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"Keine drohende Zahlungsunfähigkeit"

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat vor einer weiteren Diskussion über Hilfsmaßnahmen der EU für Griechenland gewarnt. Es gebe keine drohende Zahlungsunfähigkeit des Landes. Ministerpräsident Giorgos Papandreou habe ihr mehrfach versichert, dass sein Land keine finanziellen Forderungen an die Europäische Union stelle.

Angela Merkel im Gespräch mit Stephan Detjen | 21.03.2010
    Stephan Detjen: Frau Bundeskanzlerin, das Bild der Koalition war in den letzten Wochen geprägt durch Streit, durch persönliche Angriffe und durch innenpolitische Polemik des Bundesaußenministers. Sie müssen sich doch eigentlich zurückgesehnt haben nach dem harmonischen Miteinander in der Großen Koalition mit Frank Walter Steinmeier an Ihrer Seite.

    Angela Merkel: Ich sehe das naturgegeben sehr anders. Wenn ich an die letzte Woche an die Haushaltsberatungen erinnere, das war im Vergleich zu dem Beginn der Großen Koalition drei Monate früher. Das heißt, wir haben hier sichergestellt, dass Investitionen schneller stattfinden können und dass die Haushaltslage vollkommen klar ist.

    Wir haben wichtige Gesetze verabschiedet, wir haben die Kurzarbeit verlängert, wir haben die Darlehn für die Bundesagentur für Arbeit und den Gesundheitsfonds in Zuschüsse umgewandelt.

    Also, ich bin alles in allem sehr zufrieden mit der Arbeit der christlich-liberalen Koalition und erinnere daran, dass die Große Koalition natürlich, als sie regiert hat, auch viel, viel Kritik erfahren hat. Es gehört vielleicht dazu, dass in so schwierigen Zeiten wie diesen Krisenzeiten auch die Debatten intensiver stattfinden. Und wir haben uns auch einige Reformen vorgenommen, wie zum Beispiel die Weiterentwicklung des Gesundheitssystems. Da wird es auch weiter Diskussionen geben, weil darum auch gerungen werden muss um den besten Weg. Und deshalb sage ich: Zählen tut zum Schluss das Ergebnis unserer Arbeit, und das kann sich sehen lassen.

    Detjen: Das ist richtig, aber es ging ja bei den Diskussionen, die wir erlebt haben, nicht nur um rein sachliche Debatten, sondern um persönliche Angriffe zwischen den Koalitionspartnern innerhalb der Koalitionsparteien. Das ist ungewöhnlich, gerade wenn man überlegt, dass es in der Geschichte der Bundesrepublik keine Koalition gegeben hat, die sich so lange, wie diese schwarz-gelbe Regierung auf das gemeinsame Regieren vorbereitet hat.

    Merkel: Also, ich sage noch einmal: Es hat auch keine Koalition gegeben, die in einer so schwierigen Zeit - die schwierigste Wirtschaftskrise, die wir jemals in der Geschichte der Bundesrepublik hatten, das Regieren beginnen musste.

    Und deshalb sage ich auch: Ich glaube, wir sind - bei allem, was man kritisieren kann - auf einem guten Weg. Ich gehöre zu denen, die sagen, wir haben einen Auftrag, und das sehen nicht nur der Vizekanzler so, sondern alle Kabinettsmitglieder so, das sehen die Koalitionsfraktionen so. Und den müssen wir erfüllen in einer schwierigen Zeit. Jede öffentliche Debatte kann ich auch für die Zukunft nicht ausschließen, aber ich darf Ihnen sagen, dass es ein großes Vertrauen innerhalb der Koalition gibt. Und das wird uns auch leiten bei dem, was jetzt zu tun ist.

    Detjen: Sie treffen sich an diesem Sonntag mit den Parteivorsitzenden der Koalitionsparteien. Jürgen Rüttgers hat von Ihnen verlangt, dass Sie - anders als Sie es angekündigt haben - doch schon vor dem Wahltermin in Nordrhein-Westfalen konkretisieren sollten, wie Sie Ihre großen Vorhaben, insbesondere die Steuerreform mit einer Entlastung für die Einkommensteuerzahler konkretisieren werden.

    Merkel: Also, wir können das konkretisieren und werden das auch tun, was machbar ist. Andere Dinge können wir nicht leisten. Und ich verstehe den Wunsch, Klarheit zu haben. Aber …

    Detjen: Heißt das, Sie werden das vor dem Wahltermin konkretisieren?

