Manchmal wird Bundesfamilienministerin Renate Schmidt richtig ungeduldig. Vor allem dann, wenn sie feststellen muss, dass ihre politischen Wunschvorstellungen von der deutschen Wirklichkeit des Jahres 2003 meilenweit entfernt sind.
Ich weiß, dass es in keinem Bundesland, definitiv in keinem, einen bedarfsgerechten Ausbau von Kinderbetreuungseinrichtungen für die unterste Altersgruppe gibt, dass wir insgesamt in Deutschland zu wenig Ganztagskindergärten haben, dass wir außerdem in Deutschland zu wenig Ganztagsschulen haben, und dass wir uns in Europa, aber auch teilweise weltweit verstecken dürfen, wenn wir uns mit vergleichbaren Nationen vergleichen.
Eine niederschmetternde Analyse, die jeder Fachministerin zu denken geben muss – auch dann, wenn sie für die Situation nicht direkt verantwortlich und für ihre Verbesserung nicht unmittelbar zuständig ist. In zentralen Bereichen der Familienpolitik – das ist über alle Parteigrenzen hinweg Konsens – steht Deutschland im internationalen Vergleich miserabel da.
Dabei spielte die Familienpolitik im letzten Bundestagswahlkampf eine wichtige Rolle – aus einem Randthema wurde ein Wahlkampfschlager mit kostspieligen Konsequenzen: Die CDU versprach ein großzügiges Familiengeld für alle, konnte aber dessen Finanzierung nie stichhaltig darstellen. Das Problem hat sie bis heute. Demgegenüber nahm sich die SPD vor, die öffentlichen Betreuungsangebote zu verbessern. Außerdem findet man in ihrem Wahlprogramm die Absicht, das Kindergeld mittelfristig von 150 auf 200 Euro anzuheben.
Davon ist zurzeit keine Rede. Im Gegenteil: Renate Schmidt muss Sparauflagen erfüllen. In Zukunft bekommen nur noch diejenigen Eltern Erziehungsgeld, die weniger als 30 000 Euro im Jahr verdienen – bislang galt eine Einkommensgrenze von 51 000 Euro. Mehr Geld direkt in die Hände von Eltern – das wird es vorläufig wohl nicht geben. Experten wie Katharina Spieß vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung halten das aber auch nicht unbedingt für den besten Weg, um die Lage von Familien zu verbessern. Katharina Spieß:
Grundsätzlich halte ich persönlich es nicht für sinnvoll, das Kindergeld nochmalig zu erhöhen, um Familien mehr Geld zu geben, was sie dann für Kinderbetreuung ausgeben können, weil ein solches politisches Instrument nicht per se sicherstellen kann, dass es auch den Kindern zu Gute kommt. Vor diesem Hintergrund und vor dem Hintergrund, dass öffentliche Gelder auch nur einmal ausgegeben werden können, halte ich es für sinnvoller, Gelder in den Ausbau von Kindertagesstätten zu stecken, als diese Gelder Familien einfach so in die Hand zu drücken.
Die zentrale Aufgabe der rot-grünen Bundesregierung ist damit skizziert: In ihrer zweiten Amtszeit will sie dafür sorgen, dass Eltern für ihre Kinder leichter einen Krippen- oder Hortplatz finden. Vieles liegt da noch im Argen. So besteht zwar seit 1996 ein Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz für Kinder ab drei Jahren, in der Praxis aber landen viele Kinder auch nach dem Ende ihres dritten Lebensjahres erst einmal auf einer Warteliste.
Und viele Mütter, die gerne wieder berufstätig wären, müssen feststellen, dass von modernen Arbeitnehmerinnen eine Flexibilität verlangt wird, zu der die starren Öffnungszeiten der meisten Kindertagesstätten nicht passen wollen. Katharina Spieß:
In den meisten Bundesländern ist der Rechtsanspruch auch nur ein Rechtsanspruch auf einen Halbtagsplatz, der insbesondere kein Mittagessen umfasst, was für eine erwerbstätige Mutter auch wiederum eine große Schwierigkeit ist, weil man bei einem Betreuungsumfang von vier Stunden selbst eine höherwertige Teilzeitarbeit kaum realisieren kann.
Auch für Schulkinder, deren Eltern nachmittags arbeiten, fehlen Betreuungsangebote. Zwar haben viele Bundesländer inzwischen verlässliche Schulzeiten am Vormittag eingeführt, aber es fehlen Ganztagsschulen und Hortplätze für den Nachmittag. Hier ist die Bundesregierung bereits tätig geworden: mit einem vier Milliarden Euro schweren Investitionsprogramm, das sich gerade in der Startphase befindet.
Am wenigsten wurde bisher für die jüngsten Mitglieder der Gesellschaft getan. Krippenplätze für Kinder unter drei Jahren haben vor allem in den westlichen Flächenländern Seltenheitswert: Die Versorgungsquote, also die Zahl der vorhandenen Plätze für jeweils hundert Kinder im betreffenden Alter, liegt hier noch immer bei unter fünf Prozent. In den Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen sieht es besser aus, und auch die östlichen Bundesländer, die noch von alten DDR-Strukturen zehren, können Versorgungsquoten zwischen 25 und 50 Prozent vorweisen.
Warum es nicht mehr Angebote gibt, das hat viele Gründe. Der mittlerweile dramatische Geldmangel bei den Kommunen ist wohl der wichtigste, aber nicht der einzige.
Manuela Reddehase:
Heute sind alle Kinder da: Der Jakob ist da, der Tobi ist da, der Max ist da, die Miriam ist da, Mareen....
