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"Kein Heilsbringer, aber ein wichtiger Baustein"

Der Kulturmanager Dieter Gorny verlangt bessere Rahmenbedingungen für die Arbeit der sogenannten Kreativen. Vor dem Hintergrund der RUHR.2010 bezeichnete der ehemalige Vivachef die Kreativwirtschaft als möglichen Ausweg aus der "Falle des industriellen Verschwindens".

Dieter Gorny im Gespräch mit Michael Köhler |
    Michael Köhler: Kreativwirtschaft, das ist so ein etwas ungenau umrissener Begriff für alles, was im Bereich Kunst und Kultur tätig ist. Vom Webdesigner über den Buchillustrator, Musiker, Schauspieler, Beleuchter, Fotograf, Kabelträger, Musikmarkt, Buchmarkt, Kunstmarkt – na alles, was da so sein Erwerbsleben verbringt. Grund für uns, mit Dieter Gorny zu sprechen, Vorstandsvorsitzender des Bundesverbands Musikindustrie, Bereichsdirektor RUHR.2010 Kulturhauptstadt Europa und Direktor des European Centre for Creative Economy. Die Jahrestagung der Kultur- und Kreativwirtschaft ging nämlich in Brüssel zu Ende. Dieter Gorny, was war das, ein Schulterklopfen, ein stolzes, einer Wachstumsbranche oder waren politische Hoffnungen und Forderungen gestellt worden?

    Dieter Gorny: Auch schon vor Beginn der Kulturhauptstadt haben wir Wert darauf gelegt, dass das, was wir exemplarisch als Modell für Europa im Ruhrgebiet entwickeln, diskutiert werden sollte, infrage gestellt werden sollte, aber auch überprüft werden sollte auf Möglichkeiten, das weiterzuentwickeln. Im letzten Jahr war der Schwerpunkt die digitale Gesellschaft und die Auswirkung der Digitalisierung auf alles, was Kreativwirtschaft, aber auch Kultur ist. Und in diesem Jahr haben wir ganz bewusst das Programm, obwohl es schon in eine andere Richtung, nämlich Erziehung gehen sollte, geändert vor dem Hintergrund dieser neuen Nach-Lissabon-Strategie der EU mit diesem schönen Titel Innovation, um klarzumachen, dass Innovation ohne Kreativität und damit auch ohne diese Arbeit in diesen Kultur- und Wirtschaftsbereichen schlecht vorangehen kann. Deshalb gab es auch sehr viele politische Meinungsäußerungen über das, was denn nun die EU konkret zu tun gedenkt. Und zusammengefasst würde ich sagen, war eigentlich das Beste, dass alle gesagt haben, nicht immer nur reden, Konkretes tun, sodass ich denke, dass wir da die richtigen Impulse für die Arbeit an der RUHR auch weiterhin bekommen werden.

    Köhler: Herr Gorny, Sie sagen, was exemplarisch im Ruhrgebiet für Europa passiert. Müssen denn jetzt wieder irgendwelche Förderinstrumente und Institutionen her oder kann man mal ganz praktisch anfangen? Wenn ich mit Kreativen rede, dann sagen die, da gibt es eine ganze Menge handfester Probleme, die jeder andere Selbstständige oder Kleinstunternehmer auch hat. Da ist die Frage der Anhebung der Einkommensteuer-Eingangssätze, die Frage nach Gewerbesteuerfreiheit, die Frage der zögerlichen Kreditvergabe durch Banken, IHK-Zwangsbeiträge und so weiter. Haben Sie da so eine Art Forderungskatalog formuliert oder mal so den Puls gefühlt?

    Gorny: Ja, ich denke, das kann man, braucht man nicht in Brüssel zu tun, das ist ja genau die konkrete Arbeit vor Ort. Also mit dem Modell für Europa ist nur gemeint, wir als ehemalige Industrieregion – vielleicht mit dem zusätzlichen Problem, dass wir ja eine Stadt werden wollen, aber aus 53 Städten bestehen, was die Sache nicht leichter macht – haben aber Probleme, die andere auch haben. Das merkte man gestern, weil auch ein Mitarbeiter von Creative Industries Sheffield da war, der dann auch aus der Arbeit der Stadt, die ja schon seit einer guten Dekade an diesen Themen arbeitet, berichtete. Aber Sie beschreiben das Problem richtig. Wenn man diese Arbeit vernünftig machen will, muss man einmal darauf aufmerksam machen, dass es diese Leute schon gibt, dass wir also nicht bei null anfangen, auch nicht im Ruhrgebiet, und dass man auf der anderen Seite darüber debattieren muss, wie kriegen die denn Rahmenbedingungen geschaffen, die sie gut, erfolgreich Produkte, kreativ sein lassen und damit auch Geld verdienen lassen. Das hat eigentlich sehr viel damit zu tun, die bestehenden Regularien und Instrumente umzulenken für diese Zielgruppen, das heißt, den Wirtschaftsförderern klarzumachen, das ist ein wichtiger Bestandteil eurer Arbeit, den Kulturleuten das klarzumachen und dann natürlich, wenn Sie beispielsweise auf Steuerfragen oder Ähnliches abgehen, zu sagen, was könnten denn richtige Impulse sein, die auch eine konkrete Wirkung haben.

    Köhler: Sie sagen, Herr Gorny, diese Leute gibt es schon, und das sind nicht wenige. Ist die Vorstellung auch bei wachsenden Zahlen nicht ein bisschen zu himmelblau, die Kreativwirtschaft sei, so Zitat, "ein zukunftstragendes Modell", vielleicht auch für die übrige Wirtschaft? Es sind doch überwiegend Einzelkämpfer mit guter Bildung, das ist kein Beschäftigungsmodell, das für alle zutrifft.

    Gorny: Na ja, eine Branche, die 132 Milliarden Euro in Deutschland umsetzt und hinter dem Automobilbau und dem Maschinenbau schon an dritter Stelle des Bruttosozialproduktes steht, ist nicht einfach irgendwie so was. Aber ich glaube, unabhängig davon wird man dem Thema eben nicht gerecht, indem man sich über die jetzt tatsächliche harte ökonomische Bedeutung streitet. Die ist da. Die ist zwar da, aber das Spannende an dieser Beschäftigung ist: Wenn Sie heute europaweit das Thema Stadtentwicklung, Attraktivität – und ich war in der letzten Woche noch in Sydney – diskutieren, kommen Sie immer wieder auf diese Bereiche. Und die Leute sagen, ich habe mein Opernhaus, ich habe hier den Hafen toll ausgebaut, ich brauche jetzt Inhalte. Und diese Inhalte liefern mir genau diese kreativen Zielgruppen oder im Neudeutschen Creative Class genannt. Das Thema berührt viele zentrale Punkte, die wir diskutieren müssen, wenn wir das Thema Wandel durch Kultur wirklich erfolgreich umsetzen können. Ökonomisch gesehen ist es weltweit, aber auch europaweit ein Leitmarkt, eine Möglichkeit, aus dieser industriellen Falle und aus dieser Falle des industriellen Verschwindens rauszukommen, auch mit sehr harten ökonomischen Ergebnissen, aber nicht die Möglichkeit. Kein Heilsbringer, aber ein wichtiger Baustein bei einem solchen Wandelkonzept.

    Köhler: Dieter Gorny, Bereichsdirektor RUHR.2010 Kulturhauptstadt Europas, über einen Kreativwirtschaft-Kongress in Brüssel.