    Merkel: … aber natürlich ist die Frage der Steuerschätzung ein wichtiges Datum. Ich kann für den Haushalt 2011 keine abschließenden Aussagen machen, bevor nicht die Steuerschätzung auf dem Markt ist. Das liegt in der Natur der Sache. Das heißt also: Alle Antworten werden wir vor dem 9. Mai und der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen nicht geben können.

    Was ich zusagen kann, ist das, was wir absehen können, was wir selber auch in der Hand haben, das werden wir - unabhängig von dem Wahltermin in Nordrhein-Westfalen - machen. Wir machen Politik für die Menschen im Land, wir machen sie so schnell wie möglich, wo Entscheidungen notwendig sind. Aber wir müssen es auch so gründlich wie möglich machen, damit wir auch wirklich dann sicherstellen, dass wir uns hinterher nicht korrigieren müssen.

    Detjen: Es geht ja im Großen darum, zu erklären, wie Sie das Kunststück vollbringen wollen, gleichzeitig durch eine Steuerreform Einkommensteuerzahler zu entlasten und das dramatische Haushaltsdefizit durch Sparmaßnahmen abzubauen.

    Merkel: Richtig. Ich habe in der Haushaltsdebatte der letzten Woche gesagt, dass wir eine Herkulesaufgabe deshalb haben, weil wir gleichzeitig die Haushaltskonsolidierung in den Blick nehmen müssen - die Menschen machen sich zu recht Sorgen, dass wir den Haushalt mit der größten Nettoneuverschuldung in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland jetzt beschlossen haben, und auf der anderen Seite auf Wachstum setzen müssen.

    Denn wenn wir nicht Mehreinnahmen haben und nicht schnell wieder aus diesem Minus-Fünf-Prozent-Einbruch-Loch in der Wirtschaftsentwicklung herauskommen, dann müssen wir an Stellen sparen, die uns allen nicht helfen - zum Beispiel bei den Investitionen. Und das werden wir nicht tun und das wollen wir nicht tun.

    Und deshalb ist es so wichtig, dass wir alle Kraft darauf legen, vor allen Dingen Arbeit für möglichst viele Menschen sicherzustellen, das ist die Kurzarbeit. Wir werden über die Hinzuverdienstmöglichkeiten im Bereich von Hartz IV noch einmal nachdenken müssen, weil: Die Ausgaben für das Arbeitslosengeld II sind ein großer Block im Haushalt. Jeder, der in Arbeit kommt, entlastet uns und gibt uns Spielräume entweder für das Sparen oder aber für zusätzliche Entlastungen.

    Und was wir wollen, und das ist das Motto: Wir wollen gerechte Entlastungen schaffen, damit Leistung im Land sich lohnt. Und ich glaube, das ist auch etwas, was die Bürgerinnen und Bürger wollen. Und das gilt sowohl im Bereich "wie kann ich etwas tun, um aus Hartz IV herauszukommen?" genauso wie in dem Bereich des sogenannten Mittelstandsbauchs, also der kleinen und mittleren Einkommen, die Steuern zahlen und bei denen sich Leistung zum Teil wirklich nicht so lohnt, wie ich mir das vorstelle.

    Detjen: Dennoch - der Druck kommt auch von der EU-Kommission. Währungskommissar Olli Rehn hat Ihre Haushaltsstrategie kritisiert und gesagt, sie zeigt noch nicht, wie die Schuldenquote in Deutschland wirklich gesenkt werden soll. Wann geben Sie Olli Rehn die Erklärungen, die er braucht?

    Merkel: Ja, wir geben dem Kommissar die Erklärung, wenn wir uns mit dem Haushalt 2011 beschäftigen, das heißt, Mitte des Jahres 2010. Und der Kommissar versteht sicherlich auch, dass es schwierig ist, am Anfang eines Jahres, dessen Wirtschaftsentwicklung wir noch gar nicht richtig voraussehen können, jetzt schon zu sagen, wo wir dann Ende des Jahres 2010 stehen.

    Ich unterstütze die Bemühungen der Kommission. Deutschland war der Treiber zu sagen, wir müssen 2013 wieder den Stabilitäts- und Wachstumspakt alle einhalten. Deutschland hat, verglichen mit vielen anderen europäischen Ländern, eine sehr moderate Nettoneuverschuldung, obwohl sie selbst in der Geschichte der Bundesrepublik schon die höchste ist. Und die Kommission hatte uns ja auch aufgefordert, Stimuluspakete, also Konjunkturpakete, aufzulegen. Jetzt kommt die Zeit, wo man daraus wieder aussteigen muss.

