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Keine Gefahr für NATO-Soldaten bei Präsidentenwahl in Afghanistan

Clement: Herr General Kujat, der Vorsitzende des Militärausschusses der NATO hat inzwischen auch das Thema "Irak" auf der Agenda. Der Istanbuler Gipfel der NATO hat beschlossen, dass man mit Ausbildungshilfe sich im Irak engagieren will. Nun geht es darum, wie das umgesetzt wird. Wie und wann passiert das dann?

Moderation: Rolf Clement |
    Kujat: Wir haben unseren Ratschlag vorgelegt, wie man das machen sollte. Es ist im Augenblick noch nicht endgültig entschieden, es ist sozusagen im Entscheidungsprozess. Wir sind im Augenblick in der Phase, dass wir einen Vorschlag für eine bestimmte Option abgegeben haben, ohne weitere Details ausgeführt zu haben.

    Clement: Zu welcher Option neigen Sie denn?

    Kujat: Nun ja, ich persönlich und natürlich auch der Militärausschuss insgesamt hat vorgeschlagen, dort einen schrittweisen Ansatz zu wählen. Wir wollen ja möglichst schnell aktiv werden im Irak. Und das heißt, dass man nun nicht sozusagen mit einem großen Paukenschlag dort reingehen kann, sondern dass man versucht, langsam diese Ausbildung aufzubauen, auch im Interesse natürlich der irakischen Regierung – dass jeder einzelne Schritt mit der irakischen Regierung abzustimmen ist.

    Clement: Ist das eigentlich, wenn man sich die Lage im Irak anguckt, ausreichend? Muss man sich da nicht mehr engagieren? Gut, es gibt noch die Unterstützung für die NATO-Staaten, die da unten sind, im logistischen Bereich, aber wenn wir die täglichen Schlagzeilen uns angucken, die aus dem Irak kommen: Man ist man ja ein bisschen hilflos über die Lage dort.

    Kujat: Nun ja, die Situation ist natürlich nicht ermutigend, das muss man sagen. Aber die Frage der Sicherheit, das ist etwas, was die Vereinigten Staaten zusammen mit ihren Alliierten dort auf sich genommen haben. Die NATO hat ganz klar gesagt, auch mit dieser Entscheidung ja zum Ausdruck gebracht, dass nicht die politische Absicht besteht, sich als NATO an diesem Einsatz zu beteiligen. Außerdem bin ich auch der Meinung, dass es vor allen Dingen darauf ankommt, dass die richtigen Maßnahmen dort getroffen werden. Eine Vergrößerung des Truppenumfangs oder eine Hinzufügung von weiteren Staaten, das bedeutet ja nicht, dass die Lösung damit einfacher würde.

    Clement: Was wären die richtigen Maßnahmen, die ergriffen werden müssten?

    Kujat: Ich bin ja nun nicht involviert in die Vorgänge, die dort geschehen. Aber es gehört natürlich vor allen Dingen dazu, dass die Iraker selbst immer mehr die Sicherheit in ihre eigenen Hände nehmen können. Das halte ich für sehr wichtig. Und dem dient ja auch der Vorschlag, den wir vorgelegt haben, irakische Sicherheitskräfte auszubilden, damit sie eben in der Lage sind, mehr Verantwortung zu übernehmen. Dazu gehört natürlich auch, dass es möglichst bald dann eine Regierung gibt, die durch freie Wahlen legitimiert ist, die auch das Vertrauen natürlich der Bevölkerung genießt. Also, das sind wichtige Aspekte. Das ist sicherlich nicht alles, dazu gehört eine ganze Reihe anderer Maßnahmen auch: Der wirtschaftliche Wiederaufbau natürlich und vieles mehr.

    Clement: Aber für jemanden, der als Soldat sich mit solchen Krisenregionen befasst, muss doch eine Rolle spielen, dass Wahlen ja eigentlich immer Zeiten eigentlich erhöhter Gewaltbereitschaft sind in diesen Regionen. Wir sehen das auch in Afghanistan – auf das kommen wir gleich nochmal. Macht es denn vor diesem Hintergrund eigentlich Sinn, jetzt schon im Irak über Wahlen nachzudenken?