Der Mini-Club im hannoverschen Stadtteil Döhren ist ausgebucht. Fünfmal in der Woche betreut Erzieherin Manuela Reddehase zusammen mit einer Praktikantin acht Kinder zwischen eineinhalb und drei Jahren. Die Kleinen bleiben viereinhalb Stunden und bekommen ein warmes Mittagessen, bevor Mütter oder Väter sie wieder abholen. Manche Kinder kommen einmal in der Woche, andere zwei- oder dreimal.
Es gibt ganz unterschiedliche Gründe, warum Eltern ihre Kinder in den Mini-Club bringen.
In erster Linie richtet sich dieses Angebot an Eltern - einerseits an Alleinerziehende, die dadurch eine Entlastung erfahren. Dann ist es auch eine tolle Möglichkeit für Studierende, ihr Studium nicht ganz zu vernachlässigen, sondern schnell wieder einzusteigen; ähnlich ist es bei Berufstätigen, nicht ganz raus zu kommen durch die Kinderbetreuung, dass die dann ganz schnell wieder in ihren Job kommen können. Manchmal ist es aber auch nur als Entlastung für Eltern gedacht, also, das heißt eben, einfach ein bisschen Zeit für sich selbst zu haben.
Gerade durch seine Flexibilität ist der Mini-Club bei Eltern beliebt. Einige von ihnen reisen aus benachbarten Stadtteilen an, wo man vergleichbare Angebote vergeblich sucht. Um mangelnde Nachfrage wird sich Manuela Reddehase deshalb vorläufig keine Sorgen machen müssen.
Wir haben ganz am Anfang, 2001, als der Miniclub in dieser Form ins Leben gerufen wurde, einmal einen Aufruf gestartet, um zu gucken: Kriegen wir den Miniclub überhaupt voll? Das ging Ruckzuck, dass wir aufstocken mussten. Der Miniclub hat erst dreimal wöchentlich stattgefunden, mittlerweile ist es fünfmal, es waren am Anfang nur sechs Kinder in der Gruppe, mittlerweile sind es acht Kinder in der Gruppe, und wir zehren immer noch von der Warteliste, die 2001 einmal durch Werbung ins Leben gerufen wurde.
Eingerichtet wurde der Mini-Club auf Initiative eines Vereins, des örtlichen Mütterzentrums. Auf ehrenamtlicher Basis überwanden die Frauen etliche bürokratische Hürden, um die Krabbelgruppe in der jetzigen Form ins Leben rufen zu können. Das Gehalt der Erzieherin wird je zur Hälfte aus Elternbeiträgen und ABM-Mitteln des Arbeitsamtes getragen. Diese Finanzierungsform ist allerdings befristet. Die Frauen vom Mütterzentrum müssen sich also bald nach neuen Geldgebern umsehen. Bei den zuständigen Ämtern gibt es zwar viel Lob für das vorbildliche Konzept des Mini-Clubs, aber für eine nennenswerte finanzielle Unterstützung reicht das Geld nicht. Hinzu kommen rechtliche Probleme – nach dem niedersächsischen Kindertagesstättengesetz kann der Mini-Club in seiner gegenwärtigen Form nicht gefördert werden.
Fehlende Zuschüsse, gesetzliche Hemmnisse anstelle eines Wettbewerbs um die besten Angebote – für tatkräftige Politiker gibt es viel zu tun. Und ein Blick in das Kinder- und Jugendhilfegesetz führt zu überraschenden Einsichten: Seit Jahren ist dort schwarz auf weiß zu lesen, dass für Kinder unter drei Jahren nach Bedarf Plätze in Tageseinrichtungen vorzuhalten sind. Es ist offenbar nur noch niemand auf die Idee gekommen, diesen Bedarf einzuklagen – vielleicht deshalb, weil die betroffenen Kinder nach dem Durchschreiten aller Instanzen längst lesen und schreiben könnten.
Eigentlich ist es vor allem Sache der Kommunen, die notwendigen Krippen- und Hortplätze zur Verfügung zu stellen. Ein Blick auf deren Finanzlage reicht aus, um zu erkennen, dass sie diese Aufgabe nicht allein schultern können. Deshalb wollte und will der Bund die Kommunen um 1,5 Milliarden Euro entlasten, indem er dauerhaft auf einen Teil der Umsatzsteuereinnahmen verzichtet. Im Gegenzug sollen sich Städte und Gemeinden darauf verpflichten, die Betreuungsangebote insbesondere für Kinder unter drei Jahren so weit zu verbessern, dass sie dem tatsächlichen Bedarf ein Stück näher kommen.
Doch wer definiert, was bedarfsgerecht ist? Im Gespräch war eine gesetzlich festgeschriebene Versorgungsquote – diese Variante lehnen die Kommunen allerdings ab. Und auch Bundesfamilienministerin Renate Schmidt bevorzugt inzwischen eine andere Lösung: Sie will den Bedarf an bestimmte soziale Merkmale koppeln.
Für Kinder von Alleinerziehenden, für Kinder, deren Eltern beide erwerbstätig sind, und für diejenigen Kinder, die einen besonderen Erziehungsbedarf haben – für diese drei Gruppen – damit kämen wir ungefähr, ich sage jetzt, um das mal in Zahlen zu greifen, ohne dass wir diese Zahlen im Kinder- und Jugendhilferecht verankern werden, auf eine Betreuungsquote für diesen Bereich, der 20 Prozent Plus ist. Das brauchen wir auch, wenn wir in Europa wenigstens auf einem gesunden Mittelplatz landen wollen.
