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Keine Chance für "Lissabon"

Wenn die Iren am Freitag wie erwartet für Lissabon stimmen, hängt die Zukunft Europas an Tschechien. Präsident Vaclav Klaus weiß das - und spielt auf Zeit.

Von Christina Janssen |
    Nur wenige Tage vor dem irischen Referendum über den Lissabonvertrag hat gestern Nachmittag eine Gruppe europaskeptischer tschechischer Senatoren erneut eine Verfassungsklage gegen den EU-Vertrag eingereicht. Die Senatoren der konservativen Demokratischen Bürgerpartei hatten schon mal im November des letzten Jahres das tschechische Verfassungsgericht angerufen und waren gescheitert. Und unabhängig davon, wie das Verfahren diesmal ausgeht, eines scheint sicher: Ein schneller Ratifizierungsprozess des Lissabonvertrages ist durch die erneute Klage der Senatoren unwahrscheinlich, denn das Gericht hatte in der Vergangenheit immer mehre Monate benötigt, um die Verfassungsklagen zu prüfen.

    Öffentliche Marathonlesungen aus dem Lissabonvertrag im Europawahlkampf. Das war wenigstens noch originell.

    Der jahrelange Streit um die Europapolitik in Tschechien treibt immer wieder solche Blüten. Und er hat dazu geführt, dass den Tschechen der Begriff "lissabonska smlouva" inzwischen etwa so glatt über die Lippen geht wie "pivo prosim" - "Bitte ein Bier". Zwar hält sich die Begeisterung für den Reformvertrag in Grenzen – wie in den übrigen EU-Ländern auch. Doch die meisten Tschechen fühlen sich als Europäer und sind gerne Teil der EU. Ihnen stößt es sauer auf, dass eine kleine Gruppe radikaler Kritiker ihr Land ins Abseits manövriert.

    "Ich bin absolut für den Lissabonvertrag, denn Tschechien ist ein Teil Europas. Ich bin sehr enttäuscht, vor allem von Präsident Vaclav Klaus."

    "Ich bin für die EU-Reform. Was unsere Politiker da machen, gefällt mir überhaupt nicht. Mir kommt es so vor, als wollten sie die EU zerstören. Und Präsident Klaus will offenbar die Muskeln spielen lassen."

    Die Lissabongegner sind in Tschechien eine schrumpfende Minderheit. Doch kurz vor dem irischen Referendum fahren sie noch einmal alle Geschütze auf. 17 konservative Senatoren haben beim Verfassungsgericht Klage gegen die EU-Reform eingereicht.

    "Der Lissabonvertrag ist schlecht für uns", so Wortführer Jiri Oberfalzer, "ich möchte nicht, dass er jemals in Kraft tritt. Er soll letztlich nur die Vormachtstellung der 15 alten EU-Staaten sichern – insbesondere der großen Länder wie Großbritannien, Deutschland oder Frankreich."

    Dass die Lissabongegner mit ihrer Klage Erfolg haben werden, glaubt kaum jemand. Denn die Verfassungsrichter in Brünn haben über die EU-Reform im Grunde schon entschieden: Im vergangenen November haben sie die kritischen Passagen des Vertrags für unbedenklich erklärt. Nun aber, argumentieren die Senatoren sophistisch, gehe es um den Lissabonvertrag insgesamt. Und um sicherzugehen, lassen sie auch das tschechische Begleitgesetz zur EU-Reform von den Verfassungsrichtern prüfen. Damit haben sie eines schon jetzt gewonnen: Zeit. Mit einer Entscheidung ist möglicherweise erst Ende des Jahres zu rechnen.

    "Falls das Referendum am Freitag in Irland positiv ausgeht, wird das keinen Einfluss auf den Fortgang der Dinge bei uns haben. Ich erwarte, dass sich das Verfassungsgericht innerhalb von zwei bis drei Monaten zu unserer Klage äußert. Wir werden also zwischen November und Januar ein Ergebnis bekommen. Und danach muss der Präsident entscheiden."

    Die EU-Reform liegt in Tschechien also wieder auf Eis. Und Präsident Vaclav Klaus, ein erklärter Gegner des Lissabonvertrages, kann sich entspannt zurücklehnen. Seine Gefolgsleute im tschechischen Senat halten ihm mit ihrer Klagewelle den Rücken frei. Ob er überhaupt vorhat, den Lissabonvertrag je zu unterzeichnen, darüber schießen die Spekulationen ins Kraut. Jüngst war bekannt geworden, dass der Chef der britischen Konservativen, David Cameron, Klaus in einem Brief um Unterstützung gebeten hat. Der tschechische Präsident hat das auch bestätigt:

    "Diesen Brief habe ich in der Tat bekommen. Im Prinzip geht es um Folgendes: Der Vorsitzende der britischen Konservativen verspricht, dass er sofort ein Referendum über den Lissabonvertrag auf den Weg bringen will, wenn er die Wahlen im Frühjahr gewinnt. Es käme den britischen Tories also gelegen, wenn der Lissabonvertrag hier in Tschechien bis dahin noch nicht ratifiziert wäre. Ich werte diesen Brief als Beweis, dass die britischen Konservativen es tatsächlich ernst meinen."

    Klaus und Cameron gemeinsam gegen Lissabon? - Aus Brüsseler Sicht ist das ein Horrorszenario. - Der Publizist Bohumil Dolezal war Anfang der 90er-Jahre ein enger Berater von Vaclav Klaus. Er vermutet, der Präsident werde früher oder später einlenken.

    "Was den Brief von Cameron anbelangt: Man kann zwar nicht ausschließen, dass Klaus die Unterschrift so lange hinauszögert, ich halte das aber für unwahrscheinlich. Dazu müsste er einem enormen Druck standhalten. Dazu gehört Mut. Und das traue ich Klaus nicht zu."

    Eines ist trotzdem sicher: Wenn die Iren am Freitag wie erwartet für Lissabon stimmen, hängt die Zukunft Europas an Tschechien. Präsident Vaclav Klaus dürfte das gut gefallen. Zumindest eine Weile lang.