    Und ich sag es noch mal: Sparen können wir dort, wo wir es schaffen, den Arbeitsmarkt so zu entwickeln, dass die Zuschüsse in den Arbeitsmarkt geringer werden können. Schauen Sie, wir haben in diesem Jahr eine Sozialausgabenquote im Haushalt von 54 Prozent. Das heißt, mehr als jeder zweite Euro geht in soziale Ausgaben. Und das ist deshalb so, weil auf der einen Seite ein Riesenbeitrag für die Zahlung für das Arbeitslosengeld II zu leisten ist, und zum Zweiten ist es so, weil wir 13 Milliarden Euro Zuschuss an die Bundesagentur für Arbeit geben, damit die Beiträge nicht steigen müssen.

    Wenn sich die Arbeitsmarktsituation günstiger entwickelt, als wir das vielleicht prognostiziert haben, dann haben immer 100.000 weniger Arbeitslose schon eine Auswirkung auf den Haushalt von plus oder minus zwei Milliarden. Das heißt, ich werde Mitte des Jahres und Ende des Jahres noch viel klarer absehen können: Wie können wir sparen und wo können wir sparen. Mein ganzes Bestreben geht dahin, dass wir möglichst viele Menschen in Arbeit bringen oder halten, damit dann die Sparmöglichkeiten auch eingehalten werden.

    Detjen: Bei diesem Ziel sind Sie ja, gerade wenn man nach Europa schaut, mit ganz unterschiedlichen Forderungen und Ratschlägen konfrontiert. Die EU-Kommission warnt vor zu vielen steuerlichen Entlastungen, gleichzeitig fordert die französische Finanzministerin Lagarde die Bundesrepublik auf, die Binnenkonjunktur anzukurbeln und kritisiert Deutschland als Exportweltmeister.

    Merkel: Ja, wir haben ja die Binnenkonjunktur angekurbelt. Wenn Sie daran denken, dass wir vor drei Monaten, also zum 1. Januar 2010, Steuerentlastungen von über 20 Milliarden Euro in Deutschland haben wirken lassen, dann ist das ein Stimulus für die Konjunktur. Und wir sind ja sehr froh, dass 2009 der Binnenkonsum praktisch knapp noch gestiegen ist - um wenige zehntel Prozent, dass er auch in unseren Prognosen für 2010 nur ganz wenig fallen wird.

    Das heißt, Deutschland hat es geschafft, seinen Binnenkonsum in der Krise bei fünf Prozent Wirtschaftseinbruch konstant zu halten. Das muss uns erst jemand nachmachen. Die Kritik entzündet sich daran, dass Deutschland einen Exportüberschuss hat, das heißt, dass wir mehr exportieren als wir importieren. Und da ist einfach der Punkt, dass unsere Exportwirtschaft sehr leistungsfähig ist, dass die Arbeitnehmer und Unternehmer dort auch sehr viele Rationalisierungen und Effizienzverbesserungen vorgenommen haben, Arbeitszeitkonten und vieles andere.

    Und diesen Wettbewerbsvorteil, den werden wir natürlich nicht aufgeben, das wäre ja ganz falsch. Sondern im Gegenteil: Wir müssen in Europa im Rahmen der Wirtschaftsregierung, die wir ja als Staats- und Regierungschefs bilden wollen, im Rahmen dieser Wirtschaftsregierung die besten Beispiele austauschen und sagen: Wie können denn auch andere vielleicht an guten deutschen Beispielen etwas lernen und wie kann Deutschland natürlich auch etwas lernen, wenn andere vorne sind bei - zum Beispiel - modernen Infrastrukturinvestitionen wie Breitbandkabel und Ähnliches, wo wir nicht alleiniger Spitzenreiter sind.

    Detjen: Aber die Kritik, die aus Frankreich kommt, zielt ja darauf ab, dass das Modell "Wachstum durch Export" in erster Linie aus Deutschland auf Kosten anderer EU-Mitgliedsstaaten geht.

