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Kein Vergessen

Im Süden Thailands haben die Menschen immer noch mit den Folgen des verheerenden Tsunamis zu kämpfen, der vor drei Jahren Tausende in den Tod riss. Zwar sind die meisten sichtbaren Schäden beseitigt, doch die Angst bleibt.

Von Nicola Glass |
    In Khao Lak sind die Menschen zur Normalität zurückgekehrt. Der kleine Urlaubsort an Thailands Andamanenküste ist wieder voller Touristen. Äußerlich erinnert nichts mehr an den verheerenden Tsunami, der die Region vor drei Jahren verwüstet hatte.

    Doch vergessen können die Bewohner die Katastrophe nicht. Nikom Alapat betreibt gemeinsam mit seinem Sohn ein Resort direkt am Strand. Die Flutwelle hatte es völlig zerstört. Der 77-Jährige erinnert sich an die Zeit des Wiederaufbaus. Geld vom Staat oder privaten Organisationen hat er nie bekommen:

    "Es war sehr schwierig, denn unser ganzer Besitz war verloren. Auch unser Kanalsystem hatte der Tsunami zerstört. Zuerst mussten wir das Land wieder aufschütten, denn es war durch das Salzwasser verdorben. Und dann haben wir unsere Bungalows wieder aufgebaut, dabei waren wir auf uns selbst angewiesen."

    Knapp eine halbe Stunde Autofahrt entfernt liegt das Fischerdorf Ban Nam Khem. Vom Touristenboom, wie er in Khao Lak herrscht, ist hier nichts zu spüren.
    Mehr als 2000 Menschen starben hier, als die Katastrophe Ende Dezember 2004 über das Dorf hereinbrach. Das Trauma sitzt bei vielen weiterhin tief - so wie bei der Ladenbesitzerin Pathum Saithong:

    "Von der Regierung und den Behörden habe ich insgesamt rund 60.000 Thai-Baht - umgerechnet etwa 1300 Euro - bekommen. Auch hat das Militär mein Haus wieder aufgebaut. Mein Mann aber steht seit dem Tsunami immer noch unter Schock. Er lebt hier Zuhause, muss weiterhin noch Medikamente einnehmen und wird medizinisch behandelt. Er kann nicht so arbeiten wie zuvor. Ich habe einen Monat nach dem Tsunami wieder angefangen zu arbeiten, denn wenn man ein Geschäft betreibt, hat man nicht die Zeit, über Probleme nachzudenken. Ich habe immer noch Schulden, aber die Arbeit hilft mir."

    Um Pathum und ihre Familie kümmert sich unter anderem der thailändische Pastor Wasan Sriwattananuphong. Einige Bewohner, so der christliche Kirchenvertreter, gestalteten ihr Leben ganz aus eigener Kraft, andere hingegen hätten sich durch den Tsunami und die damit verbundenen Spenden sehr verändert:

    "Vielen Menschen scheint es besser zu gehen, weil sie ein neues Haus bekommen haben, sogar ein besseres als zuvor, wenn man die jetzige Lage im Dorf mit der vor dem Tsunami vergleicht. Aber vieles hat sich trotzdem nicht zum Guten entwickelt. Denn weil ihnen viele Menschen geholfen haben, haben manche dadurch nur gelernt, zu nehmen anstatt selbst zu geben. Vorher haben die Menschen Dinge miteinander geteilt, haben sich umeinander gekümmert und Freundschaften gepflegt, aber jetzt sind immer mehr selbstsüchtig geworden."

    Viele Projekte, die nach dem Tsunami anliefen, sind zeitlich begrenzt. Oder sie bieten kaum Hilfe zur Selbsthilfe. Doch es gibt Ausnahmen. Weitab von der Küste inmitten der grünen bergigen Landschaft der Provinz Phang Nga liegt der Distrikt Kapong.

