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Kein Held von der Stange

George Clooney, der ehemals "sexiest man alive", ist für seine Rolle in Alexander Paynes Film 'The Descendants - Familie und andere Angelegenheiten' für den Oscar nominiert. Tragik und Komik prallen in dieser Familiengeschichte aufeinander und Clooney ist kein Held im eigentlichen Sinne.

Von Hartwig Tegeler | 25.01.2012
    Was für eine Dekonstruktion des Männerhelden, vorgeführt am Kino-Männermythos schlechthin. Stellen wir uns Regisseur Alexander Payne sagt zu Hauptdarsteller George Clooney also George, du ziehst dir jetzt die Flip Flops an, die kurze Hose, das labbrige Polo-Hemd, und dann läufst du diese serpentinenartige Straße auf Hawaii hinunter, schwitzt wie ein Ochse, reißt die Augen hilflos-panisch auf ... ja, klar, kann man mit diesen Latschen nicht laufen ... eben, genau ... das siehst vollkommen bescheuert aus ... aber so sieht ein Mann eben aus, der gerade erfuhr…
    Filmausschnitt:
    "Wer ist er?"

    Dass seine Frau ihn betrogen hat, schon lange, und alle, sogar seine Tochter, nur er nicht, wussten davon:


    "Ich will wissen, wen meine Frau ge...troffen hat."

    Alles in The Descendants ist etwas anders, als wir es erwarten. Clooney kein Held, Hawaii kein Idyll:

    "Meine Freunde denken, nur, weil ich auf Hawaii wohne, lebe ich im Paradies. Wir alle schlürfen nur Mai-Tais und gehen Surfen. Das letzte Mal gesurft bin sich vor 15 Jahren."

    Dass Matts Frau ihn betrog, kommt ans Tageslicht, als sie nach einem Bootsunfall ins Koma fällt und bald sterben wird. Das ist klar. Klar ist weniger, wie Matt mit den beiden Töchtern klarkommen soll, für die sich der Immobilienmakler bisher kein bisschen interessiert hat. Wie soll man von einer Mutter und einer Ehefrau, die stirbt, Abschied nehmen, die aber alles andere als Heilige war? Das ist die Frage für den Vater und die Töchter; das mit dem Frühstück jedenfalls ist nicht so einfach:

    Scottie: "Ich mag keine Eier."
    Matt: "Und warum lässt du sie mich dann erst braten? - Ich dachte, die wären für dich."

    Die jüngere Tochter renitent; die ältere auf fast erschreckende Weise wissend:

    "Du hast wirklich keine Ahnung, oder? Mom hatte einen anderen Typen. Deshalb haben wir uns gestritten. Und dann ist der Unfall passiert. Und ich ..."

    The Descendents ist eine Familiengeschichte in schrägen Tönen. Aber was heißt hier schon "Familie"? Bei so einem hilflosen Vater, die große um Erziehungshilfe in Sachen kleiner Tochter bitten muss:

    Matt: "Du musst mir helfen. Was soll ich mit ihr machen?"
    Alex: "Wenn du mal mehr Zeit mit ihr verbringen würdest, würde sie vielleicht nicht so komplett abdrehen."

    Man mag nun nicht gerade behaupten, dass Matt einen Plan hat, als er sich aufmacht zur Reise über die Inseln von Hawaii. Ja, er will diesen Liebhaber seiner Frau finden.

    Berechtigte Frage der älteren Tochter: Warum? Wofür? Weshalb?

    Alex: "Was machst du überhaupt, wenn du ihn siehst. Redest du mit ihm? Haust du ihm eine rein?"
    Matt: "Ich will ihn einfach nur einfach mal sehen."

    Aber vielleicht will Matt mit seinem persönlichen Roadmovie ja nur seinen Töchtern näher kommen.

    Faszinierend zu sehen, wie Filmemacher Alexander Payne den Tod und das lächerlich Absurde dieser Familie, die Tragik also und die Komik aneinander bindet und uns diese Figuren näher bringt. Wir fangen an, sie zu mögen, und - das ist das Geheimnis des Kinos und das der Kunst von Alexander Payne -, ja, sie fangen an, uns in ihrer ganzen Unvollkommenheit anzurühren. Und auch mit der der anderen Geschichte (!) in dieser Geschichte (!) verhält es ähnlich:

    Matt ist Treuhänder seiner Familie, Nachfahren der ersten weißen Siedlern auf Hawaii; die anderen aus dem Clan wollen, dass er ein wunderschönes Stück Land für sie gewinnbringend verkauft. Treuhänder Matt weigert sich, zeigt verblüffenderweise Rückgrat. Gut, er war lächerlich, manchmal peinlich; ein Vater, der versagte. Mit anderen Worten: Matt ist eine ungewöhnliche und komplexe Kinofigur, die hier zu sich finden darf. Schließlich lässt Alexander Payne in The Descendants - Familie und andere Angelegenheiten eine Familie neu entstehen. Das kann man wertkonservativ nennen. Bitte sehr!

    Auf alle Fälle hat Matt am Ende etwas begriffen, verstanden und erkannt, etwas, das sich auf die sterbende Frau bezieht, ihren Ex-Liebhaber und vor allem auf seine Töchter. Wenn mich nicht alles täuscht, geht es in The Descendants um Humanität. Und weil es genau darum geht, wird man in diesem Film keine Helden von der Stange finden.