Archiv


Kein Patentrezept für Polizeieinsätze

Verhaltensforschung. - Randalierende Hooligans in und um die Fußballstadien, schon ritualisierte Krawalle am 1. Mai in Berlin Kreuzberg, gewaltbereite Neonazis am Rand von Demonstrationen - immer wieder gibt es Situationen, in denen die Polizei hierzulande vor der Frage steht, wie sie mit Randalierern umgehen soll. Und immer wieder sind solche Ereignisse auch Anlass für einen politischen Streit um die richtige Vorgehensweise. Befürworter einer harten Null-Toleranz-Strategie und Anhänger einer weichen, auf Deeskalation setzenden Polizeitaktik stehen sich unversöhnlich gegenüber. Doch gibt es wissenschaftliche Erkenntnisse, die diesen Streit entscheiden könnten?

    Von Kay Müllges

    Schon seit Jahrzehnten befasst sich die psychologische Forschung damit, wie es in größeren Menschengruppen zu Ausbrüchen sinnloser Gewalt kommt. Allerdings ist diese Art Forschung bislang zu theoretisch, meint zumindest Otto Adang und plädiert für die Einbeziehung von Konzepten und Methoden aus der Verhaltensbiologie:

    Die traditionellen Theoretiker gingen nicht hinaus und schauten sich an was wirklich passierte, sondern theoretisierten am Schreibtisch. Als Verhaltensbiologe habe ich einen vergleichenden Anspruch. Das heißt ich sehe mir verschiedene Situationen an: Proteste, Demonstrationen, Fußballspiele, und zwar nicht nur diejenigen, die im Krawall enden, sondern auch solche, bei denen es friedlich zugeht und versuche dann diese Situationen zu vergleichen und die wichtigen Faktoren herauszufinden.

    Im Prinzip geht Otto Adang, der an der Niederländischen Polizei-Akademie in Appeldoorn lehrt und arbeitet, also nicht anders vor als seine Forscherkollegen, die in den afrikanischen oder asiatischen Wäldern und Savannen, das Aggressionsverhalten von Schimpansen, Gorillas oder Orang-Utans untersuchen. Hunderte von verschiedenen Veranstaltungen hat in den letzten zehn, fünfzehn Jahren so analysiert. Bisheriger Höhepunkt seiner Arbeit: Die Fußball-Europameisterschaft in Belgien und Holland vor zwei Jahren. Zu dieser Gelegenheit bildete er Feldforschungsteams aus Studenten und speziell trainierten Polizisten, die, ausgerüstet mit Kassettenrecorder und einem Scanner zum Abhören des Polizeifunks, alle Spiele und die Ereignisse um sie herum beobachteten. Zusätzlich verteilten sie Fragebögen an die jeweiligen Einsatzleiter und auch an die zahlreichen ausländischen Polizeibeobachter. Die Polizeien in Holland und Belgien wendeten während der EM unterschiedliche Taktiken an: normalerweise eher zurückhaltend in ihrer Präsenz, setzten sie bei sogenannten Hochrisiko-Partien, also etwa Spielen der englischen oder deutschen Mannschaft auf massiven, deutlich sichtbaren Polizeieinsatz, mit Hundertschaften in Helmen, Schilden und Schlagstöcken. Adang:

    Was für einige Leute sicher überraschend war ist, dass dieses massive Auftreten nicht zu einer Verminderung von Zwischenfällen führte. Auch mit weniger, normal gekleideten Polizisten, die sich unter die Fans mischten, mit ihnen redeten und gleichzeitig ein offenes Auge für die Lage hatten, konnten sie die Situation kontrollieren. Und diese Polizisten konnten schnell und sicher eingreifen, bevor die Dinge aus dem Ruder liefen.

    Ist damit die alte Streitfrage harter oder weicher Polizeieinsatz endgültig zugunsten der weichen Konzeption entschieden? Otto Adang glaubt das nicht:

    Ich denke das ist wirklich ein falscher Gegensatz. Natürlich funktioniert es nicht, wenn sie nur eine Horde Polizisten in Bürgerkriegsuniformen mit den Menschen konfrontieren. Damit schaffen Sie mehr Probleme als sie vermeiden. Aber es ist auch nicht die beste Option einfach nur nett und tolerant zu sein. Sie müssen fest sein, in dem Sinne, dass sie schnell und frühzeitig agieren, wenn Leute anfangen Gewalt anzuwenden oder auf andere Weise Ärger machen.

    Dazu, meint der Holländer, bräuchte es aber mehr, speziell ausgebildete und trainierte Einsatzkräfte.