Wer an Hubert Fichtes berühmte Interviews aus den 70er Jahren mit Huren, Homosexuellen und Zuhältern rund um die Hamburger Reeperbahn denkt, vermutet, zumindest scheinbar, zu recht, dass das Thema Prostitution heute nicht mehr wirklich zum großen Tabubruch taugt. Seit den 70er Jahren gibt es organisierte Interessenverbände von so genannten Sexarbeitern und Sexarbeiterinnen, die irgendwann in den 90er Jahren dann in der Dienstleistungsgesellschaft angekommen sind, in die sich ja nicht zuletzt auch die Bildende Kunst so auffallend mühelos integriert hat. In den Städten ist man inzwischen aufgeklärt oder eher abgeklärt genug, um sogenannte käufliche Liebe nicht der Rede wert zu finden. Von Sündenpfuhl und Sodom sprechen heute nur noch Fundamentalisten.
Insofern dürfte es gegenwärtiger Kunst schwerfallen, heute noch mit dem verruchten Sozialstatus einer Hure vergleichbare Provokationen zu schinden, wie dies noch einem Wedekind mit seiner "Lulu" gelang. Bei der großen Dreifach-Ausstellung in Berlin - übrigens der einzigen deutschen Stadt ohne Sperrbezirk, wenn auch mit den meisten Prostituierten - sucht man zwar hin und wieder den alarmistischen Tonfall, aber mehr in historischen Recherchen, die viele der beteiligten Künstlerinnen und Künstler präsentieren. Ästhetisierende Ansätze, wie man sie aus früheren Jahrhunderten hier in einer Art Bilderatlas aufbereitet hat, gibt es unter den heutigen Künstlern kaum noch, und sie wären hier auch fehl am Platz.
Denn der Rückgriff auf die Geschichte und die Dokumentation von Verhältnissen in anderen Ländern, den die Ausstellung vollzieht, wirkt, als wolle man die Deutschen ein wenig aufrütteln aus einer satten Konsumzufriedenheit, in der Werbung und Cybersex dem Straßenstrich schon längst den Aufmerksamkeitsrang abgelaufen haben. Subversiv ist das horizontale Gewerbe schon lange nicht mehr. Stattdessen steht das Thema Menschenrechte ganz oben auf der Prioritätenliste jener Arbeitsgruppen, die in der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst stets für die Konzeption der Ausstellungen zuständig sind. Nach dem Motto: Hört her, ihr lieben Weihnachtsmarktbesucher, ihr reinherzigen Christmas-Shopper: Prostitution ist immer noch Ausbeutung nahe am Menschenhandel. Zwar gilt das Gewerbe mittlerweile als sozialversicherungsfähig, aber das verdeckt nur die Millionen von Schicksalen illegaler oder gekidnappter, mitunter durchaus versklavter Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter. Nicht immer verläuft alles so ordentlich und politisch korrekt sortiert wie zu der Zeit, als die USA ihre größten Militärbasen auf den Philippinen angesiedelt hatten und dort rund um die Kasernen einen Kranz von Etablissements zogen, in die man Tausende junger Mädchen und Frauen als "Kellnerinnen" und "Tänzerinnen" anwarb. Tatsächlich waren es Riesenbordelle für die US-Boys, die man dadurch von Vergewaltigungen in eroberten Dörfern und Städten und damit von Befleckungen der amerikanischen Nationalehre abhalten wollte. Die Truppe sollte eben "sauber bleiben".
