Samstag, 27. April 2024

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Kein Grund zum Widerruf
Martin Luthers Desinteresse an Astronomie

Hartnäckig hält sich das Gerücht, Martin Luther sei ein Gegner des astronomischen Reformators Nikolaus Kopernikus gewesen, der nicht den Ablasshandel, sondern die Stellung der Erde im Zentrum des Kosmos verteufelt hat.

Von Dirk Lorenzen | 17.04.2021
Martin Luther (1483-1546) hat sich offenbar kaum für Astronomie interessiert
Martin Luther (1483-1546) hat sich offenbar kaum für Astronomie interessiert (Cranach)
"Dieser Narr will die ganze Kunst Astronomiae umkehren", soll Luther bei einem Essen gelästert haben. "Aber Josua hieß die Sonne stillzustehen und nicht das Erdreich." Laut der Bibel standen Sonne und Mond still, bis das Volk Rache an seinen Feinden genommen hatte. Offenbar bewegte sich die Sonne sonst – ein Widerspruch zu Kopernikus.
Doch Martin Luther, der vor 500 Jahren seine theologische Lehre vor dem Reichstag zu Worms widerrufen sollte, hätte auch astronomisch nichts zu korrigieren gehabt. Denn seine angeblich 1539 gefallenen Äußerungen hat es wohl nie gegeben. Damals war war die Theorie des Kopernikus, eines Zeitgenossen Luthers, nur Insidern bekannt. Das Hauptwerk des Astronomen ist erst vier Jahre später erschienen.
Zur Lehre des großen Astronomen Nikolaus Kopernikus (1473-1543) hat sich Martin Luther wohl nie geäußert
Zur Lehre des großen Astronomen Nikolaus Kopernikus (1473-1543) hat sich Martin Luther wohl nie geäußert (Stellarium)
Der Wissenschaftshistoriker Andreas Kleinert von der Universität Halle sieht in den Luther zugeschriebenen Bemerkungen eine "handgreifliche Geschichtslüge". Kleinert weist nach, dass Martin Luther erst im 19. Jahrhundert von zwei katholischen Historikern gezielt zum Anti-Kopernikaner gemacht worden ist – während des Kulturkampfes zwischen Kaiserreich und katholischer Kirche. Einen Narren hat Martin Luther Kopernikus sicher nicht genannt. Er dürfte sich für den Astronomen und das Weltall – typisch für die damalige Zeit – kaum interessiert haben.