Der Deutsche Städtetag hält die in Aussicht gestellte Entlastung um 1,5 Milliarden Euro für zu gering, um all das finanzieren zu können. Und mittlerweile werden die Verhandlungen ohnehin vom Streit um die Gemeindefinanzreform überlagert. Renate Schmidt ist dennoch zuversichtlich, dass sie ihre Pläne im Laufe des Jahres 2004 umsetzen kann.
Soweit es an uns liegt, wird es geschehen. Wir sind nicht alleine auf dieser Welt, das weiß ich auch. Ich weiß nicht, wie bestimmte Gesetze aus dem Bundesrat herauskommen werden, aber unsere feste Absicht ist es, das genau so zu machen, und es müsste die Union schon sehr eigenartige Argumente anführen, um zu sagen: hier haben wir keinen Modernisierungsbedarf.
Die Opposition hält diesen Optimismus naturgemäß für fehl am Platze. Maria Böhmer, stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und Expertin für Familienpolitik, glaubt, dass eine Einigung noch in weiter Ferne liegt. Und die in Aussicht gestellten 1,5 Milliarden Euro reichen ihr nicht aus.
Eigentlich ist – wie auch auf einigen anderen Reformbaustellen der Republik - allen klar, dass etwas passieren muss. Parteien, Wohlfahrtsverbände und Bildungsexperten halten einen Ausbau der Betreuungsangebote für überfällig. Zunehmend nervös werden auch die Arbeitgeberverbände. Sie betrachten den wachsenden Fachkräftemangel mit Sorge. Dass gut ausgebildete Frauen nach der Geburt eines Kindes aus purem Mangel an Betreuungsplätzen drei Jahre aus dem Job aussteigen, ist aus ihrer Sicht nicht länger tragbar. Die Frage der Kinderbetreuung bekommt damit in zunehmendem Maße eine gesamtwirtschaftliche Komponente.
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat in einem Gutachten untersucht, welche Auswirkungen Investitionen in zusätzliche Betreuungseinrichtungen auf die öffentlichen Kassen hätten. Das Ergebnis könnte Familienpolitikern als wichtige Argumentationshilfe dienen: Viele Alleinerziehende, die jetzt von Sozialhilfe abhängig sind, könnten bei einem gut ausgebauten Betreuungsangebot berufstätig werden. Sie würden nicht nur die kommunalen Kassen entlasten, sondern auch Steuern und Sozialbeiträge zahlen. Die zusätzlich einzustellenden Erzieherinnen und Erzieher täten das ebenfalls. DIW-Expertin Katharina Spieß plädiert deshalb für ein grundsätzliches Umdenken.
Es ist sicher so, dass unser Gutachten erstmalig für Deutschland die Perspektive öffnen soll, dass wir Kindertageseinrichtungen nicht nur kurzfristig unter einer Kostenperspektive betrachten können, sondern dass es auch volkswirtschaftlich betrachtet zusätzliche Einnahmeeffekte gibt, die immer im Hinterkopf sein müssen, wenn wir über Ausgaben diskutieren.
Einziger Haken an der Sache: Die derzeitige Arbeitsmarktlage bietet vor allem gering qualifizierten Müttern nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten für einen Wiedereinstieg in den Beruf. Anders sieht es bei den Akademikerinnen aus: Viele von ihnen könnten schon jetzt leichter einen Job finden und dadurch für eine Entlastung der öffentlichen Kassen sorgen.
Die Schwierigkeiten bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf beschäftigen auch in zunehmendem Maße die Unternehmen selbst. Wenn sie junge Mitarbeiterinnen halten wollen, werden sie sich in Zukunft verstärkt um das familienpolitische Umfeld kümmern müssen. Unternehmer, die vorausschauend denken, tun das schon heute.
Aufgrund unserer Umfrage haben wir ermittelt, dass für ca. 100 Mitarbeiterkinder Bedarf besteht, wobei der größte Bedarf bei den unter Dreijährigen ist.
Petra Schmidt-Graubner arbeitet für die deutsche Niederlassung des Chemie- und Pharma-Konzerns Solvay. Das Unternehmen beschäftigt an seinem Standort in Hannover 1000 Mitarbeiter, die Hälfte davon Frauen. Für die Idee, einen Betriebskindergarten einzurichten, konnten sich die Geschäftsführer und der Betriebsrat gleichermaßen begeistern. Petra Schmidt-Graubner setzt das Vorhaben nun in die Tat um. Zu Beginn des kommenden Jahres wird der Kindergarten seine Tore öffnen.
Der Kindergarten wird eine Einrichtung sein, eine Gruppe für bis zu 25 Kinder und wir planen die Aufnahme der Kinder ab einem Jahr bis dann hin zur Schulpflicht. Er ist für sämtliche Mitarbeiterkinder ausgerichtet, und wir werden uns, wenn die Möglichkeiten bestehen, auch nach außen öffnen.
Billig ist das Unterfangen nicht: Etwa 160 000 Euro lässt sich das Unternehmen den Kindergarten jährlich kosten, eine Investition, die keinesfalls aus reiner Wohltätigkeit motiviert ist, sondern handfeste Gründe hat, wie Günther Nadolny aus der Sicht der Geschäftsführung erläutert.