    Kujat: Wenn es extremistische Kräfte in einem Land gibt – nach wie vor gibt, gewaltbereite Kräfte – dann ist natürlich die Zeit vor einer Wahl geradezu eine Herausforderung für diese Kräfte, weil sie eben zeigen können, dass das Land nicht stabil ist. Insofern haben Sie natürlich Recht. Man muss also sehen, dass man den richtigen Zeitpunkt dafür trifft. Aber auf der anderen Seite ist natürlich auch eine freie und demokratische Wahl wichtig für das Selbstverständnis eines Landes, auch dafür, dass da Vertrauen entsteht in der Bevölkerung für die Regierung. Also es gibt keine einfache Antwort darauf.

    Clement: In Afghanistan stehen wir vor demselben Problem. In ungefähr drei Wochen sind dort Präsidentschaftswahlen. Die Parlamentswahlen hat man ja verschoben in den Januar. Dort haben die Taliban nun erklärt, jeder Präsidentschaftskandidat sei für sie ein Ziel. Wie muss die NATO, die ja dort sehr stark im Einsatz ist, mit dieser Ankündigung leben?

    Kujat: Zunächst haben wir ja eine Art Aufgabenteilung in Afghanistan. Der aktive Kampf gegen Taliban und auch gegen Al Kaida ist Sache der Amerikaner, und in der Tat sind ja auch die Aktivitäten dieser beiden Gruppierungen mehr oder weniger auf den Süden und den Südosten konzentriert, nicht so sehr in dem Bereich, in dem wir tätig sind. Insofern muss natürlich der Einsatz, auch der Kampf gegen diese Organisationen verstärkt werden. Die Amerikaner tun das ja auch. Sie sehen ja, dass da erneut zusätzliche Kräfte von Amerika nach Afghanistan verlegt werden. Das ist also ein ganz klares Zeichen dafür, dass man diese Risiken erkannt hat und auch ernst nimmt.

    Für uns – für die NATO – wie gesagt, in unserem Zuständigkeitsbereich ist das keine akute Gefahr. Natürlich können auch dort Anschläge passieren, das will ich nicht ausschließen. Und es gibt auch andere Möglichkeiten, den Wahlkampf zu stören, das wird sicherlich auch der Fall sein. Aber dass es nun hier zu einer unmittelbaren Konfrontation kommt zwischen der Taliban und NATO-Streitkräften, das erwarte ich eigentlich nicht.

    Clement: Wenn man sich anguckt, was die NATO tut – einmal in Kabul selbst, aber in der Region mit den Wiederaufbauteams, die dort installiert sind, dann hat eine Diskussion begonnen bei uns in Deutschland, wo man sagt, welchen Sinn machen die eigentlich. Bringen sie das, was sie bringen sollen? Werden sie konsequent genug umgesetzt, werden die Ziele eigentlich erreicht, die man damit gesetzt hat? Wie stehen Sie zu der Diskussion?

    Kujat: Ja, die deutsche Diskussion ist natürlich focussiert auf den deutschen Verantwortungsbereich. Mein Betrachtungsfeld geht etwas weiter. Und da muss ich sagen, natürlich bin ich enttäuscht darüber, dass die NATO-Staaten bisher nur bereit waren, sozusagen die Phase 1 – was wir die Phase 1 nennen, also den Raum im Norden, im Nordosten Afghanistans mit PRTs abzudecken und auch die notwendigen Kräfte dahin zu verlegen.

    Wir haben ja einen schrittweisen Ansatz gewählt, sozusagen gegen den Uhrzeigersinn, beginnend im Norden, dann nach Westen, Herat usw., unser Engagement dort auszuweiten. Bisher sind wir nur in der Lage gewesen, die Phase 1 angemessen abzudecken. Aber das tun wir sehr gut eigentlich. Wir haben fünf PRTs in diesem Bereich, davon sind zwei deutsche, zwei britische und ein niederländisches PRT. Und die PRTs leisten hervorragende Arbeit.

