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Kein Theaterspaziergang

Die Ära der Intendantin Elisabeth Schweeger geht zu Ende: Mit Beginn der nächsten Spielzeit im September wird der bisherige Chefdramaturg des Deutschen Theaters in Berlin, Oliver Reese, die Leitung des Schauspielhauses und der Kammerspiele am Frankfurter Willy-Brandt-Platz übernehmen. Ihren Abschied von Frankfurt markierte eine Inszenierung von Peter Handkes Stück "Die Stunde, da wir nichts voneinander wussten", an dem das gesamte Ensemble mitwirkte.

Von Ruth Fühner |
    Es ist dann doch nur ein bunter Konfettischauer, der in der letzten Inszenierung der Ära Schweeger über der Frankfurter Schauspielbühne herabrieselt. Peter Handkes "Die Stunde, da wir nichts voneinander wussten" ist ein Stück ohne Worte, bevölkert von Paaren, Passanten und Wandergruppen, verwirrten Einzelgängern und quirligen Adabeis, die wie Sternschnuppen über den Himmel zucken und verglühen.

    Am schönsten ist Wanda Golonkas Inszenierung, wenn sie sich auf ihre witzige, manchmal alchimistische Verwandlungskunst verlässt - wenn aus Guerillero-Henker und Delinquent der Denker und sein Bodyguard werden, männliches Begehren sich manifestiert in einem Pinsel, der aus einem Hosenstall ragt, aus einem Gulli eine Windhose Herbstlaub aufwirbelt. Dazwischen aber herrscht vor allem Atemnot. So intensiv und surreal manche Bilder leuchten, so hübsch die surrealen Slapsticks verstolpert sind - für Neugier auf die Figuren, gar für einen roten Faden ist zu wenig Zeit. Viel zu oft wirkt das, als ginge es nur ums Vorführen der nächsten bizarren Kostümidee, des nächsten skurrilen Fortbewegungsstils. Konfetti eben statt Sternschnuppen.

    Wie schade. Denn Handkes sprachlose Wundertüte, inszeniert von einer Regisseurin, die vom Tanz kommt und das Haus in den letzten Jahren so sehr geprägt hat mit ihrer unverwechselbaren Rätselhandschrift - das hätte auch eine letzte Bekräftigung von Elisabeth Schweegers Überzeugung sein können, sein müssen, dass das Theater nicht zuallererst vom Text lebt, sondern vom Grenzverkehr zwischen allen Künsten.

    Flankiert wurde das Finale auf der Bühne von einem Flaneur-Kongress vor dem Haus, der noch einmal das andere große Leitmotiv der Ära Schweeger anschlug: die Öffnung des Theaters in die städtische Gesellschaft hinein, die spielerisch-intellektuelle Erkundung von Möglichkeiten eines anderen Lebens, jenseits der profitmaximierten Zeitzwänge des kapitalistischen Alltags.

    Elisabeth Schweeger hat ihr Haus nie als bloße Abspielstätte gegenwärtiger oder tradierter Dramatik verstanden. Als sie die Kantinenwand zur Straße hin durch eine Glasscheibe ersetzte, war das ein ebenso symbolischer Akt wie die Etablierung der philosophischen Salons oder der Clubabende, mit denen sie auch dem Theater ein deutlich verjüngtes Publikum erschloss. Das Prinzip Transparenz galt auch für die energische Förderung der Experimentierräume, in denen wie man in einem Labor kommende Talente beim Wachsen beobachten konnte.

    Leider hielt der theatralische Ertrag - auch auf der großen Bühne - dem intellektuellen Ehrgeiz der Intendantin nicht immer stand. Und ja, es gab sie, die Kopfgeburten, die ihr vorgehalten wurden von Leuten, denen die ganze Richtung nicht passte, die sich mehr Werktreue wünschten und weniger Experiment, mehr Sinnlichkeit und weniger konzeptionelles Denken. Bedauerlich auch, dass die Inszenierungen von Michael Thalheimer, Christoph Nel oder Dimiter Gotscheff eher wie Gastspiele wirkten als wie ein zentraler Bestandteil einer eigenen Frankfurter Ästhetik. Aber mit Regisseuren wie Karin Neuhäuser und Florian Fiedler, Corinna von Rad oder Simone Blattner entstanden zum Teil berückende Abende, denen man größere überregionale Aufmerksamkeit gewünscht hätte. So wie Armin Petras, dessen raue Poesie des Rands tändigen die Ära Schweeger maßgeblich prägte - und dem Frankfurter Schauspiel mit Einar Schleefs "Gertrud" die erste Einladung seit langem zum Berliner Theatertreffen einbrachte.

    Elisabeth Schweeger hinterlässt der Stadt eine gründlich veränderte Theaterlandschaft - jünger, offener, intellektuell auf der Höhe der Zeit und risikofreudig. Ein Pfund, mit dem ihr Nachfolger, Oliver Reese, unbedingt weiter wuchern sollte.