Man muss dazu wissen, dass die Solvay ein internationales Unternehmen ist und wir damit auch im internationalen Wettbewerb stehen. Und wenn wir vergleichen die Möglichkeiten, die es in Belgien, Frankreich oder auch Holland gibt auf diesem Gebiet, gerade auch für Krippenplätze, dann sind wir in Deutschland doch noch etwas weiter weg davon. Und wir haben hier damit bei uns, gerade für die hoch qualifizierten Fachkräfte, die wir hier am Standort haben, einen Wettbewerbsnachteil.
Betriebswirtschaftlich kann Nadolny die Einrichtung eines Betriebskindergartens durchaus rechtfertigen. Dadurch, dass viele junge Mütter in seiner Belegschaft für mehrere Jahre ihre Arbeitsstelle verlassen, entstehen dem Unternehmen bislang hohe Kosten. Das soll sich nun ändern.
Beim Wechsel auf einer solchen Arbeitsstelle, hoch qualifizierten Arbeitsstelle, fallen für uns Kosten in Höhe von 20 000 bis 25 000 Euro an - vom Anwerben bis zur Qualifizierung bis zu Einarbeitung, wenn man das alles zusammenrechnet. Bei dieser Kindertagesstätte, die wir vorbereiten, kalkulieren wir mit Kosten von 8 000 bis 9 000 Euro pro Platz. Das heißt, das ist ein Rechenexempel, wenn wir drei bis vier Fälle im Jahr haben, dann rechnet sich das auch für das Unternehmen.
Natürlich wird sich nicht jedes Unternehmen eine eigene Kindertagesstätte leisten können und wollen. Das muss auch gar nicht sein, denn es gibt zahlreiche andere Möglichkeiten, Mitarbeiterinnen durch familienfreundliche Angebote an sich zu binden und so auch ein besseres Betriebsklima zu schaffen.
Ein gerade erschienenes Gutachten des Prognos-Institutes belegt, dass sich das auch für kleine und mittlere Betriebe in barer Münze auszahlen kann. Allerdings: Viele Unternehmer kennen diese Möglichkeiten bislang nicht; das Interesse für das soziale Umfeld der Mitarbeiter ist nicht sehr ausgeprägt. Günther Nadolny glaubt aber, dass sich das in nächster Zeit ändern wird.
Man kann heute feststellen, dass mehr und mehr Unternehmen sich damit beschäftigen, im Moment – die Zeiten sind schlecht – liegt das nicht im Trend. Das heißt aber, auf der anderen Seite: Die Zeiten werden wieder besser werden, und wir werden uns um Fachkräfte – ich will nicht sagen: balgen – aber Fachkräfte, gerade auch in den Bereichen Chemie, Medizin, Biologie werden für uns sehr interessant sein und bleiben. Und wir werden uns um diese Fachkräfte bemühen müssen.
Unternehmen werden also in ihrem eigenen Interesse zukünftig mehr zur Familienpolitik beitragen –
auch für kleinere Firmen gibt es da eine ganze Reihe von Möglichkeiten: Sie können zum Beispiel kommunale Kindertageseinrichtungen bezuschussen, sie können eine bestimmte Anzahl von Betreuungsplätzen finanzieren oder einen Betreuungsservice einrichten, der dann einspringt, wenn Mitarbeiter auf Dienstreise gehen oder sich fortbilden. Der klassische Betriebskindergarten werde in Zukunft sicher nur ein Modell unter vielen sein, glaubt Katharina Spieß vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung.
Wir haben in unterschiedlichen Studien gesehen, dass es eigentlich nicht darum geht, nur eine Möglichkeit zu schaffen, sondern, was wir in Deutschland brauchen, ist ein vielfältiges Angebot, was gerade auch den sehr heterogenen und unterschiedlichen Bedürfnissen der Familien gerecht wird.
Flexibilität und Kreativität lassen sich allerdings nicht erzwingen. Das ist auch eine Erfahrung, die Familienministerin Renate Schmidt immer wieder machen muss. In einer Situation, in der kein Spielraum für finanzielle Anreize vorhanden ist, versucht auch sie, mehr Betriebe für ein familienpolitisches Engagement zu gewinnen.
Die Gesetze haben wir alle. Elternzeit, Teilzeitbeschäftigung und Anspruch auf Teilzeit. Und trotzdem funktioniert es nicht. Weil die Unternehmen nicht erkannt haben, dass es in ihrem eigenen Interesse ist. Und solche Mentalitätsänderungen herbeizuführen und dafür die Strukturen zu schaffen – also Freiwilligkeit zu haben und trotzdem Verbindlichkeit – dieses ist das Schwierigste überhaupt. Das ist schwieriger, als jedes Gesetz zu machen. Und dieses zu bewerkstelligen, das ist meine Arbeit jetzt im Moment.
Zusammen mit den führenden Köpfen der großen Wirtschaftsverbände und DGB-Chef Sommer hat Renate Schmidt eine Allianz für die Familie gegründet. Wieder eine Berliner Runde debattierfreudiger Amts- und Mandatsträger? Mitnichten, sagt die Ministerin. Sie will einen Impuls geben, damit endlich dort Hand angelegt wird, wo sich Familienpolitik tatsächlich auswirkt – nämlich auf lokaler Ebene. An vielen Orten in Deutschland sollen sich vom kommenden Jahr an Vertreter von Kommunen, Sozialeinrichtungen, Kirchen, Arbeitgebern und Beschäftigten zusammentun, familienfreundliche Ideen sammeln und sie in die Tat umsetzen. Ob das Projekt die familienpolitische Situation in Deutschland spürbar verbessern wird oder nur dazu dient, Aufgaben, an denen die große Politik scheitert, nach unten zu delegieren, wird sich dann noch zeigen müssen.