    Clement: PRTs sind diese Wiederaufbauteams.

    Kujat: Das sind diese sogenannten Provincial Reconstruction Teams dort. Gerade das deutsche PRT in Kundus ist geradezu beispielhaft für die Arbeit, die dort geleistet werden kann in Verbindung eben mit zivilen Organisationen, Nichtregierungsorganisationen, Hilfsorganisationen. Die Koordination allein dieser Arbeit, aber auch die Bereitstellung einer gewissen Sicherheit – auch das deutsche Krankenhaus als ein Beispiel, das sind hervorragende Ansätze. Man muss allerdings auch hinzufügen: Das ist ein riesiges Land. Dazu ist das Terrain sehr schwierig, das muss ich nicht im Einzelnen erklären. Aber es ist eben ein Ansatz, ein positiver Ansatz.

    Negativ ist eben in der Tat, dass das bisher unser Engagement nur auf diesen Bereich konzentriert ist, dass wir eben noch nicht in der Lage sind – obwohl wir das beabsichtigt haben und weiter beabsichtigen natürlich –, uns weiter in der Fläche auszudehnen. Denn je weiter wir uns ausdehnen, je größer die Fläche ist, die wir abdecken, desto sicherer wird das Land natürlich insgesamt.

    Clement: Aber die Machtstrukturen dort, repräsentiert durch die Warlords, die zum Teil ja mal abgesetzt wurden – in Herat haben wir erlebt, welche Folgen das haben kann –, und die an sich ja auch durch den Drogenanbau finanzieren, jedenfalls zu wesentlichen Teilen: In diesen beiden Bereichen – Entwaffnung der Worlords, Entwaffnung der Truppen und Drogenanbau – hat man so ein bisschen den Eindruck, da könnte noch ein bisschen mehr getan werden, um es höflich zu formulieren.

    Kujat: Absolut. Also wir haben ja ein Entwaffnungsprogramm gestartet. Das wird ja in internationaler Zusammenarbeit gemacht, und die Japaner haben ja die Verantwortung. Hier gibt es Fortschritte, aber nicht in dem Maße – das muss ich auch sagen –, in dem wir uns das gewünscht hätten. Das hängt aber auch damit zusammen, dass die Warlords "ihre Soldaten", das sage ich jetzt einmal in Anführungszeichen, finanziell unterstützen, dass die sozusagen ein Gehalt beziehen. Wenn wir ihnen die Waffen abnehmen, müssen wir ihnen natürlich eine Perspektive bieten, eine Arbeit anbieten können. Die müssen ja in der Lage sein, ihre Familien zu ernähren. Und das ist eben extrem schwierig. Es ist diese Verbindung zwischen Entwaffnung und persönlicher beruflicher Perspektive, die im Augenblick nur ganz begrenzt hergestellt werden kann. Und das ist das eigentliche Handicap.

    Clement: Wenn Sie jetzt sagen, wir sind regional, wir können uns nicht weiter ausdehnen, weil wir keine Länder mehr finden, die da mitmachen, wir haben Drogenanbau – das was wir gerade besprochen haben –, es funktioniert nicht richtig, diese Entwaffnung der Milizen der Warlords: Haben Sie Verständnis für die Leute, die sagen, dass macht alles keinen Sinn mehr da?

    Kujat: Es macht schon Sinn. Die Frage ist natürlich – insofern haben Sie Recht –, die Frage ist, werden wir erfolgreich sein. Dass die Aufgabe, die wir übernommen haben, richtig ist, dass sie einem vernünftigen Zweck dient – auch zu unserer eigenen Sicherheit übrigens dient in Deutschland und in anderen Ländern –, davon bin ich felsenfest überzeugt.