    Jetzt trifft sich die Spitze der Europäischen Union in der vor uns liegenden Woche zum Gipfeltreffen in Brüssel. Da geht es primär um die Rettung Griechenlands vor dem Staatsbankrott. Aber dahinter liegt ja auch die Frage: Kann Europa in so dramatischen Fragen gemeinsam handeln, wenn die beiden wichtigsten Motoren Europas - Deutschland und Frankreich - in zentralen Fragen so weit auseinanderliegen?

    Merkel: Also, erstens glaube ich, geht es wirklich nicht darum, wie derjenige, der effizient exportiert, seine Exporte einschränken kann, sondern es geht darum, wie Länder, die heute vielleicht im Export noch nicht so stark sind, stärker werden können. Das ist die Aufgabe, die ich sehe, und ich glaube, so rum wird dann ein Schuh draus.

    Und zweitens ist der Hauptpunkt des nächsten Rates in Brüssel nicht, wie wir mit Griechenland umgehen, sondern der Hauptpunkt ist, wie wir eine Wirtschaftsstrategie, genau bezogen auf die Stärken unseres Wirtschaftens in Europa, entwickeln bis zum Jahre 2020. EU 2020 heißt die Aufgabe, und wie können wir hier unsere wirtschaftlichen Anstrengungen im Bereich von Forschung und Entwicklung, von Bildung und von vielen anderen Dingen so koordinieren, dass wir von den Effekten, dass hier 27 Länder zusammen wirtschaften, auch wirklich etwas machen können, um Europa zu stärken.

    Und der dritte Punkt ist, dass natürlich im Raum steht die Frage: Wie geht es weiter mit Griechenland? Griechenland hat ein sehr hohes Defizit von knapp 13 Prozent in diesem Jahr. Und daran sieht man, dass auch Staaten in die Gefahr geraten können - wenn man es langläufig sagt - pleitezugehen. Und deshalb ist es wichtig und richtig gewesen, dass Griechenland ein Programm aufgelegt hat, ein Programm, das starke Reduktionen des Defizits beinhaltet. Und bei dieser politischen Umsetzung unterstützen wir Griechenland.

    Ich sehe im Augenblick nicht, und die griechische Regierung hat das gerade noch bestätigt, dass Griechenland Geld braucht. Und deshalb rate ich uns auch nicht, Unruhe auf den Märkten zu verursachen, indem wir falsche Erwartungen für den Rat am nächsten Donnerstag wecken. Ich glaube, wenn Griechenland keine Hilfe braucht, dann muss dieses Thema auch nicht im Vordergrund der Diskussionen stehen.

    Detjen: Aber der griechische Ministerpräsident Papandreou, Frau Bundeskanzlerin, hat doch gerade in der zurückliegenden Woche noch mal deutlich gemacht, dass Griechenland Hilfe erwartet, wenn nicht von der Europäischen Union, dann vom Internationalen Währungsfonds IWF.

    Merkel: Ich glaube, dass Griechenland akut - und das hat der griechische Ministerpräsident mir immer wieder gesagt - keine geldlichen Forderungen an die Europäische Gemeinschaft hat. Es gibt keine drohende Zahlungsunfähigkeit. Und insofern sage ich noch mal: Ich sehe die Erwartungen nicht so.

    Griechenland hätte gern für einen Fall, den es nicht völlig ausschließen kann, vielleicht eine bestimmte Klarheit. Aber ich sage noch mal: Die beste Lösung für den Euro ist, wenn Griechenland alleine seine Probleme löst, mit der politischen Unterstützung natürlich der europäischen Staats- und Regierungschefs.

    Detjen: Dennoch gehen die Vorbereitungen für Hilfsleistungen der Europäischen Union an Griechenland doch schon voran. Die Finanzminister der Eurozone haben in der zurückliegenden Woche - sie haben das so ausgedrückt - "technische Modalitäten" für Hilfsleistungen verabredet. Das hat niemand so ganz verstanden, was das sein soll. Hat Ihr Finanzminister, Herr Schäuble, Ihnen erklären können, was darunter zu verstehen ist?

    Merkel: Na ja, das Wichtige ist doch, dass das Signal auch ausgegangen ist. Und Wolfgang Schäuble hat das in den Haushaltsdebatten ja auch deutlich gemacht, dass keine Entscheidung über Hilfen gefallen ist. Ich sage noch mal, es gibt technische Fragen. Was würde man denn machen, wenn Griechenland zahlungsunfähig ist? Aber diese Frage stellt sich im Augenblick nicht.