Ich weiß, dass es in keinem Bundesland, definitiv in keinem, einen bedarfsgerechten Ausbau von Kinderbetreuungseinrichtungen für die unterste Altersgruppe gibt, dass wir insgesamt in Deutschland zu wenig Ganztagskindergärten haben, dass wir außerdem in Deutschland zu wenig Ganztagsschulen haben, und dass wir uns in Europa, aber auch teilweise weltweit verstecken dürfen, wenn wir uns mit vergleichbaren Nationen vergleichen.
Eine niederschmetternde Analyse, die jeder Fachministerin zu denken geben muss – auch dann, wenn sie für die Situation nicht direkt verantwortlich und für ihre Verbesserung nicht unmittelbar zuständig ist. In zentralen Bereichen der Familienpolitik – das ist über alle Parteigrenzen hinweg Konsens – steht Deutschland im internationalen Vergleich miserabel da.
Dabei spielte die Familienpolitik im letzten Bundestagswahlkampf eine wichtige Rolle – aus einem Randthema wurde ein Wahlkampfschlager mit kostspieligen Konsequenzen: Die CDU versprach ein großzügiges Familiengeld für alle, konnte aber dessen Finanzierung nie stichhaltig darstellen. Das Problem hat sie bis heute. Demgegenüber nahm sich die SPD vor, die öffentlichen Betreuungsangebote zu verbessern. Außerdem findet man in ihrem Wahlprogramm die Absicht, das Kindergeld mittelfristig von 150 auf 200 Euro anzuheben.
Davon ist zurzeit keine Rede. Im Gegenteil: Renate Schmidt muss Sparauflagen erfüllen. In Zukunft bekommen nur noch diejenigen Eltern Erziehungsgeld, die weniger als 30 000 Euro im Jahr verdienen – bislang galt eine Einkommensgrenze von 51 000 Euro. Mehr Geld direkt in die Hände von Eltern – das wird es vorläufig wohl nicht geben. Experten wie Katharina Spieß vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung halten das aber auch nicht unbedingt für den besten Weg, um die Lage von Familien zu verbessern. Katharina Spieß:
Grundsätzlich halte ich persönlich es nicht für sinnvoll, das Kindergeld nochmalig zu erhöhen, um Familien mehr Geld zu geben, was sie dann für Kinderbetreuung ausgeben können, weil ein solches politisches Instrument nicht per se sicherstellen kann, dass es auch den Kindern zu Gute kommt. Vor diesem Hintergrund und vor dem Hintergrund, dass öffentliche Gelder auch nur einmal ausgegeben werden können, halte ich es für sinnvoller, Gelder in den Ausbau von Kindertagesstätten zu stecken, als diese Gelder Familien einfach so in die Hand zu drücken.
Die zentrale Aufgabe der rot-grünen Bundesregierung ist damit skizziert: In ihrer zweiten Amtszeit will sie dafür sorgen, dass Eltern für ihre Kinder leichter einen Krippen- oder Hortplatz finden. Vieles liegt da noch im Argen. So besteht zwar seit 1996 ein Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz für Kinder ab drei Jahren, in der Praxis aber landen viele Kinder auch nach dem Ende ihres dritten Lebensjahres erst einmal auf einer Warteliste.
Und viele Mütter, die gerne wieder berufstätig wären, müssen feststellen, dass von modernen Arbeitnehmerinnen eine Flexibilität verlangt wird, zu der die starren Öffnungszeiten der meisten Kindertagesstätten nicht passen wollen. Katharina Spieß:
In den meisten Bundesländern ist der Rechtsanspruch auch nur ein Rechtsanspruch auf einen Halbtagsplatz, der insbesondere kein Mittagessen umfasst, was für eine erwerbstätige Mutter auch wiederum eine große Schwierigkeit ist, weil man bei einem Betreuungsumfang von vier Stunden selbst eine höherwertige Teilzeitarbeit kaum realisieren kann.
Auch für Schulkinder, deren Eltern nachmittags arbeiten, fehlen Betreuungsangebote. Zwar haben viele Bundesländer inzwischen verlässliche Schulzeiten am Vormittag eingeführt, aber es fehlen Ganztagsschulen und Hortplätze für den Nachmittag. Hier ist die Bundesregierung bereits tätig geworden: mit einem vier Milliarden Euro schweren Investitionsprogramm, das sich gerade in der Startphase befindet.
Am wenigsten wurde bisher für die jüngsten Mitglieder der Gesellschaft getan. Krippenplätze für Kinder unter drei Jahren haben vor allem in den westlichen Flächenländern Seltenheitswert: Die Versorgungsquote, also die Zahl der vorhandenen Plätze für jeweils hundert Kinder im betreffenden Alter, liegt hier noch immer bei unter fünf Prozent. In den Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen sieht es besser aus, und auch die östlichen Bundesländer, die noch von alten DDR-Strukturen zehren, können Versorgungsquoten zwischen 25 und 50 Prozent vorweisen.
Warum es nicht mehr Angebote gibt, das hat viele Gründe. Der mittlerweile dramatische Geldmangel bei den Kommunen ist wohl der wichtigste, aber nicht der einzige.
Manuela Reddehase:
Heute sind alle Kinder da: Der Jakob ist da, der Tobi ist da, der Max ist da, die Miriam ist da, Mareen....
