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Kein grün-schwarzes Experiment

Am Sonntag wird die Bürgerschaft von Bremen neu gewählt. Die Prognosen für die Grünen sind mehr als gut und die Spitzenkandidatin der Ökopartei, Karoline Linnert, will auch weiterhin mit der SPD regieren.

Von Christina Selzer | 18.05.2011
    Wahlkampf bei den Grünen. Eine Band spielt, auffällig viele jüngere Leute sind da. Aus Berlin ist Renate Künast gekommen, die im Herbst Klaus Wowereit als Regierenden Bürgermeister ablösen will. Künast lobt die Bremer Grünen und ist überzeugt, dass sie noch stärker werden als beim letzten Mal.

    "Bremen hat an der Stelle eine ganz herausragende Bedeutung, weil in Bremen auch eine wichtige Entscheidung getroffen wurde, nämlich: der Offshore-Terminal."

    Die Bremer Spitzenkandidatin Karoline Linnert strahlt. Die 52-jährige rothaarige Politikerin ist in ihrer Partei beliebt. Mit 97 Prozent der Stimmen wurde die Psychologin zum zweiten Mal zur Spitzenkandidatin gekürt. In Bremen gründete sie vor mehr als 30 Jahren die Grünen mit. Seit 1992 ist sie Abgeordnete der Bürgerschaft, war unter anderem Fraktionsvorsitzende und haushaltspolitische Sprecherin. Heute ist sie Finanzsenatorin und könnte sogar, wenn sie die CDU ins Boot holen würde, ins Rathaus einziehen und Bürgermeisterin werden - die CDU-Spitzenkandidatin Rita Mohr-Lüllmann wirbt jedenfalls dafür. Sie werde oft gefragt, sagt Linnert bei der Kundgebung, ob sie sich eine schwarz-grüne Koalition vorstellen könne. Allein die Frage hält sie für abwegig. Nur aus Machtgier ein funktionierendes Bündnis über Bord zu werfen, komme für sie nicht in Frage.
    "Wir möchten die Koalition mit der SPD fortsetzen, das heißt nicht, dass wir uns immer lieb haben, die SPD braucht öfter unserer Hilfe, um auf Kurs zu bleiben."

    Die Bremer Grünen sind selbstbewusst. Kein Wunder. Schon bei der Bürgerschaftswahl im Jahr 2007 kamen sie in der Hansestadt mit ihrer Spitzenkandidatin Karoline Linnert auf 16,4 Prozent der Stimmen. Für die Wahl am Sonntag sagt Infratest Dimap 24 Prozent voraus. Das wäre eine Sensation - die Grünen würden die CDU im Parteien-Ranking auf Platz drei verweisen. Zum ersten Mal in Deutschland. Natürlich profitiert die Ökopartei vom sogenannten Fukushima-Effekt. Doch ihre Erfolgsgeschichte reicht viel weiter zurück. In Bremen war die Anti-AKW-Bewegung stark. Hier zogen die Grünen schon 1979 ins Parlament ein, als die Bundes-Partei noch gar nicht gegründet war. Inzwischen sind sie auf dem Weg in die gesellschaftliche Mitte. Nicht nur in alternativen Milieus punkten die Grünen, sondern längst auch in der Vierteln der Besserverdienenden. Auch der SPD haben sie Stimmen abgejagt. Doch die Sozialdemokraten, die in der Hansestadt schon seit Kriegsende in verschiedenen Koalitionen regieren, sitzen weiterhin fest im Sattel.

    Für den SPD-Wahlkampf sind Olaf Scholz aus Hamburg und Matthias Platzeck aus Potsdam angereist. Gemeinsam betreten sie zu Beethovens Klängen die Bühne, die in einer alten Industriehalle aufgebaut ist. Matthias Platzeck lobt die Eigenschaften des Spitzenkandidaten:

    "Der Showeffekt, der inzwischen in der Politik überhand genommen hat, ist Böhrnsen nicht eigen: Seriosität, Kompetenz und Verlässlichkeit."

    Jens Böhrnsen steht auf der Bühne und lächelt durch seine randlose Brille. Der 61jährige gilt als seriöser Bürgermeister und fleißiger Arbeiter. Er war Amtsrichter, bevor er in die Politik wechselte. Wirkte Böhrnsen zu Beginn seiner Amtszeit 2005 blass gegen seinen charismatischen Vorgänger Henning Scherf, hat sich das inzwischen geändert. Viele sagen, er sei mit seinen Aufgaben gewachsen und weisen darauf hin, mit welchem Format Böhrnsen das Amt des Staatsoberhauptes ausfüllte, als er als Bundesratspräsident im vergangenen Sommer für ein paar Wochen den zurückgetretenen Bundespräsidenten Horst Köhler vertrat. Stimmen aus dem Volk:

    "Das hat er sehr gut gemacht."
    "Er kommt authentisch rüber."
    "Er ist einer der wenigen Politiker, von denen ich sage kann, dem kann man vertrauen."