    Griechenland ist nicht zahlungsunfähig und deshalb ist die Frage der Hilfen auch nicht die, die wir jetzt diskutieren müssen. Und wir reden ja immer von den sogenannten Märkten, die auf Signale horchen. Und ich finde wichtig, dass wir den Märkten keine Illusionen machen. Hilfe steht am Donnerstag nicht auf der Tagesordnung, wenn es den Rat gibt, denn Griechenland sagt selber, dass es im Augenblick keine Hilfe braucht.

    Und über die Frage, wie man in bestimmten Fällen der Zahlungsunfähigkeit vorgehen würde, über diese Frage müssen natürlich die Finanzminister einmal miteinander sprechen. Aber da sind keine politischen Entscheidungen gefallen. Ich sage das noch mal ganz deutlich. Weil da auch verschiedene Abwägungen zu treffen sind, machen das die Staaten bilateral oder aber wird man auch die Hilfe des IWF nehmen. Dazu gibt es keine Entscheidungen. Und deshalb halte ich mir das auch ganz explizit offen.

    Detjen: Das Interview der Woche im Deutschlandfunk mit der Bundeskanzlerin. Frau Dr. Merkel, Sie haben die Märkte angesprochen. Da geht es auch um Spekulanten und Hedgefonds, die ihr Geschäft damit machen, dass sie auf drohende Bankrotte von Staaten setzen und ihr Geschäft mit einer Schwächung des Euros machen wollen. Ist nach der Finanzkrise genug getan worden, um solche bösartigen Spekulationen zu verhindern?

    Merkel: Wir sind mitten in der Umsetzung der neuen Regelungen für die Finanzmärkte. Wir brauchen eine völlig neue Architektur der Finanzmärkte. Davon sind einige Säulen sozusagen aufgebaut und andere Säulen müssen noch errichtet werden.

    Wichtig ist, dass wir bereits neue Regelungen haben für die Ratingagenturen. Wir haben neue Regeln auch in parlamentarischen Beratungen jetzt in Deutschland für die Entlohnung und die Bonuszahlungen von Bankmanagern. Wir haben viel bessere Unterlegungen von Bankaktivitäten mit Eigenkapital bis dahin, dass besonders riskante Produkte dann auch von den Banken selbst gehalten werden müssen, zum Beispiel Verbriefungen. Wo wir noch nicht die Regelung haben, ist: Wie können wir sicherstellen, dass Banken uns in Zukunft nicht mehr erpressen können?

    Dazu wird der Bundesfinanzminister für Deutschland, im Übrigen mit Anwesenheit der französischen Finanzministerin, was auch die enge Zusammenarbeit zwischen unseren Ländern zeigt, noch vor Ostern Vorschläge vorlegen. Also, wie kann man verhindern, dass Banken insolvent gehen und damit Staaten und den Steuerzahler wieder zum Retten auffordern. Das heißt, wie kann man Vorsorge treffen, dass Banken so zusagen selber dann für ihre entstandenen Schäden eintreten beziehungsweise die Gläubiger.

    Und wo wir noch nicht so weit sind, wie wir uns das wünschen, das sind die sogenannten Credit Default Swaps, also diese Versicherungen. Und hier haben wir die Kommission gebeten. Und die Kommission hat gesagt, im Juni legen wir dafür für Europa Vorschläge vor, dass zum Beispiel solche nackten Kreditversicherungen, das heißt, wenn ich etwas versichere, was ich gar nicht besitze, nicht mehr möglich sind. Und das umfasst dann auch die Frage der Leerverkäufe.

    Das allerdings ist dann so, wenn wir das in Europa regeln, ist damit das Spekulieren noch nicht zu Ende, denn es muss parallel auch auf dem amerikanischen Markt geregelt werden. Hier haben wir G20-Beschlüsse. Aber wir sind immer darauf angewiesen, dass alle Akteure auf der Welt auch parallel die Dinge umsetzen.

    Und was besonders ärgerlich jetzt ist, ist, dass wir in der Europäischen Union eine Diskussion mit Großbritannien haben über die stärkere Regulierung von Hedgefonds. Hier setzt sich Deutschland für diese stärkere Regelung ein und ich hoffe, dass wir auch unsere britischen Kollegen davon überzeugen können, dass das notwendig ist.

    Detjen: Betroffen von solchen Spekulationen und von dramatischen, möglicherweise in Bankrottlagen führenden Haushaltsdefiziten ist ja nicht allein Griechenland. Auch andere Staaten sind hoch verschuldet. Portugal, Irland, Spanien müssen im Laufe des Jahres zusammen 152 Milliarden Euro zurückzahlen.

