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Keine Angst vor dem Killer

Biologie. - Mit schöner Regelmäßigkeit titeln Boulevardblätter in der Ferienzeit in drastischen Schlagzeilen über aktuelle Hai-Attacken. Zwar sind derartige Zwischenfälle sicherlich dramatisch, indes für einen Schwimmer, Taucher oder Surfer statistisch gesehen nicht besonders wahrscheinlich. Doch das schlechte Image vom Killer ohne Grips droht den Haien selbst den Garaus zu bereiten. Forscher des "Sharkproject" wollen das mit mehr Aufklärung ändern.

    Für Steven Sielberg ein Bahn brechender Erfolg, für den Hauptdarsteller jedoch ein unauslöschliches Image mit fatalen Folgen: "Der weiße Hai" prägte wie kein zweiter Film das Bild über die uralten Räuber der Hochsee - nämlich das eines blutdürstigen Monstrums. Die Realität sehe allerdings ganz anders aus, unterstreicht Gerhard Wegner, Präsident des Vereins "Sharkproject": "Tatsächlich haben wir pro Jahr 60 nachgewiesene Haiunfälle. Im englischen heißt dass allerdings Attacke und darunter fallen auch etwa reine Berührungen oder das bloße Rammen. Bisse dagegen sind relativ selten und es sind meist Testbisse." Von diesen 60 Fällen endeten lediglich fünf tödlich. Eine verschwindend geringe Zahl angesichts von zahllosen Schwimm-, Tauch-, Surfvorgängen an den Küsten rund um den Globus, meint der Experte. Mit Aufklärungsarbeit wollen die ehrenamtlichen Forscher von Sharkproject das schlechte Bild der Haie ins rechte Licht rücken. Dazu gehört auch, mit der Idee von der hirnlosen Killer-Maschine Schluss zu machen. Auch die Knorpelfische, so das Credo, seien intelligent und sensibel und vor allem wert, vor dem Aussterben geschützt zu werden.

    Um selbst mehr über das Verhalten der beeindruckenden Tiere zu erfahren, analysiert der Zoologe Erich Ritter, wissenschaftlicher Leiter des Projekts, Meldungen von Haiunfällen und versucht, die Ereignisse möglichst exakt zu rekonstruieren. Ritter hält es für einen Irrglauben, dass die Meeresräuber Surfer deshalb angreifen, weil sie sie für Robben halten: "Haie können Seehunde nicht verwechseln, schließlich leben die Tiere seit zehn Millionen Jahren miteinander. Haie kennen jede Form, Größe und die Geräusche ihrer Beutetiere. Allerdings gibt es Punkte, bei denen wir mit den Seehunden überlagernd sind. Wir können etwa Geräusche produzieren, die ähnlich sein können wie die von Seehunden." Und wenn kein direkter visueller Kontakt besteht, dann muss der Räuber erst einmal herauskriegen, mit wem er es da zu tun hat. Gerade bei schlechter Sicht im Meer sind die Jäger auf andere Sinne als ihre Augen angewiesen. Besonders sensibel reagieren sie auf tiefe Frequenzen zwischen 100 und 800 Hertz. Darunter fällt allerdings die Lieblingsspeise der weißen Riesen - Seehunde und Robben - ebenso wie andere Fische und eben auch im Wasser planschende Menschen.

    Das untermauern Experimente, bei denen die Attrappe eines Surfers ins Meer gesetzt wurde. Dicht daneben platzierten die Forscher einen Plastikkoffer, in dem ein Kassettenrekorder verschiedene Geräusche abspielt. Tatsächlich ließen sich so Haie anlocken. Im Zweifelsfall, ob das eigenartige Objekt möglicherweise munden könnte, bissen die Tiere dabei mitunter auch probehalber zu. Allerdings verwenden Haie dabei den so genannten Gaumenbiss, der zum Test dient, ob etwas überhaupt genießbar ist oder nicht. Verblüffend an diesem Experiment war allerdings, dass die Raubtiere immer wieder den Koffer angriffen. Die Attrappe des Wellenreiters indes ließen sie quasi links liegen. Vor allem die Kombination verschiedener Reize schaffe oft erst die Basis für ein aggressives Verhalten der Tiere, so Ritter. Gibt man etwa Fischreste ins Meer und spielt dazu Geräusche von Surfern ab, dann zeigen sich schnell die ersten Hai-Finnen. "Die häufigsten Ursachen für Haiunfälle sehe ich klar in den Geräuschen und Geschmacksstoffen, die im Wasser sind und in die wir uns bewusst oder unbewusst begeben", sagt Erich Ritter. Untersuchungen zeigten, dass der Mensch definitiv nicht in das Beuteraster der Haie passe. Um verhängnisvollen Missverständnissen vorzubeugen, rät der Hai-Kenner, Situationen wie trübes Wasser, Nähe zu Robben und Seelöwen und auch zu Anglern zu meiden.

    [Quelle: Wolfram Koch]