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Kein Wasser für Lima

Klimaforschung. Das Verschwinden der Gletscher wird nach Berechnungen Schweizer Wissenschaftler schwerwiegende Folgen für die Trinkwasserversorgung der Menschen haben. Vor allem für die Anden ist zu befürchten, dass schon in etwa zehn Jahren das Wasser knapp wird.

Von Monika Seynsche | 21.11.2006
    "Man geht auf den Gletscher, normalerweise eine Gruppe von Leuten, mindestens drei, weil man auch am Seil gehen muss, der Gletscher hat Spalten, ist also Bergsteigen mit anderen Worten."

    Was Wilfried Haeberli von der Universität Zürich beschreibt, ist Grundlagenforschung. Er und seine Kollegen klettern regelmäßig ins Eis der Alpen, um den Gesundheitszustand der Gletscher zu überprüfen.

    "Sehr viel Schnee schaufeln, denn im so genannten Akkumulationsgebiet, also dort wo der Schnee liegen bleibt, dort muss man Schneeschächte graben und man misst dann im Schnee, man geht, gräbt hinunter bis auf die letzte Jahresoberfläche und misst dann die Dichte des Schnees und rechnet dann auf, wie viel an Wasser hinzugekommen ist, also Schnee umgerechnet in Wasser."

    In ihren hochgelegenen Bereichen wachsen die meisten Gletscher durch den winterlichen Schneefall. Gleichzeitig verlieren sie jeden Sommer Masse in den tiefergelegenen Regionen, dort wo die Gletscherzungen schmelzen. Gewinne und Verluste zusammen ergeben die so genannte Netto-Massenbilanz eines Gletschers.

    Wilfried Haeberli hat nun zusammen mit seinen Kollegen zum ersten Mal ausgerechnet wie sich das Gletschervolumen nicht nur eines Gletschers, sondern einer gesamten Gebirgsregion ändert - mit Hilfe von Massenbilanzmessungen, Satellitendaten, alten Karten und numerischen Modellen.

    "Also, man kann zum Beispiel sagen, dass die Alpengletscher seit 1850 bis etwa in die 1970er Jahre rund ein halbes Prozent pro Jahr verloren haben, also insgesamt ungefähr die Hälfte ihres Volumens, seit 1970 bis 2000 ungefähr noch einmal 25 Prozent in 25 Jahren, also ungefähr ein Prozent pro Jahr und seit dem Jahr 2000 sind es, das sind jetzt nur fünf Jahre die gemessen waren, 15 Prozent. Also wir sind ungefähr bei 3 Prozent pro Jahr angelangt. Das heißt mit anderen Worten, es geht sehr, sehr schnell und der Sommer von 2003 allein hat nach den besten Schätzungen etwa 8 Prozent des Volumens der Gletscher eliminiert, mit anderen Worten: Ein paar solche Sommer, und von den Gletschern in den Alpen ist tatsächlich nicht mehr viel da."

    Verantwortlich für das Abschmelzen ist neben den Sommertemperaturen und den winterlichen Schneemengen vor allem die Art des Niederschlags im Sommer. Ist es so kalt, dass er als Schnee fällt, schützt die weiße reflektierende Schicht den Gletscher vor dem Schmelzen. Bleibt der Niederschlag aber aus oder fällt als Regen, wird das dunkle Eis freigelegt und schmilzt umso schneller. Und das Verschwinden der Gletscher wird auch noch weit von den Alpen entfernt zu spüren sein.

    "Man muss sich das Szenario, sagen wir, in 50 Jahren vorstellen, wenn generell die Temperatur höher ist, wenn die Schneeschmelze vorverlagert ist, also nicht mehr im Mai und Juni sondern im März/April erfolgt, wenn wieder der Niederschlag ab dem Mai ausbleibt und kein Gletscherwasser mehr kommt, dann könnte es durchaus sein, dass selbst die großen Ströme Rhein und Rhone im Juli/August praktisch kein Wasser mehr haben. Ganz, ganz wenig oder sogar trocken fallen könnten."

    Noch bilden die Gletscher riesige Wasserspeicher, die die beiden großen Ströme und Tausende von kleinen Flüssen den ganzen Sommer über mit Schmelzwasser speisen. Noch gravierender könnten die Probleme in den Anden werden, sagt Georg Kaser, der an der Universität Innsbruck die Arbeitsgruppe Tropische Glaziologie leitet. Denn in der Umgebung der Andengletscher fällt sechs Monate im Jahr so gut wie kein Regen.

    "Während dieser Trockenzeiten ist das Schmelzwasser dieser Gletscher für Städte wie Lima die einzige Wasserversorgung, fast die einzige Wasserversorgung. Und wenn jetzt diese Gletscher nicht mehr so viel Wasser abgeben wie bisher, weil sie eben so stark zurückgegangen sind oder weil sie verschwinden oder kleiner werden, dann werden sehr viele südamerikanische Städte also zwischen Ecuador und Bolivien werden ganz, ganz große Probleme bekommen mit der Wasserversorgung, das ist also ein immanentes Problem, das direkt vor der Haustür entsteht."

    Und zwar nicht erst in der fernen Zukunft. Georg Kaser schätzt dass es in den nächsten zehn Jahren schon zu massivem Wassermangel in den Anden kommen wird.