    Sie haben in der Haushaltsdebatte des Bundestages gefordert, als Ultima Ratio müsse die Europäische Union in der Lage sein, hartnäckige Defizitsünder auch aus der Eurozone auszuschließen. Die Stabilitätskriterien gelten ja für alle EU-Mitgliedstaaten und nur noch ganz wenige halten sie überhaupt ein. Da wäre man doch, wenn man das ernst nimmt, schnell bei einem winzigen Kern-Europa angelangt.

    Merkel: Nein, das Problem ist, dass wir jetzt erkennen, dass die Verträge zur Währungsunion nicht ausreichen, was das Instrumentarium der Sanktionen anbelangt. Man hat sich damals, als der Euro geschaffen wurde, nicht vorstellen können, dass es im Rahmen einer internationalen Wirtschaftskrise zu solchen dramatischen Einbrüchen und Verschuldungen kommt.

    Heute sehen wir, dass das möglich ist. Und deshalb ist es wichtig, dass wir sagen: Was lernen wir aus einer solchen Krise? Und es hat sich nicht bewährt, zu sagen, ein Land, das gegen den Stabilitätspakt verstößt, muss anschließend Strafzahlungen an die Europäische Union leisten, weil dieses Land ja gerade kein Geld hat.

    Also hat Wolfgang Schäuble - und darin unterstütze ich ihn - vorgeschlagen, dass wir neue Sanktionen uns überlegen. Das kann beginnen damit, dass bestimmte Fonds nicht an das Land ausgezahlt werden, also dass es bestimmte Mittel nicht bekommt. Das kann mit starken Auflagen verbunden sein. Deshalb hat Wolfgang Schäuble die Gründung eines europäischen Währungsfonds - das hilft nicht für Griechenland, das ist nur für die Zukunft - vorgeschlagen. Und dieser Währungsfonds könnte zum Beispiel auch dafür eintreten, eine Prozedur zu entwickeln, wie man einen Staat, der zahlungsunfähig ist, vernünftig behandelt, ohne dass die anderen Staaten gleich dafür eintreten müssen.

    Und als absolute Ultima Ratio, wenn sich ein Staat über viele, viele Jahre nicht an die Gebote des Stabilitäts- und Wachstumspakts hält, muss natürlich auch ein Ausscheiden aus der Währungsunion möglich sein, weil ansonsten wir ja davon abhängig sind, wenn einer nicht diesen Pakt einhält, dass alle anderen darunter leiden müssen. Und ich finde, diese Diskussion müssen wir führen als Erfahrungswert aus dem, was wir gerade erleben.

    Detjen: Frau Bundeskanzlerin, Sie haben im Oktober 2008, als die Finanzkrise, die Bankenkrise auf ihre ersten Höhepunkte zusteuerte, gemeinsam mit ihrem damaligen Finanzminister Peer Steinbrück gesagt, die Sparguthaben sind sicher. Können Sie heute in einer Situation einer drohenden Währungskrise mit der gleichen Gewissheit sagen, die Stabilität des Euro ist gewährleistet?

    Merkel: Wir werden alles tun, um die Stabilität des Euro zu gewährleisten. Und ich sehe auch keinen Anlass, jetzt in Panik zu verfallen, dass der Euro nicht sicher wäre. Wir haben uns ja politisch für die Stabilität des gesamten Währungsraumes des Euro ausgesprochen als Staats- und Regierungschefs.

    Aber das heißt im Umkehrschluss nicht, dass wir nicht darauf beharren, dass die Länder, die in Schwierigkeiten sind, ihre Probleme für sich alleine lösen. Das muss der erfolgversprechendste Punkt sein. Es geht jetzt manchmal darum, ist schnelle Hilfe nicht besser? Ich sage, diejenigen helfen dem Euro auf die lange Frist am meisten, die die Probleme an der Wurzel anpacken. Und an der Wurzel anpacken heißt, dass Griechenland selber wieder auf die Beine kommen muss und sein Defizit reduzieren muss. Und damit ist dem Euro als Stabilitätsanker am meisten gedient.

    Detjen: Frau Dr. Merkel, Sie reisen in einigen Tagen, noch vor Ostern, in die Türkei. Hilft Ihnen die jetzige krisenhafte Situation in der Europäische Union dabei, Ministerpräsident Erdogan davon zu überzeugen, dass diese EU im Augenblick nicht in der Lage ist, der Türkei eine Beitrittsperspektive anzubieten?