    Ob wir erfolgreich sind, ist eine andere Frage. Das hängt eben davon ab, ob tatsächlich alle NATO-Staaten bereit sind, die notwendigen Mittel bereitzustellen. Wenn ich Mittel sage, dann meine ich eben nicht nur Soldaten. Das ist ja auch eine ganz erhebliche finanzielle Frage, die hier zu beantworten ist. Das möchte ich sehr sorgfältig auseinander halten.

    Unser Operationskonzept, das wir hier entwickelt haben für Afghanistan, halte ich nach wie vor für tragfähig, vernünftig, auch zielführend, wie das so schön heißt im Neuhochdeutsch. Aber ob es erfolgreich sein wird – das ist ein Appell, den wir an die Nationen richten, erlaubt uns, erfolgreich zu sein, indem wir die notwendigen Kräfte und Mittel bereitstellen.

    Und lassen Sie mich noch ein Wort sagen zum Drogenanbau. Das ist natürlich ein Riesenproblem, das ist völlig außer Frage. Und ich sage auch immer allen, die es hören wollen, auch denen, die es nicht hören wollen: Hier ist irgendwann auch mal das Ende der Geduld der westlichen Staaten erreicht, denn wir zahlen ja – unsere Gesellschaften zahlen ja – eigentlich dreifach. Es zahlen die jungen Menschen in Berlin und in München, in Paris oder in London, die Heroin kaufen, unser Gesundheitssystem zahlt, weil wir auch für die Folgen aufkommen müssen, und wir zahlen außerdem noch, indem wir unsere Soldaten in diese Länder schicken und versuchen, dort Sicherheit zu exportieren. Das ist natürlich auf Dauer nur sehr schwer vertretbar.

    Deshalb müssen wir in der Tat diesen Drogenhandel – wir werden nicht in der Lage sein, dem ein Ende zu setzen, so optimistisch bin ich nicht –, aber wir müssen in der Lage sein, den Drogenhandel zu reduzieren, einzuschränken und natürlich auch, soweit das möglich ist, ihn aus unseren Ländern heraus halten.

    Clement: Kommen wir zu einer anderen Krisenregion: Darfur. Die UNO hat bei der NATO angefragt, ob sie unterstützend tätig sein kann, um die Probleme dort zu lösen. Wie kann so eine Unterstützung aussehen, und kommt sie?

    Kujat: Wir haben uns mit dieser Frage noch nicht im Detail auseinander gesetzt. Zunächst mal muss überhaupt diskutiert werden, ob eine politische Bereitschaft dafür besteht, dass wir dort unterstützend tätig werden. Ich denke aber, unabhängig von dieser Anfrage, ob wir dort nun Verantwortung übernehmen können, haben wir eine gewisse Verantwortung, die Vereinten Nationen zu unterstützen in ihrer Arbeit. Und wir können das auf vielfache Weise tun, ohne nun direkt Soldaten nach Darfur zu schicken.

    Sie wissen, dass die Vereinten Nationen über ganz geringe Planungskapazitäten verfügen, während wir in der NATO natürlich einen eingespielten Apparat haben. Wir haben Hauptquartiere, die nichts anderes machen als operative Planung. Also hier können wir sicherlich helfen. Da können wir schon einiges tun, und ich denke, das werden wir auch machen. Das ist völlig unabhängig davon, ob die NATO dort nun insgesamt Verantwortung übernimmt.

    Clement: Kommen wir mal auf den europäischen Kontinent. Wir haben, obwohl wir mit dem Vorsitzenden des NATO-Militärausschusses sprechen, bisher nur über ferne Länder gesprochen, andere Kontinente. Jetzt zum Kosovo. Die Mai-Unruhen haben ja doch offenbart, dass da noch sehr viel brodelt in der dortigen Bevölkerung, und dass die Reaktion darauf vielleicht auch nicht ganz optimal war. Hat man eigentlich einmal analysiert, woran es gescheitert ist , dass die NATO nicht ganz optimal reagiert hat – ich formuliere das wieder vorsichtig – und welche Veränderungen haben Sie denn auf NATO-Ebene eingeführt?