Der Mini-Club im hannoverschen Stadtteil Döhren ist ausgebucht. Fünfmal in der Woche betreut Erzieherin Manuela Reddehase zusammen mit einer Praktikantin acht Kinder zwischen eineinhalb und drei Jahren. Die Kleinen bleiben viereinhalb Stunden und bekommen ein warmes Mittagessen, bevor Mütter oder Väter sie wieder abholen. Manche Kinder kommen einmal in der Woche, andere zwei- oder dreimal.
Es gibt ganz unterschiedliche Gründe, warum Eltern ihre Kinder in den Mini-Club bringen.
In erster Linie richtet sich dieses Angebot an Eltern - einerseits an Alleinerziehende, die dadurch eine Entlastung erfahren. Dann ist es auch eine tolle Möglichkeit für Studierende, ihr Studium nicht ganz zu vernachlässigen, sondern schnell wieder einzusteigen; ähnlich ist es bei Berufstätigen, nicht ganz raus zu kommen durch die Kinderbetreuung, dass die dann ganz schnell wieder in ihren Job kommen können. Manchmal ist es aber auch nur als Entlastung für Eltern gedacht, also, das heißt eben, einfach ein bisschen Zeit für sich selbst zu haben.
Gerade durch seine Flexibilität ist der Mini-Club bei Eltern beliebt. Einige von ihnen reisen aus benachbarten Stadtteilen an, wo man vergleichbare Angebote vergeblich sucht. Um mangelnde Nachfrage wird sich Manuela Reddehase deshalb vorläufig keine Sorgen machen müssen.
Wir haben ganz am Anfang, 2001, als der Miniclub in dieser Form ins Leben gerufen wurde, einmal einen Aufruf gestartet, um zu gucken: Kriegen wir den Miniclub überhaupt voll? Das ging Ruckzuck, dass wir aufstocken mussten. Der Miniclub hat erst dreimal wöchentlich stattgefunden, mittlerweile ist es fünfmal, es waren am Anfang nur sechs Kinder in der Gruppe, mittlerweile sind es acht Kinder in der Gruppe, und wir zehren immer noch von der Warteliste, die 2001 einmal durch Werbung ins Leben gerufen wurde.
Eingerichtet wurde der Mini-Club auf Initiative eines Vereins, des örtlichen Mütterzentrums. Auf ehrenamtlicher Basis überwanden die Frauen etliche bürokratische Hürden, um die Krabbelgruppe in der jetzigen Form ins Leben rufen zu können. Das Gehalt der Erzieherin wird je zur Hälfte aus Elternbeiträgen und ABM-Mitteln des Arbeitsamtes getragen. Diese Finanzierungsform ist allerdings befristet. Die Frauen vom Mütterzentrum müssen sich also bald nach neuen Geldgebern umsehen. Bei den zuständigen Ämtern gibt es zwar viel Lob für das vorbildliche Konzept des Mini-Clubs, aber für eine nennenswerte finanzielle Unterstützung reicht das Geld nicht. Hinzu kommen rechtliche Probleme – nach dem niedersächsischen Kindertagesstättengesetz kann der Mini-Club in seiner gegenwärtigen Form nicht gefördert werden.
Fehlende Zuschüsse, gesetzliche Hemmnisse anstelle eines Wettbewerbs um die besten Angebote – für tatkräftige Politiker gibt es viel zu tun. Und ein Blick in das Kinder- und Jugendhilfegesetz führt zu überraschenden Einsichten: Seit Jahren ist dort schwarz auf weiß zu lesen, dass für Kinder unter drei Jahren nach Bedarf Plätze in Tageseinrichtungen vorzuhalten sind. Es ist offenbar nur noch niemand auf die Idee gekommen, diesen Bedarf einzuklagen – vielleicht deshalb, weil die betroffenen Kinder nach dem Durchschreiten aller Instanzen längst lesen und schreiben könnten.
Eigentlich ist es vor allem Sache der Kommunen, die notwendigen Krippen- und Hortplätze zur Verfügung zu stellen. Ein Blick auf deren Finanzlage reicht aus, um zu erkennen, dass sie diese Aufgabe nicht allein schultern können. Deshalb wollte und will der Bund die Kommunen um 1,5 Milliarden Euro entlasten, indem er dauerhaft auf einen Teil der Umsatzsteuereinnahmen verzichtet. Im Gegenzug sollen sich Städte und Gemeinden darauf verpflichten, die Betreuungsangebote insbesondere für Kinder unter drei Jahren so weit zu verbessern, dass sie dem tatsächlichen Bedarf ein Stück näher kommen.
Doch wer definiert, was bedarfsgerecht ist? Im Gespräch war eine gesetzlich festgeschriebene Versorgungsquote – diese Variante lehnen die Kommunen allerdings ab. Und auch Bundesfamilienministerin Renate Schmidt bevorzugt inzwischen eine andere Lösung: Sie will den Bedarf an bestimmte soziale Merkmale koppeln.
Für Kinder von Alleinerziehenden, für Kinder, deren Eltern beide erwerbstätig sind, und für diejenigen Kinder, die einen besonderen Erziehungsbedarf haben – für diese drei Gruppen – damit kämen wir ungefähr, ich sage jetzt, um das mal in Zahlen zu greifen, ohne dass wir diese Zahlen im Kinder- und Jugendhilferecht verankern werden, auf eine Betreuungsquote für diesen Bereich, der 20 Prozent Plus ist. Das brauchen wir auch, wenn wir in Europa wenigstens auf einem gesunden Mittelplatz landen wollen.