    Für die Genossen läuft es jedenfalls gut. Umfragen sagen der rot-grünen Regierung eine satte 60-Prozent-Mehrheit voraus. Und Böhrnsen hat sogar höhere Zufriedenheitswerte als seine Partei.

    "Mein Ziel ist, wieder stärkste Kraft zu werden, wir haben viel Unterstützung für rot-grün, aber ich möchte nicht übermütig sein."

    Nicht übermütig werden, das ist so ein Satz, der zum Image des bescheidenen Bremer Bürgermeisters passt. Dabei weiß er ganz genau: Für die Bundes-SPD ist Bremen immer eine kleine Ermutigung, denn das kleinste Bundesland ist eine Bastion sozialdemokratischer Macht. Hier funktioniert die SPD noch als traditionelle Großstadt-Partei, die gute Kontakte hält zur Handelskammer wie zu den gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmern. Dennoch wird es am Wahlsonntag innerhalb von rot-grün wohl eine Verschiebung zugunsten der Grünen geben. Trotz dieser immer stärker werdenden internen Konkurrenz regiert das Bündnis seit vier Jahren harmonisch. Konflikte gibt es kaum. Nur zu Beginn des Wahlkampfes brachen sie auf. Als nämlich die SPD den Scholz-Effekt auf Bremen übertragen wollte: In Hamburg konnte Olaf Scholz vor allem punkten, weil er die Wirtschaftspolitik zum zentralen Thema seiner SPD machte. In Bremen beeilten sich die Genossen, ihm das gleichzutun. Auch, um sich vom grünen Koalitionspartner abzusetzen.

    "Wir Sozialdemokraten verstehen mehr von Wirtschaftspolitik als Ihr alle zusammen!"

    Rief Bürgermeister Böhrnsen auf einem Parteitag aus, der - wie passend - in einer Werkshalle stattfand. Und vor Unternehmern bezeichnete er seine Hansestadt als "Autostadt". In Bremen ist Mercedes-Benz der größte private Arbeitgeber.

    Der grüne Umwelt- und Verkehrssenator Reinhard Loske aber versucht, die Autos aus der Stadt zu verbannen, demonstrativ baut er Fahrradwege, richtet Umwelt- und Tempo-30-Zonen ein. Auf den ersten Blick scheinen sich Böhrnsen und Loske zu
    widersprechen. Doch der zweite Blick verrät: Die Koalitionspartner bleiben ihrem jeweiligen Thema treu: sozialer Ausgleich und Nachhaltigkeit hat sich die rot-grüne Regierung verschrieben, als sie vor vier Jahren antrat. Die Grünen sind auf ihre umweltpolitischen Errungenschaften stolz: Im Senatsgebäude steigt man komplett auf Ökostrom um. Ein Wasserkraftwerk wird gebaut. Und die Windkraftindustrie soll Arbeitsplätze schaffen. Die SPD wiederum hebt die Einführung des kostenlosen Mittagessens für Bedürftige an Schulen vor das Sozialticket für Bus und Bahn. Das Kindeswohl stehe - betonen die Sozialdemokraten - in jedem Fall an erster Stelle, sei sogar wichtiger als jede Haushaltssanierung. So langsam aber weiß Finanzsenatorin Karoline Linnert nicht mehr, wo sie das Geld hernehmen soll. Sie muss ständig Nein sagen und macht sich regelmäßig bei ihren Senatorenkollegen unbeliebt. Ob Jugend, Bildung oder Sport - immer gibt es einen guten Grund für finanzielle Begehrlichkeiten, doch die Kassen sind leer im Nehmerland Bremen. Beim Begriff "Nehmerland" runzelt die Senatorin die Stirn.

    "Anspruchsberechtigtes Land heißt das. Also in der Bibel steht zwar Geben ist seliger denn Nehmen. Aber hier geht es darum, dass auf der Basis der Verfassung Einnahmeunterschiede der Länder ausgeglichen werden sollen. Wir haben einen Anspruch."