    Merkel: Das hat miteinander überhaupt nicht zu tun. Meine Meinung über die Frage, ob die Türkei eine Beitrittsperspektive haben soll, hängt nicht davon ab, dass Griechenland gerade ein hohes Defizit hat. Also, ich bin der Meinung, dass wir eher eine privilegierte Partnerschaft, also eine sehr enge Anbindung der Türkei an die Europäische Union anstreben sollten. Das war vor der Wirtschaftskrise so, das ist nach der Wirtschaftskrise so.

    Aber mein Besuch dient vor allen Dingen den wirklich guten Beziehungen zur Türkei, die wir wollen. Wir haben viele türkische Mitbürgerinnen und Mitbürger hier in Deutschland, wir wollen deren Integration, aber wir wollen auf der anderen Seite auch sehr, sehr intensive Wirtschafts- und Kulturbeziehungen zur Türkei. Istanbul ist wie Essen Kulturhauptstadt Europas und deshalb verbindet uns sehr viel. Und diese Verbindung soll im Vordergrund dieses Besuches stehen.

    Detjen: Hilft Ministerpräsident Erdogan bei dem, was Sie jetzt angesprochen haben, wenn er wie in den letzten Tagen wieder verstärkt nationalistische Töne anschlägt? Er hat damit gedroht, 100.000 Armenier aus der Türkei auszuweisen. Er hat unter anderem vor türkischstämmigen Politikern aus Deutschland dazu aufgerufen, sich bewusst nicht in die neuen nichttürkischen Gesellschaften zu integrieren, sondern als türkischstämmige Politiker in anderen Ländern türkische Interessen zu vertreten.

    Merkel: Ich glaube nicht, dass türkischstämmige Bürgerinnen und Bürger, die jetzt vielleicht in der dritten, vierten Generation in Deutschland leben, nicht auch deutsche Interessen vertreten können. Ich habe das immer wieder zu den jungen Türken mit Migrationshintergrund gesagt, ich bin Ihre Bundeskanzlerin, genau wie ich das für die deutschstämmigen Bürger im Lande bin.

    Das heißt, ich verstehe schon unter Integration, dass man seine Heimat nicht vergisst, aber dass man auf der anderen Seite auch in das Land hineinwächst, in dem man lebt. Und darüber spreche ich regelmäßig mit dem türkischen Ministerpräsidenten Tayyip Erdogan. Und das werden wir auch diesmal wieder tun. Und sicherlich ist das auch immer ein Ringen um den richtigen Weg. Aber ich sage denen, die hier lange bei uns leben, sie sind hier willkommen und sind natürlich auch Teil unseres Landes.

    Detjen: Frau Dr. Merkel, am Schluss ein Blick zurück. Vor 20 Jahren in diesen Tagen war nicht nur der Jahrestag der Wahl zur ersten demokratischen, freien Volkskammer in der DDR, sondern auch so etwas wie die Geburtsstunde der Politikerin Angela Merkel. Wir haben den Weg dorthin im Deutschlandfunk mit unserer Sendereihe Mauersplitter morgens um kurz nach halb acht begleitet. Welche Erinnerungen kamen dabei für Sie an diese Zeit vor 20 Jahren auf?

    Merkel: Also, ich habe mit großer Freude viele dieser Mauersplitter gehört und vieles hatte ich ja natürlich auch schon wieder vergessen oder es hat Aspekte beleuchtet, die ich selbst nicht erlebt habe. Es hat mich daran erinnert, dass es eine unglaublich aufgeladene emotionale, intensive Zeit war, die mein Leben dramatisch verändert hat, so wie das Leben vieler, vieler anderer.

    Es war eine wunderschöne Erfahrung in der deutschen Geschichte, dass man durch eine friedliche Revolution Dinge verändern kann und es gehört zu den glücklichen Abschnitten der deutschen Geschichte. Und mir kommen da schon manchmal fast die Tränen, wenn man an viele Dinge sich noch mal erinnert, wie sie waren. Und das war deshalb auch sehr verdienstvoll vom Deutschlandfunk, dass er uns das in Erinnerung gerufen hat.

    Detjen: Frau Bundeskanzlerin, vielen Dank für das Gespräch.

    Merkel: Bitte schön.