Der Deutsche Städtetag hält die in Aussicht gestellte Entlastung um 1,5 Milliarden Euro für zu gering, um all das finanzieren zu können. Und mittlerweile werden die Verhandlungen ohnehin vom Streit um die Gemeindefinanzreform überlagert. Renate Schmidt ist dennoch zuversichtlich, dass sie ihre Pläne im Laufe des Jahres 2004 umsetzen kann.
Soweit es an uns liegt, wird es geschehen. Wir sind nicht alleine auf dieser Welt, das weiß ich auch. Ich weiß nicht, wie bestimmte Gesetze aus dem Bundesrat herauskommen werden, aber unsere feste Absicht ist es, das genau so zu machen, und es müsste die Union schon sehr eigenartige Argumente anführen, um zu sagen: hier haben wir keinen Modernisierungsbedarf.
Die Opposition hält diesen Optimismus naturgemäß für fehl am Platze. Maria Böhmer, stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und Expertin für Familienpolitik, glaubt, dass eine Einigung noch in weiter Ferne liegt. Und die in Aussicht gestellten 1,5 Milliarden Euro reichen ihr nicht aus.
Eigentlich ist – wie auch auf einigen anderen Reformbaustellen der Republik - allen klar, dass etwas passieren muss. Parteien, Wohlfahrtsverbände und Bildungsexperten halten einen Ausbau der Betreuungsangebote für überfällig. Zunehmend nervös werden auch die Arbeitgeberverbände. Sie betrachten den wachsenden Fachkräftemangel mit Sorge. Dass gut ausgebildete Frauen nach der Geburt eines Kindes aus purem Mangel an Betreuungsplätzen drei Jahre aus dem Job aussteigen, ist aus ihrer Sicht nicht länger tragbar. Die Frage der Kinderbetreuung bekommt damit in zunehmendem Maße eine gesamtwirtschaftliche Komponente.
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat in einem Gutachten untersucht, welche Auswirkungen Investitionen in zusätzliche Betreuungseinrichtungen auf die öffentlichen Kassen hätten. Das Ergebnis könnte Familienpolitikern als wichtige Argumentationshilfe dienen: Viele Alleinerziehende, die jetzt von Sozialhilfe abhängig sind, könnten bei einem gut ausgebauten Betreuungsangebot berufstätig werden. Sie würden nicht nur die kommunalen Kassen entlasten, sondern auch Steuern und Sozialbeiträge zahlen. Die zusätzlich einzustellenden Erzieherinnen und Erzieher täten das ebenfalls. DIW-Expertin Katharina Spieß plädiert deshalb für ein grundsätzliches Umdenken.
Es ist sicher so, dass unser Gutachten erstmalig für Deutschland die Perspektive öffnen soll, dass wir Kindertageseinrichtungen nicht nur kurzfristig unter einer Kostenperspektive betrachten können, sondern dass es auch volkswirtschaftlich betrachtet zusätzliche Einnahmeeffekte gibt, die immer im Hinterkopf sein müssen, wenn wir über Ausgaben diskutieren.
Einziger Haken an der Sache: Die derzeitige Arbeitsmarktlage bietet vor allem gering qualifizierten Müttern nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten für einen Wiedereinstieg in den Beruf. Anders sieht es bei den Akademikerinnen aus: Viele von ihnen könnten schon jetzt leichter einen Job finden und dadurch für eine Entlastung der öffentlichen Kassen sorgen.
Die Schwierigkeiten bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf beschäftigen auch in zunehmendem Maße die Unternehmen selbst. Wenn sie junge Mitarbeiterinnen halten wollen, werden sie sich in Zukunft verstärkt um das familienpolitische Umfeld kümmern müssen. Unternehmer, die vorausschauend denken, tun das schon heute.
Aufgrund unserer Umfrage haben wir ermittelt, dass für ca. 100 Mitarbeiterkinder Bedarf besteht, wobei der größte Bedarf bei den unter Dreijährigen ist.
Petra Schmidt-Graubner arbeitet für die deutsche Niederlassung des Chemie- und Pharma-Konzerns Solvay. Das Unternehmen beschäftigt an seinem Standort in Hannover 1000 Mitarbeiter, die Hälfte davon Frauen. Für die Idee, einen Betriebskindergarten einzurichten, konnten sich die Geschäftsführer und der Betriebsrat gleichermaßen begeistern. Petra Schmidt-Graubner setzt das Vorhaben nun in die Tat um. Zu Beginn des kommenden Jahres wird der Kindergarten seine Tore öffnen.
Der Kindergarten wird eine Einrichtung sein, eine Gruppe für bis zu 25 Kinder und wir planen die Aufnahme der Kinder ab einem Jahr bis dann hin zur Schulpflicht. Er ist für sämtliche Mitarbeiterkinder ausgerichtet, und wir werden uns, wenn die Möglichkeiten bestehen, auch nach außen öffnen.
Billig ist das Unterfangen nicht: Etwa 160 000 Euro lässt sich das Unternehmen den Kindergarten jährlich kosten, eine Investition, die keinesfalls aus reiner Wohltätigkeit motiviert ist, sondern handfeste Gründe hat, wie Günther Nadolny aus der Sicht der Geschäftsführung erläutert.
Man muss dazu wissen, dass die Solvay ein internationales Unternehmen ist und wir damit auch im internationalen Wettbewerb stehen. Und wenn wir vergleichen die Möglichkeiten, die es in Belgien, Frankreich oder auch Holland gibt auf diesem Gebiet, gerade auch für Krippenplätze, dann sind wir in Deutschland doch noch etwas weiter weg davon. Und wir haben hier damit bei uns, gerade für die hoch qualifizierten Fachkräfte, die wir hier am Standort haben, einen Wettbewerbsnachteil.
