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Kein Problem mit Fremdenhass

Die sächsische Stadt Mügeln steht seit drei Jahren für viele für Fremdenhass. Damals kam es bei einem Stadtfest auf eine regelrechte Jagd auf eine Gruppe Inder. Die Stadt hat seither einiges getan, dass so etwas nicht mehr passiert. Zudem haben Jugendliche einen Verein gegen Rechtsextremismus gegründet.

Von Alexandra Gerlach |
    Bürgermeister Gotthard Deuse, FDP, sitzt in seinem Amtszimmer und blättert ungläubig in einer Stuttgarter Zeitung. Auf Reportage-Seite 3 titelte das Blatt im Dezember "Bis heute regiert in Mügeln die Angst".

    "Ich bin auch jetzt sehr aufgewühlt und kann es eigentlich nicht verstehen, dass über die Stadt Mügeln so gezogen wird, denn wir sind nicht so, auch wenn das manche nicht hören wollen. Mügeln ist kein braunes Nest, oder hier regieren nicht die Rechtsextremen, sondern hier regiert die Demokratie und zu der stehe ich auch ganz deutlich und ich lasse auch über die Stadt Mügeln nicht solche Dinge ergehen!"

    Seit 21 Jahren steht der Ingenieur und FDP-Politiker an der Spitze der 5000-Seelen-Kommune im Herzen Sachsens. Es nervt ihn, dass seine kleine Stadt am öffentlichen Pranger steht. Dabei weiß Deuse ebenso gut wie die Polizei, dass die Region um Mügeln Brennpunkt der gut vernetzten und mobilen sächsischen Neo-Nazi-Szene ist. Drei Jahre sind seit dem schweren rassistisch motivierten Zwischenfall auf dem Mügelner Altstadtfest vergangen. Die Stadt hat inzwischen Schulprojekte und Aufklärungsaktionen gegen Rechtsextremismus durchgeführt. Bürgermeister Deuse hegt Zweifel, ob Mügeln überhaupt einen Verein wie Vive le Courage braucht:

    "Also, sie haben gesagt, dass sie also gegen Rassismus sind, was wir ja eigentlich auch selber darstellen."

    Damals wie heute beteuert der Bürgermeister, in Mügeln habe man kein Problem mit Fremdenhass:

    "Ich würde das eigentlich genauso wiederholen, dass wir hier wirklich kein Problem mit Rechtsextremisten haben, und auch die Polizei hat das eigentlich jetzt in der letzten Zeit bestärkt mir gegenüber zum Ausdruck gebracht."

    In der Tat listen die Polizeiberichte für 2010 nur weitgehend unspektakuläre Kleindelikte auf. Für 2009 freilich ergibt sich ein anderes Bild und das hat auch mit einem Verein junger engagierter Mügelner, namens Vive le Courage zu tun. Der Verein, der sich einen Monat nach jenem Schlagzeilen trächtigen Übergriff auf die Inder gründete, verfolgt ein Ziel:

    "Aufklärung in erster Linie, das heißt, mehr Leute sensibilisieren für das Thema Rechtsextremismus, für Menschenfeindlichkeit ganz einfach, die latent in der Gesellschaft vorhanden ist."

    Roman Becker ist 23 Jahre alt, Auszubildender im Landratsamt und Vorsitzender von Vive le Courage. 16 Mitglieder zählt der Verein inzwischen, doch seine Zukunft ist mehr als ungewiss. Immer wieder hakelt er sich mit der Stadtverwaltung. Zuletzt, als der Verein den Schriftsteller Günter Wallraff zu Gast hatte. Erst nach mehrmaligen Interventionen einer stadtbekannten Apothekerin gab es grünes Licht für die Nutzung eines Saales im Rathaus, erzählt eine junge Frau:

    "Und das Ende vom Lied nach diversen Gemeinderatssitzungen war, dass die Veranstaltung stattfinden darf, im Rathaus unter der Auflage maximal 100 Personen, keine Flyer, keine Ansprache von Vive le Courage. Also es dürfte die Lesung stattfinden, aber es sollte dann geräumt werden."

    Der Bürgermeister bestreitet, dass seine Verwaltung dem Verein mit Absicht Steine in den Weg lege. Er moniert vielmehr, dass Vive-le Courage simple Anmeldeverfahren für Veranstaltungen nicht ordnungsgemäß erledigt habe. Mitarbeiter des Kulturbüros Sachsen, das mit einem mobilen Beratungsteam den Kampf gegen Rechtsextremismus auch in Mügeln unterstützt, beklagen hingegen, dass es in der Stadt an einem Bewusstsein für das Problem mit den Neonazis fehle. Wer auf dem Boden des Grundgesetzes gegen braune Umtriebe eintrete, so klagt eine Expertin, werde in Mügeln schnell zum Linksextremisten abgestempelt. So haben es auch Tine Schwerdtner und Roman Becker von Vive le Courage erlebt. Schon mehrfach seien sie in die Rolle des Sündenbocks geraten, obwohl sie sich doch eigentlich für die Demokratie einsetzen.

    "Na, wir waren dann ganz einfach die Nestbeschmutzer, die das erst hervorgerufen haben, so ungefähr, wenn wir nicht wären, wären die Leute gar nicht ..."

    Der Vorwurf: Vive le Courage locke die rechte Szene erst an. Vereinstreff war 2009 ein sanierungsbedürftiges Haus in der Ernst-Thälmann-Straße. Vor dem Haus versammelten sich immer wieder Dutzende Demonstranten der rechtsgerichteten Szene, die es mit Flaschen bewarfen, bis die Fenster im Erdgeschoss völlig zerstört waren. Die Polizei sei über Wochen mit einem Großaufgebot von Beamten vor Ort gewesen, erinnert sich Roman Becker.

    "Freitagabend standen 50 Leute davor, war eine ganze Familie dabei, Vater, Mutter, Kind und Hund und haben eben hier reihenweise mit Flaschen geworfen, der ganze Fußweg war voller Scherben."

    "Da hat sogar der Einsatzleiter von bürgerkriegsähnlichen Zuständen gesprochen. "

    Inzwischen ist den jungen Leuten untersagt, das Haus zu nutzen. Sie wollten es sanieren, aber Stadt, Landratsamt und das Landeskirchenamt der evangelischen Kirche haben ihren Antrag auf Nutzungsänderung des Gebäudes gekippt. Und das hat weitreichende Folgen. Roman Becker:

    "Das bedeutet, dass das Vereinsleben brachliegt, weil man niemanden mehr erreicht, man hat keinen Treffpunkt mehr. Wir haben nun das Problem alle paar Wochen, wo machen wir unsere Sitzung."

    Aufgeben will der engagierte Gründer von Vive le Courage nicht, - noch nicht:

    "Nein! Nein! Weil ich glaube auch, je kleiner ein Ort ist, desto weniger Leute gibt es, die etwas machen wollen, gerade deshalb ist es wichtig da zu bleiben und etwas zu machen, deshalb habe ich nicht vor, Mügeln aufzugeben."