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"Keine Freiheit den Feinden der Freiheit"

Dolf Sternberger hat sich stets mit den Grundlagen des Politischen beschäftigt; so auch in seinem zum Klassiker gewordenen "opus magnum" von 1978: "Drei Wurzeln der Politik". Rainer Kühn hat es noch einmal aus dem Regal geholt.

Von Rainer Kühn | 26.08.2013
    Dolf Sternberger war ein "Überzeugungstäter". Schon während der Nazi-Diktatur sah er es als notwendig an, dass nach der Verbrechensherrschaft das Politische wissenschaftlich erforscht und gelehrt werden müsse; aber nicht abgehoben oder "wertneutral":

    "Wenn ich diesen Krieg und dieses Regime überlebe, dann muss ich mich selbst, dann müssen wir uns um die Politik kümmern, dann dürfen wir nicht mehr so herumplätschern in reinen Meditationen, Spekulationen."

    Überzeugungen und Werte sollten also rational begründet vertreten werden. Deshalb stand Sternberger später auch der Studentenrevolte ablehnend gegenüber; denn nach seiner Einschätzung sei deren Ursprung

    "…eigentlich ein Religionsbedürfnis gewesen, was diese ideologische Form angenommen hat. Und das Religionsbedürfnis, das Glaubensbedürfnis, die Vereinfachung der Welt, die diese – in diesem Fall also, in Gottes Namen - marxistische Theorie in der Zubereitung, die man sich gemacht hat, zur Verfügung zu stellen schien - nicht wahr -, das ist auch ein Bedürfnis, das die vielspältige Wissenschaft nicht erfüllen kann. Und das wird nie anders werden."

    Für Sternberger galt es, sich dem linken Zeitgeist zu widersetzen. Sein Mittel: eine akribische Darlegung der "Drei Wurzeln der Politik". Das Werk sollte die "Verwirrung" um den Begriff des Politischen aufklären. Und zudem – hier kommt der Philosoph Sternberger zu Wort – die `Frage beantworten, welches die wahre Politik sei´.

    "Die Politik ist unser Schicksal, das wissen wir. Wissen wir aber, was Politik ist? … So erscheint das Politische bald als das Einigende, bald als das Trennende, bald als Muster und Mittel der Eintracht, bald als Grund und Methode der Zwietracht, bald als Inbegriff des Friedens, bald als Geist des Krieges."

    Um das Politische zu fassen, wendet sich Sternberger drei Werken zu, die seiner Meinung nach exemplarisch für politische "Urphänomene" sind.

    Zunächst betrachtet er die "Politik" des griechischen Philosophen Aristoteles. Hieraus entwickelt Sternberger die erste Wurzel des Politischen, die er "Politologik" nennt: das Wissen um das allgemeine Wohl. Das Besondere daran ist für ihn, dass

    "…einzig die `bürgerliche´ Politik des Aristoteles …, einzig diese `Politologie´ … die reale Vielheit der Bürger zum Gegenstand gemacht hat, derer, die den Staat bilden, indem sie miteinander und widereinander handeln, Einrichtungen schaffen und verwalten und sich nach Verfahrensregeln einigen."

    Beim ersten Ursprung geht es also um Politik als geregelte Verständigung. Die zweite Wurzel des Politischen entwickelt der Autor anhand der 1513 verfassten Schrift "Der Fürst" des florentinischen Diplomaten und Politikers Niccolò Machiavelli. Diesen Ursprung bezeichnet Sternberger als "Dämonologik"; also als das Wissen um die skrupellose Durchsetzung des Willens-zur-Macht; exekutiert vom gefühllosen Herrscher; den Sternberger charakterisiert als

    "…künstlichen Dämon … ein Zwischenwesen, kein Mensch und kein Gott … Wir wollen uns weder einen guten Geist noch auch einen bösen Geist vorstellen, vielmehr einen an sich gleichsam farblosen … ein transmoralisches Wesen…"

    Demnach entspricht der zweite Ursprung - Politik als amoralischer Machtausübung. Die dritte Wurzel des Politischen sieht Sternberger angelegt im Buch "Der Gottesstaat" des Bischofs Augustinus, geschrieben Anfang des fünften Jahrhunderts. Diesen Ursprung fasst der Autor als "Eschatologie" auf, also als Wissen um die perfekte Gesellschaft, nach dem letzten Gefecht und jüngstem Gericht:

    "Eschatologie ist … die `Wissenschaft´ vom Ende des alten Bestehenden und vom Aufgang des neuen Zukünftigen … Eschatologie ist ein Wissen von der Großen oder der absoluten Veränderung."
    Im dritten Ursprung der Politik geht es also um: Politik als revolutionäre Utopie-Verwirklichung. Laut Sternberger liegen nun die drei Politikauffassungen unversöhnbar miteinander im Krieg. Etwas, was sich aktuell in Ägypten beobachten lässt: Dort - wo nämlich zunächst freie Bürger für eine geregelte Verständigung über die allgemeinen Angelegenheiten arabellierten; wo anschließend Religionsbrüder ihre Utopie eines Gottesstaats per Scharia realisieren wollten; und wo jetzt machtpolitisch-fokussierte Militärs dominieren, die für den Erhalt ihrer Herrschaft buchstäblich über Leichen gehen. Welche von den drei politischen Urphänomenen aber ist nun die `wahre Politik´? Sternberger hat sich gegen Ende seines Werks vom Philosophen, der nach der Wahrheit fragt, zum Politikwissenschaftler gewandelt, der von den politischen Fakten ausgeht. Deshalb trifft er abschließend die "Entscheidung":

    "Eine wahre Politik kann es nicht geben, nur eine gute … Das politisch Gute kann nur dasjenige sein, welches den Menschen möglich und welches den Menschen zuträglich ist."

    Sozialer Realitätssinn also ist das Entscheidende. Verständnis dafür, dass die Welt komplex und widersprüchlich ist. Deshalb plädiert der Autor dafür, Differenzen zu ertragen. Sowohl in der Politik, als auch in der Politischen Wissenschaft - wozu sein Werk einen Beitrag leisten sollte.

    Buchinfo:
    Dolf Sternberger: Drei Wurzeln der Politik.
    Suhrkamp Verlag 1984 u. 1995, 445 Seiten, 16,00 Euro
    (Derzeit nur antiquarisch erhältlich)