Betriebswirtschaftlich kann Nadolny die Einrichtung eines Betriebskindergartens durchaus rechtfertigen. Dadurch, dass viele junge Mütter in seiner Belegschaft für mehrere Jahre ihre Arbeitsstelle verlassen, entstehen dem Unternehmen bislang hohe Kosten. Das soll sich nun ändern.
Beim Wechsel auf einer solchen Arbeitsstelle, hoch qualifizierten Arbeitsstelle, fallen für uns Kosten in Höhe von 20 000 bis 25 000 Euro an - vom Anwerben bis zur Qualifizierung bis zu Einarbeitung, wenn man das alles zusammenrechnet. Bei dieser Kindertagesstätte, die wir vorbereiten, kalkulieren wir mit Kosten von 8 000 bis 9 000 Euro pro Platz. Das heißt, das ist ein Rechenexempel, wenn wir drei bis vier Fälle im Jahr haben, dann rechnet sich das auch für das Unternehmen.
Natürlich wird sich nicht jedes Unternehmen eine eigene Kindertagesstätte leisten können und wollen. Das muss auch gar nicht sein, denn es gibt zahlreiche andere Möglichkeiten, Mitarbeiterinnen durch familienfreundliche Angebote an sich zu binden und so auch ein besseres Betriebsklima zu schaffen.
Ein gerade erschienenes Gutachten des Prognos-Institutes belegt, dass sich das auch für kleine und mittlere Betriebe in barer Münze auszahlen kann. Allerdings: Viele Unternehmer kennen diese Möglichkeiten bislang nicht; das Interesse für das soziale Umfeld der Mitarbeiter ist nicht sehr ausgeprägt. Günther Nadolny glaubt aber, dass sich das in nächster Zeit ändern wird.
Man kann heute feststellen, dass mehr und mehr Unternehmen sich damit beschäftigen, im Moment – die Zeiten sind schlecht – liegt das nicht im Trend. Das heißt aber, auf der anderen Seite: Die Zeiten werden wieder besser werden, und wir werden uns um Fachkräfte – ich will nicht sagen: balgen – aber Fachkräfte, gerade auch in den Bereichen Chemie, Medizin, Biologie werden für uns sehr interessant sein und bleiben. Und wir werden uns um diese Fachkräfte bemühen müssen.
Unternehmen werden also in ihrem eigenen Interesse zukünftig mehr zur Familienpolitik beitragen –
auch für kleinere Firmen gibt es da eine ganze Reihe von Möglichkeiten: Sie können zum Beispiel kommunale Kindertageseinrichtungen bezuschussen, sie können eine bestimmte Anzahl von Betreuungsplätzen finanzieren oder einen Betreuungsservice einrichten, der dann einspringt, wenn Mitarbeiter auf Dienstreise gehen oder sich fortbilden. Der klassische Betriebskindergarten werde in Zukunft sicher nur ein Modell unter vielen sein, glaubt Katharina Spieß vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung.
Wir haben in unterschiedlichen Studien gesehen, dass es eigentlich nicht darum geht, nur eine Möglichkeit zu schaffen, sondern, was wir in Deutschland brauchen, ist ein vielfältiges Angebot, was gerade auch den sehr heterogenen und unterschiedlichen Bedürfnissen der Familien gerecht wird.
Flexibilität und Kreativität lassen sich allerdings nicht erzwingen. Das ist auch eine Erfahrung, die Familienministerin Renate Schmidt immer wieder machen muss. In einer Situation, in der kein Spielraum für finanzielle Anreize vorhanden ist, versucht auch sie, mehr Betriebe für ein familienpolitisches Engagement zu gewinnen.
Die Gesetze haben wir alle. Elternzeit, Teilzeitbeschäftigung und Anspruch auf Teilzeit. Und trotzdem funktioniert es nicht. Weil die Unternehmen nicht erkannt haben, dass es in ihrem eigenen Interesse ist. Und solche Mentalitätsänderungen herbeizuführen und dafür die Strukturen zu schaffen – also Freiwilligkeit zu haben und trotzdem Verbindlichkeit – dieses ist das Schwierigste überhaupt. Das ist schwieriger, als jedes Gesetz zu machen. Und dieses zu bewerkstelligen, das ist meine Arbeit jetzt im Moment.
Zusammen mit den führenden Köpfen der großen Wirtschaftsverbände und DGB-Chef Sommer hat Renate Schmidt eine Allianz für die Familie gegründet. Wieder eine Berliner Runde debattierfreudiger Amts- und Mandatsträger? Mitnichten, sagt die Ministerin. Sie will einen Impuls geben, damit endlich dort Hand angelegt wird, wo sich Familienpolitik tatsächlich auswirkt – nämlich auf lokaler Ebene. An vielen Orten in Deutschland sollen sich vom kommenden Jahr an Vertreter von Kommunen, Sozialeinrichtungen, Kirchen, Arbeitgebern und Beschäftigten zusammentun, familienfreundliche Ideen sammeln und sie in die Tat umsetzen. Ob das Projekt die familienpolitische Situation in Deutschland spürbar verbessern wird oder nur dazu dient, Aufgaben, an denen die große Politik scheitert, nach unten zu delegieren, wird sich dann noch zeigen müssen.