Auch andere Dokumentationen betonen den engen historischen Zusammenhang von Zwangsprostitution und militärisch-industriellem Komplex. Yoshiko Shimada verweist in ihrem Video auf die Stationierung der US-Luftwaffe 1945 in Japan mit selben Ergebnissen, wobei Prostituierte in Japan, ganz gleich, wie sie ihr Schicksal ereilt hatte, drastische soziale Ausgrenzung erfuhren. Karin Jurschick wiederum, 2004 mit dem Adolf-Grimme-Preis ausgezeichnet, untersucht in ihrem Dokumentarfilm den "Arizona Market", eine Freihandelszone für die internationalen Truppen auf der Kampflinie des einstigen Bosnienkrieges zwischen Bosniern und Serben, wo im Schatten legaler Geschäfte auch der große Deal mit Menschenhändlern aus Osteuropa begann. Aus manchen Dörfern der Ukraine, Moldawiens und Rumäniens sind Jurschick zufolge in jener Zeit sämtliche Frauen unter 40 verschwunden.
Dass sich Menschenhandel dieser Art auch in Deutschland mittlerweile etabliert hat, zeigt nicht nur der seit Jahren mehr oder weniger tolerierte, kilometerlange Frauen- und Babystrich an der deutsch-tschechischen Grenze südlichen von Dresden. Die Affäre um Michel Friedman, in der es nicht zuletzt um verschleppte ukrainische "Dienstleisterinnen" ging und die eine ziemlich heuchlerisch aufgeregte und zudem antisemitisch gefärbte Debatte in den Massenmedien in Gang setzte, ist wohl der prominenteste Fall, durch den die Aufmerksamkeit einen Moment lang auf die tatsächlichen Tabus dieser Gesellschaft gelenkt wurde, die Parallelgesellschaften des organisierten Verbrechens.
Die Kunst tritt angesichts dessen bei dieser Ausstellung bescheiden in die zweite Reihe und fungiert mehr als Nachrichtenmedium mit Botschaften aus einem der letzten dunklen Zonen demokratischer Gegenwartskultur. Nicht die Sexarbeit selbst ist dabei mehr das Tabu. Die erniedrigten Lebenswege der Opfer dahinter sind es.
Service:
Die Ausstellung ist bis zum 25. Februar 2007 zu sehen. Ausstellungsorte:
Neue Gesellschaft für Bildende Kunst e.V.
Oranienstr. 25, 10999 Berlin
Schwerpunkt: Selbstverständnis und Respekt
HAUS am KLEISTPARK
Kunstamt Tempelhof-Schöneberg
Grunewaldstr. 6-7, 10823 Berlin
Schwerpunkt: Klischees und Wirklichkeiten
Kunstraum Kreuzberg/Bethanien
Mariannenplatz 2, 10997 Berlin
Schwerpunkt: Arbeitsmigration, Trafficking, Sextourismus
Weitere Informationen im Internet.
Insofern dürfte es gegenwärtiger Kunst schwerfallen, heute noch mit dem verruchten Sozialstatus einer Hure vergleichbare Provokationen zu schinden, wie dies noch einem Wedekind mit seiner "Lulu" gelang. Bei der großen Dreifach-Ausstellung in Berlin - übrigens der einzigen deutschen Stadt ohne Sperrbezirk, wenn auch mit den meisten Prostituierten - sucht man zwar hin und wieder den alarmistischen Tonfall, aber mehr in historischen Recherchen, die viele der beteiligten Künstlerinnen und Künstler präsentieren. Ästhetisierende Ansätze, wie man sie aus früheren Jahrhunderten hier in einer Art Bilderatlas aufbereitet hat, gibt es unter den heutigen Künstlern kaum noch, und sie wären hier auch fehl am Platz.