    444 Millionen Euro hat Bremen im vergangenen Jahr aus dem Länderfinanzausgleich bekommen. Bis zum Jahr 1969 war Bremen sogar Geberland. Als 1970 die große Finanzreform in Kraft trat, änderte sich das. Denn die Lohnsteuer der Beschäftigen, die in Bremen arbeiten, aber in Niedersachsen wohnen, geht Bremen seitdem verloren. Dieses Steuersystem ist ungerecht, klagt die rot-grüne Landesregierung und verteidigt sich, wenn wieder einmal der Vorwurf aus einem süddeutschen Geberland kommt, in Bremen werde das Geld zum Fenster hinausgeworfen.

    "An die Tatsache, dass Bremen Geld erhält, ist keine Verpflichtung gebunden, das Geld für dieses oder jenes auszugeben. Die Bürgerschaft hat wie alle anderen Parlamente auch als Gesetzgeber das Recht, Entscheidungen zu treffen, auch wenn wir das nur in sehr begrenztem Maße tun können, weil wir unter hohem Spardruck stehen. "

    In den 80er-Jahren machte das große Werftensterben Bremen schwer zu schaffen. Seitdem wächst der Schuldenberg. Ablesbar an einer Uhr, die in der Innenstadt an einer Hauswand hängt. Und läuft und läuft. Immer weiter. Elf Stellen sind es. Rote digitale Ziffern. 18 Milliarden Euro. Die Zahl darunter zeigt die Pro Kopf-Verschuldung der Bremer Bürger: 27.000 Euro.
    Die Hoffnung, dass eine neue Regierung im Rathaus das Ruder herumreißen kann, habe die Mehrheit der Bürger nicht, sagt Lothar Probst, Parteienforscher an der Universität Bremen. Zudem fehle ein durchschlagendes Wahlkampfthema, mit dem die Opposition die Regierung in die Enge treiben könnte. Und so sei die Bilanz der rot-grünen Landesregierung gar nicht so schlecht.

    "Die Einführung des Sozialtickets das war ja ein Wahlversprechen, dann haben sie in die ökologische Infrastruktur investiert, mehr Transparenz in die Finanzen gebracht, es ist und noch keiner Landesregierung gelungen, den Schuldenberg zu reduzieren. Aber es ist transparenter geworden, es wird offengelegt."

    Deshalb gibt es nach Ansicht des Parteiforschers auch keine Wechselstimmung. Ein weiterer Grund dafür: Die Opposition gibt ein schlechtes Bild ab. Zum Beispiel die CDU: Interne Machtkämpfe prägen das vergangene Jahr. In der Partei kamen altgediente Kandidaten nicht mehr zum Zuge. Sie wurden bei der Nominierung kalt abserviert. Erneuerungsprozess nennt die CDU diese Phase, in der sie viel Porzellan zerschlug. Eine CDU-Abgeordnete der Bürgerschaft trat sogar aus der Partei aus und wechselte zur SPD. Das habe dem Ansehen der Union geschadet, erklärt der Bremer Parteienforscher Lothar Probst. Er glaubt, dass die CDU sich nie mit ihrer Rolle als Oppositionspartei abgefunden hat.

    "Ich glaube, die CDU ist über die Niederlage nach Großen Koalition nicht hinweggekommen. 1999 war sie ja fast auf Augenhöhe mit der SPD, zum ersten Mal in Bremen hatte sie 37 Prozent. Und dann 2007 kam der Absturz auf 25 Prozent, ein so schlechtes Ergebnis hatte sie in den 50er Jahren. Seitdem ist die CDU nicht mehr auf die Beine gekommen."

    Weil mit Fraktionschef Thomas Röwekamp an der Spitze die Bremer CDU vor vier Jahren ihr schlechtestes Ergebnis einfuhr, wird nun Rita Mohr-Lüllmann als Spitzenkandidatin ins aussichtslose Rennen geschickt. Sie will als Bürgermeisterin ins Rathaus einziehen, formuliert sie tapfer.

    "Wir wollen den Wechsel, nicht nur im Rathaus, sondern wir wollen natürlich in Bremen auch einen Denkprozess in Gang setzen. Wir müssen den Menschen da draußen klarmachen, dass wir Veränderungen brauchen."