    Kujat: Das Erste ist: Man muss feststellen, dass diese Unruhen sehr sorgfältig vorbereitet und organisiert waren, nicht auf den Tag genau, aber für den Fall, dass ein Ereignis sozusagen zur Verfügung stehen würde, das das erlaubt. Das Zweite ist: Diese sogenannten Demonstranten oder auch Unruhestifter sind sehr sorgfältig geführt worden. Das muss zu denken geben. Warum muss das zu denken geben? Es zeigt auf der einen Seite, dass natürlich die Verhältnisse nicht in Ordnung sind, dass eine große Gewaltbereitschaft nach wie vor vorhanden ist. Aber es zeigt auch, dass es dort nach wie vor dort Elemente gibt, die sich und andere auf solche Dinge vorbereiten.

    Wir müssen also vor allen Dingen die Kenntnisse über solche Entwicklung im Vorfeld verbessern. Wir brauchen bessere Aufklärungsmöglichkeiten, wir müssen eher erfahren, wenn so etwas bevorsteht, wenn so etwas vorbereitet wird. Das ist ein Defizit, das uns im Übrigen auch vor diesen Unruhen schon klar war. Und danach haben wir natürlich versucht, die Dinge zu bereinigen. Dazu gehört eine ganze Reihe von Maßnahmen, auf die ich hier nicht eingehen will.

    Das zweite ist aber auch die Frage: Sind wir selber, sind unsere Kräfte nach Ausrüstung, Umfang und Ausbildung eigentlich richtig positioniert, um mit solchen Dingen fertig zu werden. Dazu muss man zunächst sagen: Das ist nicht eine Aufgabe von KFOR, sondern Unruhen gegenüber zu treten, sie zu kontrollieren, sie einzudämmen, ist eine Aufgabe von UNMIK und der Kosovo-Polizei. Die Aufgabe der NATO-Streitkräfte dort ist, ein weitgehend sicheres Umfeld zu garantieren, nicht, in solche Operationen einzutreten. Und die meisten unserer Soldaten waren dafür auch gar nicht vorbereitet, weil es eben nicht ihre Aufgabe war.

    Gleichwohl haben wir es jetzt getan. Ich bin vor kurzem erst im Kosovo gewesen. Ich habe gesehen, unsere Soldaten dort haben diese Ausrüstung bekommen, die man in Unruhen einsetzen muss, Schutzhelme und was alles dazu gehört. Und ich sage Ihnen ganz ehrlich: Ich fühle mich sehr unwohl dabei, denn das ist eine polizeiliche Aufgabe und keine militärische Aufgabe.

    Und wenn wir über den Umfang sprechen, was tatsächlich an militärischen Kräften zur Verfügung steht, ist nicht mehr dort – wenn wir jetzt von Versorgung absehen –, als das, was die UNMIK zur Verfügung hat. Ich fand das also ein bisschen unfair, dass hier mit dem Finger auf unsere Soldaten gezeigt wurde, und zwar von denen, die eigentlich die Verantwortung dafür haben.

    Clement: Nun haben die europäischen Verteidigungsminister in dieser Woche darüber diskutiert, ob es nicht sinnvoll ist, eine Gendarmerietruppe einzurichten, die ja einige Länder haben. Wäre das nicht ein Weg, wo man gerade in solchen Situationen besser ausgebildet, besser ausgerüstet wäre?

    Kujat: Es ist tatsächlich eine Spezialaufgabe, es ist eine primär polizeiliche Aufgabe. Und wenn man in der Europäischen Union nun sagt: Gut, lasst uns solche Verbände aufstellen, dann ist das aus meiner Sicht der völlig richtige Weg. Die Soldaten sollen das tun, wofür sie ausgebildet wurden und wofür sie ausgerüstet sind. Man sollte sie möglichst nicht umfunktionieren zu Polizisten.

    Clement: Ist es denn richtig, das Deutschland sich daran nicht beteiligt, wenn die EU das macht?

