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Kein Name, kein Gesicht, kein Geld

In Brüssel, Paris, Wien, Berlin, in Dresden, Stuttgart, Toulouse und Lille wird sich Spaziergängern in der Innenstadt morgen um 12 Uhr mittags das gleiche Schauspiel bieten: Junge, schwarz gekleidete Menschen mit weißen Masken werden demonstrieren. Das Ganze ist eine Aktion von verschiedenen Organisationen, die sich gegen die Ausbeutung von Praktikanten wehren. So namenlos und anonym wie die maskierten Protestierer erscheinen Praktikanten nämlich zunehmend in Unternehmen: Für mehrere Monate arbeiten sie für wenig oder gar kein Geld, übernehmen oft aber Arbeiten, die weit über "Zuschauen und Mitmachen" hinausgehen. Den Trend bestätigt eine Studie des DGB. Der deutsche Verein "fairwork" will morgen eine Petition an das EU-Parlament übergeben, damit sich die EU-Politiker endlich mit dem Missstand beschäftigen und ihn europaweit bekämpfen.

Von Pascal Fischer |
    Noch möchte der Berliner Matthias Wegmann nur unter einem Decknamen Interviews geben. Der BWL-Student wollte nach seinem Abschluss 2004 in der Hauptstadt bleiben und entschied sich nach vielen erfolglosen Bewerbungen und einigen Stellenangeboten außerhalb für ein Praktikum in einem Berliner Entsorgungsunternehmen. Ziel: im Personalmanagement unter Anleitung Praxiserfahrung sammeln. Stattdessen betreute Wegmann gleich komplette Bewerbungsprozesse:

    " Ich habe die Bewerber gesichtet, habe ihnen abgesagt, habe sie eingeladen, Telefoninterviews geführt, habe die Interviews ausgewertet. Das war für mein Empfinden dann doch Richtung Ausbeutung."

    Denn das Gehalt von ein paar Hundert Euro reichte nicht zum Leben. Überstunden waren dennoch Pflicht. Augen zu und durch, sagte sich Wegmann, bis er endlich einen bezahlten Job woanders bekam. Kein Einzelfall, wie eine aktuelle Studie des Deutschen Gewerkschaftsbunds belegt. Die Hälfte der Befragten hatte zwei Jahre nach dem Hochschul-Abschluss noch keinen Job, aber zwei Praktika absolviert. Silvia Helbig vom DGB:

    " Wir hätten nicht vermutet, das es so schlimm zu sein scheint. Da hat die Hälfte der Befragten gesagt: Wir haben eine reguläre Stelle ersetzt!"

    Ernstzunehmende Zahlen bei geschätzten 800000 Praktikanten pro Jahr in Deutschland. Europaweit sollen Politiker Schutzregelungen schaffen, fordern die DGB-Organisation "students at work", der Verein "fairwork" und Partnerorganisationen aus ganz Europa. Zusammen wollen sie am Samstag eine Petition in das EU-Parlament einbringen. Absolventenpraktika seien demnach prekär, wenn nicht sogar sittenwidrig. Denn zumindest in Deutschland haben Absolventen - wie jeder Arbeitnehmer - umfassende Rechte, sagt Frank Schneider von "fairwork".

    " Rechte auf vernünftige Arbeitszeiten, Rechte auf eine entsprechende Bezahlung und Urlaubsanspruch!"

    Ansprüche, welche den meisten leider unbekannt seien. Und einen Haken haben, meint Matthias Wegmann als Betroffener: Solche Regelungen seien für die Pflichtpraktika da - aber nur härtere Gesetze könnten das neue Phänomen der Absolventenausbeutung bekämpfen.
    Silvia Helbig vom DGB dazu:

    " Es wäre noch besser, wenn klarer definiert wird, wie man ein Lernverhältnis und ein Arbeitsverhältnis trennen kann."

    Absolventenpraktika überbrücken meist Wartezeiten und dienen dem Berufseinstieg. Sie dauern ein halbes oder ganzes Jahr, oft sind die Absolventen fest in den Arbeitsalltag eingeplant. Deshalb steht die Arbeitsleistung im Vordergrund und nicht wie bei Pflichtpraktika die "Ergänzung von Studieninhalten". Und damit hätten die Praktikanten mit Hochschulabschluss ein Recht auf ein existenzsicherndes Gehalt. Eine klare Abgrenzung zwischen Praktikum und Arbeit hätte dann einen entscheidenden Vorteil: Es wäre für ausgebeutete Praktikanten leichter, ihren vollen Arbeitslohn nachträglich vor Gericht einzuklagen. Keine einfache Aufgabe, schließlich hat es so gut wie keine Musterprozesse gegeben.

    Matthias Wegmann rät dazu, seine Arbeitszeiten und Leistungen zu notieren und zu dokumentieren, wann immer möglich. Das erhöhe die Chancen bei einem Prozess. Wegmann hat seine Klage vor dem Arbeitsgericht eingereicht:

    " Was sich schwierig gestaltet, ist, den Arbeitstag zu protokollieren. Da würde jeder Richter dankend die Hand schütteln. Das wäre das Optimum, was natürlich die Klage am einfachsten machen würde."
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    Oft zeigen schon die Ausschreibungen, dass volle Arbeit geleistet werden muss. Der Verein "fairwork" sammelt deshalb auf seiner Homepage Berichte ausgebeuteter Absolventen und prämiert das "Abzocker-Praktikum des Monats".

    Auch eine solche Ausschreibung kann vielleicht ein Beweismittel im Streitfall sein - ebenso wie das Praktikumszeugnis, erzählt Matthias Wegmann:

    " Aus dem Zeugnis geht sehr genau hervor, dass ich eigene Aufgabenbereiche hatte und der Richter hat auch große Augen bekommen, als ich ihm meine Aufgaben vorgelesen habe. Das sind absolut keine Praktikantenaufgaben gewesen!"

    Aber selbst, wenn ein besseres Gesetz kommt - das grundsätzliche Dilemma werden Absolventen nicht los: Sollen sie arbeitslos und untätig bleiben, oder ein unbezahltes Praktikum machen und damit reguläre Arbeitsplätze vernichten?

    Zum Aktionstag gegen die Ausbeutung von Praktikanten treffen sich am Samstag die weiß Maskierten in Berlin um 12 Uhr auf dem Pariser Platz und in Dresden um 11 Uhr an der Prager Straße. Weitere Infos über Demos in anderen deutschen Städten gibt es auf den Internetseiten von fairwork e.V., Students at Work und Generation P.