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Kein Wort Deutsch

Eine Sprache erlernen ist nicht leicht. Migrantenkinder haben es da oft doppelt schwer, denn sie müssen nicht nur die eigene, sondern auch die deutsche Sprache möglichst gut und schnell können. Frühkindliche Förderung im Kindergarten und zu Hause kann hier helfen.

Von Jens Rosbach | 11.09.2010
    "Habt ihr schon mal Memory gespielt?" - " Jaaaaa!"

    Berlin-Kreuzberg, in der kommunalen Kita "Baerwaldstrasse 18". Auf dem Fußboden: acht Knirpse im Kreis. Die Drei- bis Fünfjährigen sind großteils türkischer Abstammung und lernen Deutsch – spielerisch, mithilfe kleiner Karten.

    "Und - du hast was? - "Zwei Kämme." - "Ja, das ist eine Bürste. Ein Kamm sieht ein bisschen anders aus. Eine Bürste – und?" - "Noch eine Bürste!" - "Sind zwei?" - "Bürsten!" - "Zwei Bürsten! Richtig, Dilan!"

    Erzieherin Anke Buuk-Escher hat alle Hände voll zu tun: Denn bei vielen Migranten-Kindern muss sie bei null anfangen.

    "Das ist im großen Teil so, dass die Kinder, wenn sie zu uns kommen – gerade wenn sie sehr jung sind – dass sie erstmal ihre Muttersprache, also Erstsprache, sprechen. Meist eben Türkisch-Arabisch. Und dass sie die deutsche Sprache erst hier lernen. Und die Eltern haben auch den ganz klaren Bildungsauftrag an uns, dass wir den Kindern die deutsche Sprache beibringen. Dass wir ihnen das vermitteln."

    Die Pädagogen geben ihr Bestes. Sie beobachten, dass die Zuwanderer-Kinder relativ schnell Deutsch lernen - aber nur, wenn sie bereits in ihrer Erstsprache fit sind. Dann sei eine Zweitsprache meistens kein Problem, erklären die Betreuer. Kita-Chefin Manuela Zille beklagt allerdings, dass viele Migrantenkinder nicht einmal richtig Türkisch oder Arabisch sprechen.

    "Für mich ist immer wichtig, dass ich den Eltern sage, auch wenn sie auf der Strasse lang gehen, die Kinder abholen, dass man unterwegs vielleicht schon den Sprachschatz anregt, indem man sagt, zum Beispiel: Guck mal, kannst Du diesen Buchstaben erkennen? Oder welche Zahl ist das? Oder welche Farbe hat das Auto? Zu Hause natürlich haben wir auch oft den Fernseher an, ist natürlich auch ein Problem für uns. Aber wir sind daher mit den Eltern im Gespräch auch auf Elternabenden, die Eltern zu motivieren, mit ihren Kindern mehr zu sprechen."

    "Und – du hast was?" - "Eine Torte." - "Und?" - "Noch eine Torte!" - "Sind zwei?" - "Torten!" - "Sind zwei Torten, richtig."

    Die Kreuzberger Kita hat ein Integrationspaket zusammengestellt: mit Sprach-Spielen, Sprachtests und Sprachlern-Tagebüchern. Gearbeitet wird grundsätzlich in gemischten Gruppen aus deutsch- und fremdsprachigen Kindern. Anke Buuk-Escher hat sich sogar extra weitergebildet.

    "Ich habe selber mal so einen Kurs gemacht für Türkisch, so einen Kurs eben für Erzieher. Erstmal, dass die Kinder ein Gefühl haben: Meine Sprache ist hier willkommen. Und auch um so alltägliche Dinge zu erleichtern."

    Ganz zentral für den pädagogischen Erfolg: das Verhältnis zu den Migranteneltern. So feiert die Berliner Kindertagesstätte jedes Jahr das türkische Zuckerfest und lädt die Väter und Mütter ein, Märchen in ihrer Sprache vorzulesen. Doch ein Teil der Zuwanderer lässt sich davon nicht beeindrucken – und schickt seinen Nachwuchs erst mit ein- oder zweijähriger Verspätung in die Kita.
    "Ich denke vielleicht, dass oft die Väter das gar nicht möchten. Sie sagen: Die Frau ist zu Hause, die Frau hat sich um den Haushalt zu kümmern, die Frau hat sich auch um die Kinder zu kümmern. Und dass das Bewusstsein noch nicht so geweckt wurde, dass die Kinder eben frühzeitig in die Kita kommen."

    "Super! Wisst ihr, was es bei mir immer gibt, wenn ihr so toll bei den Sprachspielen mitmacht? Dann gibt es immer einen Stempel." - "Jaaaaa!"

    Trotz aller Probleme sprechen die Kreuzberger Erzieher von einem positiven Trend: Denn immer mehr Migrantenkinder sprechen bereits Deutsch, wenn sie in die Kita aufgenommen werden. Schließlich handelt es sich inzwischen um die dritte und vierte Zuwanderergeneration. Viele engagierte Mütter, wie die Türkin Hatice Söylemez, legen zudem Wert auf die Integration ihrer Kinder. Die 41-Jährige geht zu jedem Kita-Elternabend und spricht mit ihren beiden Kleinen nur Deutsch.

    "Wir leben in Deutschland und deshalb müssen sie erstmal richtig die deutsche Sprache beherrschen. Die türkische Sprache können sie immer noch lernen."

    Migranten-Kinder, die früh in eine Kita geschickt werden. Und Migranten-Kinder, die spät geschickt werden. Engagierte und nicht engagierte Eltern. Viele Kindertagesstätten bilanzieren: Die Sprachkompetenz der Kleinen sei so weit gefächert, dass nicht alle Defizite bis zur Einschulung ausgeglichen werden könnten. Grundschul-Lehrer bestätigen dies. So bemerkt die Berliner Pädagogin Barbara Albitz immer wieder Vokabelschwächen bei den Zuwanderkindern.

    "Sie können sich normal unterhalten, sodass in einem normalen Gespräch eigentlich keine Defizite so richtig auftauchen. Beim Bilder-Benennen taucht es auf, dass sie Bilder nicht erkennen. Da merkt man die ersten Defizite. Ich merke auch, dass viele Kinder sich nicht mit Büchern auskennen. Die wissen auch nicht, was Weiterblättern ist, was Zurückblättern ist."

    Albitz beobachtet – genauso wie die Kita-Erzieher-, dass mit jeder Migranten-Generation die Deutsch-Probleme abnehmen. Die Lehrerin weist aber daraufhin, dass gleichzeitig der Anteil der Zuwanderer-Schüler überall zunimmt – aufgrund der demografischen Entwicklung. Viele Lehrer glauben deshalb, dass eine individuelle Sprachförderung in Zukunft schwieriger wird.

    "Man muss für diese Art von Arbeit und diese Kleinschrittigkeit mehr Geduld haben."