    Kujat: Deutschland hat ja keine Spezialkräfte dieser Art.

    Clement: Na gut, man kann so was aufstellen. Jetzt lassen wir mal Zuständigkeiten, Innenministerium, Bundesgrenzschutz und so weg. Aber einfach mal von der Frage her: Wäre es nicht notwendig – bei den Missionen, die die Bundeswehr ausführt, im Kosovo, in Afghanistan, wo immer sie ist, kommen ja Polizeiaufgaben auf sie zu, wäre es da nicht notwendig, dass die Bundeswehr auch eine solche Polizeitruppe sich einrichtet?

    Kujat: Das ist eine Frage, die müssen Sie an den deutschen Verteidigungsminister richten. Ich denke, insgesamt ist es ja so, dass sich unsere militärischen Fähigkeiten ergänzen. Das ist in der NATO so und das ist in der Europäischen Union genau so. Wenn Deutschland diese Kräfte nicht hat und auch nicht aufstellen will, dann wird Deutschland eben einen anderen Beitrag leisten. Und ich bin sicher, dass das auch so in der Europäischen Union gesehen wird.

    Clement: Sie haben den deutschen Verteidigungsminister angesprochen. Der hat nun in der vergangenen Woche oder der vorvergangenen Woche einmal darauf hingewiesen, dass es notwendig wäre, für das Kosovo einmal ein politisches Zielkonzept zu haben. Die Diskussion jetzt, wir müssen erst die Standards schaffen, bevor wir die Statusfrage klären, führt ja de facto dazu, dass die Albaner dort sich zurücklehnen und sagen: Die Standards schaffen wir nicht, sie sollen erst mal über den Status entscheiden, und mit allem, was KFOR dort tut, wird ja de facto das Kosovo immer mehr zu einem Staat, zu einem Gebilde ausgebaut, das als Staat überlebensfähig wäre. Muss nicht diese politische Entscheidung Status nun endlich mal fallen?

    Kujat: Also, ich sollte zunächst einmal sagen, ich bin völlig der Auffassung, man sollte für den Balkan ein Gesamtkonzept entwickeln. Da gibt es sehr viele wechselseitige Abhängigkeiten. Um es einfach zu sagen: Ja, ich denke, die Frage der politischen Zukunft muss angepackt werden. Man darf das nicht vor sich her schieben. Ich sage aber auch dazu, es ist extrem schwierig, eine Lösung zu finden. Aber das kann nicht heißen, dass man da nun über Jahrzehnte Soldaten stationiert hat und das Land, die ganze Region eigentlich, in einem Schwebezustand hält, mit all den Konsequenzen, die wir ja auch im März gesehen haben.

    Nein, wir müssen in der Tat diese Frage anpacken. Das heißt aber nicht, dass die Standards unwichtig wären. Wir müssen schon darauf bestehen, dass dort demokratische Strukturen entstehen, das die Wahlen ordentlich durchgeführt werden, dass tatsächlich auch die Sicherheit aller Bürger gewährleistet wird, nicht nur der Albaner sondern auch der Serben, die in diesem Land wohnen, und vieles mehr. Also, diese Dinge sind genau so wichtig. Aber es darf nicht dazu führen, dass dann die Frage der Zukunft dieser Menschen bis zum Sankt- Nimmerleinstag vor uns her geschoben wird. Das geht nicht.

    Clement: Herr General Kujat, wenn man sich die sicherheitspolitische Lage in Europa anguckt, dann stellt man fest, dass die Europäer sich treffen, dass die Europäer eigene Instrumente schaffen, dass sie eigentlich meistens sagen: Wir möchten eigentlich vieles gemeinsam machen, als Europäer. Die Amerikaner, so hat man den Eindruck, benutzen die NATO als ein Organ, wo gewisse Fähigkeiten bereitgestellt werden, die man nach Bedarf abruft, aber aus eigener Macht auch für unilaterale Geschichten. Wie soll das zusammen gehen, wie ist das transatlantische Fundament eigentlich? Wie bewerten Sie das?

