzeuger Tilo Weber ist wie seine Bandleaderin 21 und studiert mit ihr seit zwei Jahren am Jazzinstitut Berlin. In der Hauptstadt ist es leicht, mit erfahreneren Musikern in Kontakt zu kommen und beinahe jeden Abend zu spielen. Die nötige Erfahrung zu sammeln. Wenngleich unentgeltlich.

    "Erstens hat jeder mal so angefangen, und zweitens: Mein Anspruch ist es eigentlich, genau so gute Musik zu machen in einer Kneipe vor drei Leuten wie auf dem Jazz-Baltica-Festival vor ganz ganz vielen Leuten und Fernsehen."

    Weniger Zuhörer im Raum, als er bei seinen üblichen Auftritten Musiker um sich herum hat: Das kennt auch Trompeter Claus Stötter, Mitglied der 18-köpfigen NDR-Bigband, wenn er in Hamburg mit einer kleineren Formation vor einem Dutzend Menschen spielt. Auf Gage kann Stötter dank seines Bigband-Gehaltes verzichten. Aber er findet es dennoch empörend, dass Musiker immer häufiger umsonst spielen und Berliner Clubs nicht mal mehr Eintritt verlangen.

    "Ich hab heut' morgen erst 'ne Geschichte gehört – das ist jetzt der Höhepunkt – dass da 'ne Band gespielt hat, und der Laden war voll. Und die Leute waren begeistert, und es ging eben der Hut rum und wurde das Gesammelte in der Band verteilt. Und da kam dann 2,50 Euro pro Musiker raus, obwohl der Laden voll war. Aber die Mentalität der Leute ist: Naja Musik, das nimmt man mit, aber da muss man ja nichts dafür geben."

    Vor dreißig Jahren habe es noch wenigstens einen Hunderter pro Abend gegeben, auch die Gagen auf Festivals würden immer weiter gedrückt, mäkelt Stötter. Er fragt sich, in welche Zukunft er seine Schüler entlässt. Schließlich kann nicht jeder solch eine Bilderbuch-Karriere machen wie Pianist Michael Wollny, der mit 33 schon mehrere Alben herausgebracht und diverse Preise gewonnen hat.

    ""Ich glaube, man kann nicht in dem Beruf davon ausgehen, dass es so eine Art Reißbrettkarriere gibt. Man muss dann das und das und das machen, und wenn man die alle Punkte verbindet, dann ist man glücklich, man hat's geschafft, und alle anderen fallen ab. Im Gegenteil, das Schöne an dem künstlerischen Beruf ist ja gerade, dass man gar nicht weiß, wo die Reise hingeht. Man muss eben offen sein. Was ich ganz häufig sehe, ist einfach, dass es für jeden so eine Nische zu geben scheint, auf die sich so ein Leben dann auch hinbewegt."

    Wollnys frühere Kommilitonen verdienen ihren Lebensunterhalt ganz unterschiedlich: manche mit Werbespots oder Auftritten bei Hochzeiten, manche in einem anderen Beruf mit der Musik als Hobby. Viele unterrichten – eine sichere Einnahmequelle. Doch Schlagzeuger Tilo Weber will keinesfalls als Lehrer enden.

    "Ich weiß, dass ich auf jeden Fall das machen will, was ich jetzt gerade anfange: Konzerte zu spielen, auf Tour zu gehen. Und ich weiß auf jeden Fall, dass ich mit sehr wenig Geld zurechtkommen kann. Und ich bin mir dessen bewusst, dass ich vielleicht die nächsten zwanzig Jahre diesen Lebensstandard haben werde, den ich jetzt als Student hab."

    "Also ich muss nicht reich sein, aber ich möchte schon Kinder, ich will 'ne Familie, ich will auch 'ne vernünftige Wohnung haben."

    Deswegen betreibt Clara Haberkamp mit besonderem Eifer ihr Kompositions-Studium: Sie will eines Tages nicht nur für ihr Trio Lieder schreiben, sondern beispielsweise auch Filmmusik. Da gibt es noch etwas zu gewinnen. Clara weiß, wie unsicher ihre Zukunft ist. Und sie kennt nur ein Rezept gegen die Angst:

    "Dass man versucht, bei sich zu bleiben. Und dass man irgendwie auf seine innere Stimme hört und der auch vertraut, dass es schon irgendwie funktionieren wird."