    Hier wurde die Yaowawit-Schule aufgebaut. Gegründet hat sie der Deutsche Philipp Graf von Hardenberg - fast unmittelbar nach der Tsunami-Katastrophe. Gedacht ist sie hauptsächlich für Kinder, die ansonsten nie die Chance gehabt hätten, zur Schule zu gehen. Denn viele Regionen des Südens sind arm. Das waren sie auch schon vor der verheerenden Flutwelle, die viele der kleinen Existenzen zerstört hat. Man Sooksawee, Manager in der Automobilbranche, ist gleichzeitig Direktor der Schule:

    "Auch wenn wir wussten, dass die Tsunami-Katastrophe irgendwann vorbei sein würde, haben wir zunächst Kinder aufgenommen, deren Eltern oder ein Elternteil durch den Tsunami ums Leben gekommen waren. Darüber hinaus nehmen wir diejenigen auf, deren Eltern an Infektionskrankheiten leiden sowie Kinder aus armen Verhältnissen. Derzeit warten etwa 200 bis 300 Kinder nahe Ban Nam Kehm darauf, dass sie im nächsten Jahr unsere Schule besuchen können. Wir können pro Jahr etwa 16 aufnehmen. Ich würde sagen, dass wir für die kommenden vier bis fünf Jahre Kinder in Warteposition haben."

    Die Ausbildung geht über den normalen Schulalltag hinaus, umfasst auch Fächer wie Sport und Meditation. Die Kinder und Jugendlichen lernen unter anderem auch, Gemüse und Obst anzubauen - als Teil einer Berufsausbildung. Außerdem wurde beschlossen, hier eine kleine Hotelfachschule zu betreiben. Ein der Schule angegliedertes Resort ist im Bau und soll möglichst bald Gäste in das abgelegene Bergtal locken.

    Denn mittelfristig will die Yaowawit-Schule auf eigenen Beinen stehen und nicht mehr auf Spenden angewiesen sein. Die Kinder genießen es, hier zu sein:

    "Hier zu leben gibt mir die Chance, zu lernen und glücklich zu sein. Ich fühle mich wohl hier, die Lehrer sind sehr gut und meine Freunde auch. Und ich wünsche meinen Lehrern ebenso viel Glück."

    Die Flut sei keinesfalls vergessen, aber die Folgen hätten viele Menschen stärker gemacht, sagt die Familienmanagerin der Schule, die von allen nur Kellie genannt wird. Kellie hatte nach dem Tsunami als freiwillige Helferin gearbeitet, ehe sie an der Schule anfing:

    "Es gibt Gerüchte über einen neuen Tsunami um den 23. Dezember herum, in der Gegend von Ban Nam Khem. Einige Leute haben sich bereits in Sicherheit gebracht, andere hingegen sagen, sie hätten einmal überlebt und würden das wohl auch ein zweites Mal schaffen. Gerade jetzt, zum dritten Jahrestag, werden sicher viele, die Angehörige verloren haben, erneut traumatisiert werden. Aber dann werden sie wieder in den Alltag zurückkehren. Es ist unsere Natur, zu erkennen, dass alles kommt, eine Weile bleibt und dann wieder verschwindet."

    Zurück im Fischerdorf Ban Nam Khem: Längst haben sich die Gerüchte über eine mögliche neue Flutkatastrophe, die auf Prophezeiungen eines brasilianischen Wahrsagers beruhen, herumgesprochen. Ein Teil der Bewohner hat das Dorf deswegen vorübergehend verlassen. Die Ladenbesitzerin Pathum Saithong aber bleibt - trotz allem:

    "Wenn man Arbeit hat, macht man sich nicht so viele Gedanken über anderes. Doch jetzt, wo diese Nachrichten über einen neuen möglichen Tsunami die Runde machen, ist die Angst da. und ich mache mir Sorgen. Aber das ist mein Haus. und ich muss hier bleiben, um zu arbeiten."

    Auch wenn die äußeren Spuren der Katastrophe nach drei Jahren nahezu getilgt sind: Vergessen ist sie nicht.