    Doch die 54-jährige Apothekerin, die seit acht Jahren als Abgeordnete in der Bürgerschaft sitzt, könnte ein Debakel erleben. Noch im Februar kannten weniger als die Hälfte der Bremer den Namen der Unions-Kandidatin. Die Umfragewerte für die CDU lagen damals bei 26 Prozent. Inzwischen sind sie auf 20 Prozent geschrumpft. Doch aufgeben will Frau Mohr-Lüllmann nicht. In den vergangenen Monaten habe sie einen stillen Wahlkampf geführt, wie es wörtlich aus der Parteizentrale heißt und Unternehmen besucht, was der Öffentlichkeit weitgehend verborgen blieb - wie die politischen Gegner spotten. Jetzt klappert sie fleißig Wahlstände in der Stadt ab, wie am vergangenen Wochenende beim Fest des CDU-Kreisverbands Bremen Mitte. Mit Kuchenstand, Hüpfburg und Shanty-Chor auf dem Marktplatz.

    Die Stimmung im Land ist für die Grünen, aber es nützt ja nichts. Bremen braucht eine etablierte Partei. Deshalb kämpfe ich bis zum letzten Tag, um die Menschen zu überzeugen.

    Ihre Kritik an rot-grün: Die Landesregierung spare nicht genügend und investiere nicht in den Wirtschaftsstandort. Statt den Firmen als leistungsfähige Industriestadt eine gute Infrastruktur zu schaffen, werde eine "romantische Verkehrspolitik" betrieben, mit beruhigten Zonen und unnötigen Ampelanlagen. Diese Spitze zielt auf den grünen Umwelt- und Verkehrssenator Reinhard Loske ab. Der sei im Gegensatz zu Karoline Linnert eine "unverdauliche Variante von grün", wie es ein Beobachter beschrieb. Doch auch Loske als Zielscheibe taugt nicht im Wahlkampf. Denn nach dem Atomunglück von Japan verpufft jede anti-ökologische Kritik. Auch die FDP setzt im Wahlkampf auf die Themen Verkehr und Haushaltspolitik.

    Doch ob sie den Wiedereinzug ins Parlament schafft, ist fraglich. In Umfragen dümpeln die Liberalen zwischen drei und vier Prozent. Das könnte die Quittung für jahrelange Machtkämpfe und Intrigen der 5köpfigen Fraktion sein, die darin gipfelten, dass der Fraktionsvorsitzende Uwe Woltemath aus Partei und Fraktion und Partei austrat. Die vier verbleibenden Abgeordneten sind seitdem nur noch als Gruppe in der Bürgerschaft. Der Ex-FDP Mann stürzte seine Partei nicht nur in die Bedeutungslosigkeit, er sorgte auch gleich für Konkurrenz und gründete eine neue bürgerliche Liste. Dumm nur: Mit demselben Vorsatz treten noch mehr Listen zur Wahl an. Der rot-grünen Landesregierung spielt es in die Hände, dass die bürgerliche Opposition sich gegenseitig die Wähler abjagt. Deswegen sei der Wahlkampf nicht so spannend, erklärt auch Politikwissenschaftler Probst.

    "Jeder geht davon aus, dass der Wahlkampf schon gelaufen ist. Rot- grün hat zusammen eine Mehrheit von 60 Prozent, dem steht eine fragmentierte Opposition gegenüber, von der man nicht weiß, wer über fünf Prozent kommt."

    Dagegen könnte die Linkspartei den Sprung ins Parlament wieder schaffen. Auch sie rührt noch kräftig die Werbetrommel.

    Vor dem Bremer Bahnhof steht eine Bühne. Gekommen ist Besuch aus Berlin. Bundesvorsitzende Gesine Lötzsch wirbt für ihre Bremer Kandidaten und später soll noch Gregor Gysi reden, der Fraktionschef der Linken im Bundestag. Einige Dutzend Zuschauer lauschen den Reden und applaudieren bei den verbalen Angriffen auf rot-grün.

    "Ich wähle links, weil die SPD ihre Ziele aufgegeben hat und nur die linke Politik und Mehrheit der Bevölkerung akzeptabel ist. Die SPD ist nicht wählbar. Erst hat sie Oskar rausgeekelt, jetzt kriegt sie den Sarrazin nicht raus, also die SPD ist unmöglich, die kann man nicht mehr wählen
    Ich wähle auch die Linke, sie steht für das, was früher die SPD war. Ich war früher in der SPD, auch aktiv, die hat ihren Charakter geändert, Linke ist die einzige Alternative."

