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Kein Problem mit Alkohol - nur ohne

Auch der Journalist und Kunstkritiker Peter Richter weiß selbstverständlich um den alarmierenden Stand des Alkoholkonsums in Deutschland. Das hat ihn aber nicht davon abgehalten, ein Buch vorzulegen, das nicht weniger enthält als ein Plädoyer für das Trinken.

Ein Beitrag von Shirin Sojitrawalla | 07.06.2011
    "Die durch Alkohol verursachten Schäden sind in Deutschland extrem". So steht es im diesjährigen Jahrbuch Sucht, herausgegeben von der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen. Forschungsergebnisse und Statistiken ließen keine Zweifel an der Dimension des Problems, heißt es weiter: "Jeder Fünfte zwischen 18 und 64 Jahren hat ein Alkoholproblem, die zweithäufigste Hauptdiagnose der Krankenhäuser lautet bei Männern 'Psychische Verhaltensstörungen durch Alkohol'". In krassem Gegensatz dazu stehe sein Image. Er gelte je nach Bedarf als Muntermacher, Kontaktstifter, Problemlöser oder auch als Schlaftrunk. Fest stehe besonders für junge Leute: Wer Alkohol trinkt, ist cool. Darüber hinaus würden ihm sogar gesundheitsdienliche Kräfte angedichtet. Das alles wissen wir wohl.

    Auch der Journalist und Kunstkritiker Peter Richter weiß selbstverständlich um den alarmierenden Stand des Alkoholkonsums in Deutschland. Das hat ihn aber nicht davon abgehalten, ein Buch vorzulegen, das nicht weniger enthält als ein Plädoyer für das Trinken. "Über das Trinken" nennt er seinen ebenso amüsanten wie lehrreichen Streifzug durch die Gefilde des Suffs. Es ist Essay und Gebrauchsanweisung in einem. Dabei kommt Peter Richter und vor allen den Lesern zugute, dass Richter nicht nur Journalist, sondern auch Mitglied der Harald-Schmidt-Show ist, in der er in regelmäßigen Videobotschaften, "Richterskala" überschrieben, übergeschnappt-naive Blicke auf eine alles dürfende Gegenwart wirft. Mit der intellektuellen Leutseligkeit des Stammtischs macht sich Richter auch über das Thema Trinken her. Dabei erinnert er an einen, der am Tresen steht und steile Thesen in die stickige Luft sticht, ohne aufzublicken.

    Trinken solle zum Rausch führen, lautet so eine These, die Richter erfahrungsgesättigt und geistreich ausführt. Andererseits ist er sich vollauf im Klaren darüber, dass das Trinken eine ziemlich heikle Tätigkeit ist, die nicht jeder, um nicht zu sagen, die wenigsten, ganz gut beherrschen. So gibt Richter den willigen Trinkern dankenswerterweise ein paar nützliche Eckdaten an die Hand, die ein kontrolliertes Trinken erlauben - unglaublich gute Ratschläge, die allen Nicht-Alkoholikern das Leben erleichtern: Nicht täglich zu trinken, lautet so ein Ratschlag. "Bei einer Sache bleiben!" ein anderer und ganz wichtig beim nächsten Besuch beim Griechen an der Ecke: "Niemals Schnäpse aufschwatzen lassen!"

    Problem dieses Regelwerks wie aller Regelwerke: Nach dem zweiten Glas Sekt oder Was-auch-immer lösen sie sich in perligem Wohlgefallen auf und der nächste Kater ist programmiert, doch auch dem leidigen Hangover am Tag danach kann Richter noch gute Seiten abgewinnen. Mit bösem Witz dreht er dabei immer wieder elegante Pointen, die zuweilen lauthals lachen machen. Launig gedenkt er den trunksüchtigen sächsischen Herrschern, singt ein Loblied auf Dionysos, vollführt einen Idiotentest und zückt immer dann, wenn sich Nüchternheit breitzumachen droht, eine Anekdote aus dem Ärmel. Dabei widmet sich Richter zum Glück auch der Branche, in der wohl so viel getrunken wird, wie nirgends sonst: der Literatur beziehungsweise den Schriftstellern. Angeblich trinken beziehungsweise tranken amerikanische Autoren am meisten, stattliche Alkoholiker sind und waren darunter, nicht wenige literaturnobelpreisgekürt. Und nicht nur die großzügig vollgeschenkten Gläser in den hard-boiled-Krimis zeugen von der ganz besonderen Trinkkultur der Vereinigten Staaten, was Richter dazu nutzt, sich flugs den unterschiedlichen Trinkgewohnheiten in der ganzen Welt zu widmen.

    Das alles macht er ebenso kunstsinnig wie weltläufig und begibt sich auch schon mal unters Volk, in den Kölner Karneval oder aufs Oktoberfest in München. Gut gelaunt fügt er zum Schluss noch eine Gläserkunde an, gibt Bier als das Gegenteil von Sekt aus und schaut Ost und West auf ihre Herrengedecke. Kurz: Das ideale Geschenkbuch für liebe Freunde, die zu gerne einen heben oder mit Wilhelm Busch gesprochen: "Wer Sorgen hat, hat auch Likör".

    Peter Richter: "Über das Trinken". Goldmann Verlag. 206 Seiten. Euro 13,40