Denn der Rückgriff auf die Geschichte und die Dokumentation von Verhältnissen in anderen Ländern, den die Ausstellung vollzieht, wirkt, als wolle man die Deutschen ein wenig aufrütteln aus einer satten Konsumzufriedenheit, in der Werbung und Cybersex dem Straßenstrich schon längst den Aufmerksamkeitsrang abgelaufen haben. Subversiv ist das horizontale Gewerbe schon lange nicht mehr. Stattdessen steht das Thema Menschenrechte ganz oben auf der Prioritätenliste jener Arbeitsgruppen, die in der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst stets für die Konzeption der Ausstellungen zuständig sind. Nach dem Motto: Hört her, ihr lieben Weihnachtsmarktbesucher, ihr reinherzigen Christmas-Shopper: Prostitution ist immer noch Ausbeutung nahe am Menschenhandel. Zwar gilt das Gewerbe mittlerweile als sozialversicherungsfähig, aber das verdeckt nur die Millionen von Schicksalen illegaler oder gekidnappter, mitunter durchaus versklavter Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter. Nicht immer verläuft alles so ordentlich und politisch korrekt sortiert wie zu der Zeit, als die USA ihre größten Militärbasen auf den Philippinen angesiedelt hatten und dort rund um die Kasernen einen Kranz von Etablissements zogen, in die man Tausende junger Mädchen und Frauen als "Kellnerinnen" und "Tänzerinnen" anwarb. Tatsächlich waren es Riesenbordelle für die US-Boys, die man dadurch von Vergewaltigungen in eroberten Dörfern und Städten und damit von Befleckungen der amerikanischen Nationalehre abhalten wollte. Die Truppe sollte eben "sauber bleiben".
Auch andere Dokumentationen betonen den engen historischen Zusammenhang von Zwangsprostitution und militärisch-industriellem Komplex. Yoshiko Shimada verweist in ihrem Video auf die Stationierung der US-Luftwaffe 1945 in Japan mit selben Ergebnissen, wobei Prostituierte in Japan, ganz gleich, wie sie ihr Schicksal ereilt hatte, drastische soziale Ausgrenzung erfuhren. Karin Jurschick wiederum, 2004 mit dem Adolf-Grimme-Preis ausgezeichnet, untersucht in ihrem Dokumentarfilm den "Arizona Market", eine Freihandelszone für die internationalen Truppen auf der Kampflinie des einstigen Bosnienkrieges zwischen Bosniern und Serben, wo im Schatten legaler Geschäfte auch der große Deal mit Menschenhändlern aus Osteuropa begann. Aus manchen Dörfern der Ukraine, Moldawiens und Rumäniens sind Jurschick zufolge in jener Zeit sämtliche Frauen unter 40 verschwunden.
Dass sich Menschenhandel dieser Art auch in Deutschland mittlerweile etabliert hat, zeigt nicht nur der seit Jahren mehr oder weniger tolerierte, kilometerlange Frauen- und Babystrich an der deutsch-tschechischen Grenze südlichen von Dresden. Die Affäre um Michel Friedman, in der es nicht zuletzt um verschleppte ukrainische "Dienstleisterinnen" ging und die eine ziemlich heuchlerisch aufgeregte und zudem antisemitisch gefärbte Debatte in den Massenmedien in Gang setzte, ist wohl der prominenteste Fall, durch den die Aufmerksamkeit einen Moment lang auf die tatsächlichen Tabus dieser Gesellschaft gelenkt wurde, die Parallelgesellschaften des organisierten Verbrechens.
Die Kunst tritt angesichts dessen bei dieser Ausstellung bescheiden in die zweite Reihe und fungiert mehr als Nachrichtenmedium mit Botschaften aus einem der letzten dunklen Zonen demokratischer Gegenwartskultur. Nicht die Sexarbeit selbst ist dabei mehr das Tabu. Die erniedrigten Lebenswege der Opfer dahinter sind es.
Service:
Die Ausstellung ist bis zum 25. Februar 2007 zu sehen. Ausstellungsorte:
Neue Gesellschaft für Bildende Kunst e.V.
Oranienstr. 25, 10999 Berlin
Schwerpunkt: Selbstverständnis und Respekt
HAUS am KLEISTPARK
Kunstamt Tempelhof-Schöneberg
Grunewaldstr. 6-7, 10823 Berlin
Schwerpunkt: Klischees und Wirklichkeiten
Kunstraum Kreuzberg/Bethanien
Mariannenplatz 2, 10997 Berlin
Schwerpunkt: Arbeitsmigration, Trafficking, Sextourismus
Weitere Informationen im Internet.