    Bei der Wahl vor vier Jahren gelang der Linkspartei in Bremen mit 8,4 Prozent das erste Mal der Einzug in ein westdeutsches Landesparlament. Aber die Fraktion machte weniger durch inhaltliche Arbeit von sich reden als durch Personalstreiterei und Intrigen. Das soll sich jetzt ändern. Mit den Themen Armutsbekämpfung und Chancengleichheit in der Bildung will sich die Linke als Alternative zu Rot-Grün profilieren. Während die Regierung einen Sparkurs angekündigt hat, fordert die Linke, mehr Geld auszugeben. Die Partei fordert unter anderem die Besetzung aller offenen Stellen im öffentlichen Dienst und die Abschaffung von Ein-Euro-Jobs. Als einzige Fraktion lehnt sie die ab 2020 geltende Schuldenbremse, zu der sich auch Bremen verpflichtet hat, grundsätzlich ab. Ein drastischer Sparkurs sei kein Weg aus der Krise. Man könne nicht die Schulden tilgen, sagt Spitzenkandidat Klaus-Rainer Rupp, und gleichzeitig die Armut bekämpfen.

    "Wenn wir das Geld nicht ausgeben, richten wir gesellschaftlichen Schaden an, dann häufen wir an, was wir soziale Schulden nennen. Wenn wir eine Lehrerin einstellen, wissen wir es kostet 50.000 Euro. Wenn wir eine Lehrerin nicht einstellen, wissen wir nicht wie teuer das sein wird."

    Möglicherweise wird die Linkspartei leicht verlieren, aber sie hat in Bremen gute Chancen, wieder ins Parlament einzuziehen. Immerhin hat sie bei der Bundestagswahl 2009 hier 14,3 Prozent der Zweitstimmen geholt. Ihre Klientel aus früheren Kommunisten, kritischen Gewerkschaftern und Harz-IV-Empfängern ist in Bremen noch immer groß. Besondere soziale Härten gibt es in Bremerhaven, Trotz Containerhafens und des größten Umschlags von Export-Autos hier, liegt die Arbeitslosigkeit bei 16 Prozent. Vor vier Jahren haben nur 53 Prozent der Bürger in Bremerhaven gewählt. Ein schwieriges Pflaster für die Wahlkämpfer. Bremerhaven ist ein Nährboden für Protestwähler. In diese Kerbe, des wohl angeknacksten Selbstbewusstseins der Bremerhavener könnte auch die rechtsextreme NPD schlagen. Sie will erstmals seit über 40 Jahren wieder in ein westdeutsches Parlament einziehen. Karsten Behrenwald vom Deutschen Gewerkschaftsbund in Bremerhaven weiß um die Gefahr: In Bremerhaven sagt er, existiere ein harter Kern rechter Wähler.

    "Es gibt ein Potenzial, das hat sicherlich mit den sozialen Bedingungen in Bremerhaven zu tun. Wir haben eine hohe verfestigte Arbeitslosigkeit. Wir haben 10. 000 Menschen, die Harz Vier bekommen, die sehr lange arbeitslos sind, viele, die keinen Schulabschluss haben. Da ziehen sehr platte Argumente schneller aufgrund ihrer Situation."

    Die DVU hat es immerhin fünf Mal in den Landtag geschafft. Zuletzt im Jahr 2007. Ebenso die rechtspopulistische Wählergemeinschaft "Bürger in Wut". Das besondere Wahlrecht im Zwei-Städte-Staat macht es möglich: Es reicht nämlich aus, allein in Bremerhaven die 5-Prozent-Hürde zu nehmen, um als Abgeordneter ins Bremer Landesparlament zu ziehen. Was konkret heißt: bei einer niedrigen Wahlbeteiligung genügen dafür schon 2.500 Stimmen. Die NPD will gezielt junge Wähler ansprechen und hat angekündigt, im Wahlkampf auf Schulhöfen CDs und Broschüren zu verteilen. Die Behörden sind auf der Hut, weil am Sonntag erstmals auch 16- und 17-Jährige wählen dürfen. Bremen ist das erste Bundesland, das das Wahlalter herabgesetzt hat.

    Profitieren dürften davon aber eher die Grünen. Die Ökopartei könnte ohnehin der große Gewinner dieser Wahl sein. Mit Spannung wird bundesweit beobachtet, ob sich der Höhenflug der Grünen auch in Bremen fortsetzen kann. Ob grün die CDU überholen und zweitstärkste Kraft in der Bürgerschaft werden kann. Dann nämlich muss sich die SPD auf einen starken Koalitionspartner einstellen. Einen Juniorpartner, der nicht nur mitregiert, sondern auch neue Forderungen stellen wird. Dass die Grünen beispielsweise einen dritten Senatorenposten verlangen, davon gehen die Bremer derzeit aus. Neben Finanzen und Umwelt könnte es das Bildungsressort sein.