    Kujat: Zunächst finde ich es sehr positiv, dass sich die Europäer ja in der NATO sehr stark engagieren ...

    Clement: ... sie tun das auch außerhalb der NATO ...

    Kujat: ... auch außerhalb, aber auch innerhalb der NATO. Ich erwähne nur als Beispiel Frankreich. Frankreich hat sich in letzter Zeit immer stärker in der NATO engagiert, ob das die NATO Response-Force ist, oder ob es die laufenden Operationen sind. Und es ist ja auch kein Zufall, dass in den beiden schwierigsten und größten Operationen – Kosovo und in Afghanistan – wir einen französischen Befehlshaber haben. Die Franzosen sind auch in der NATO-Streitkräftestruktur vertreten über das Eurocorps. Das halte ich für außerordentlich positiv, und das ist ein enormer Zugewinn, denn die französischen Beiträge sind qualitativ immer ganz hervorragend. Das ist die eine Seite.

    Die andere Seite ist die, dass – ich glaube – auch die Amerikaner immer mehr erkennen, wie wichtig das Bündnis für sie selbst ist. Die Tatsache, dass auf dem Gipfel in Istanbul auch ein NATO-Engagement im Irak diskutiert wurde, dass wir jetzt konkrete Vorschläge auf dem Tisch haben, wie dieses Engagement aussehen könnte, und dass die Amerikaner natürlich uns auch gedrängt haben, ein solches Engagement zu akzeptieren, zeigt ja nicht nur, dass sie ein Interesse nach wie vor an der NATO haben, sondern dass sie die NATO auch brauchen. Das muss man ganz deutlich sagen.

    Das gilt übrigens für alle Länder. Man wird nicht Mitglied in einer Allianz, um anderen einen Gefallen zu tun, sondern man wird Mitglied in einer Allianz, weil es im nationalen Interesse ist und weil man in der Lage ist, die gemeinsamen politischen, strategischen Ziele zu teilen. Das ist auch bei den Vereinigten Staaten der Fall.

    Sicher ist es so, dass die Amerikaner im Augenblick sehr stark engagiert sind, in Afghanistan, im Irak ihre Kräfte sehr stark gebunden sind und dass das eine enorme Belastung ist. Das ist auch der Grund, weshalb ihr Engagement an den anderen NATO-Operationen eben nicht so groß ist, wie wir uns das eigentlich wünschen würden, auch in der NATO-Response-Force nicht.

    Aber ich denke, gerade dieser letzte Schritt, den wir jetzt gerade in dieser Woche getan haben, nämlich die Aufgabe Ausbildung der irakischen Sicherheitskräfte zu übernehmen, ist ein Zeichen auch an die Adresse der Amerikaner. Es ist auch ein Schritt nach den schwierigen Diskussionen, die wir zugegebenermaßen im letzten Jahr hatten, auf die Amerikaner zu. Und ich hoffe, dass die Amerikaner das entsprechend einordnen und ihr Engagement in der NATO dann entsprechend auch verstärken werden.

    Clement: Zeichnen Sie das kraft Ihres Amtes nicht ein bisschen zu positiv?

    Kujat: Sie meinen, der Wunsch ist hier der Vater des Gedankens. Natürlich ist das mein Wunsch, dass das so kommt. Das ist ja völlig klar. Ich habe auch nicht gesagt, dass es so kommt. Ich habe nur gesagt und bin fest davon überzeugt: Wir müssen nach diesen schwierigen – nach dieser schwierigen Situation, lassen Sie es mich mal so sagen, die ja nicht innerhalb der NATO stattgefunden hat, sondern außerhalb der NATO – aber natürlich haben uns die Schockwellen schon erreicht hier –, also nach dieser schwierigen Situation, die ja politisch auch sehr weitgehend überwunden ist, muss es nun eine Art Konsolidierung geben der transatlantischen Beziehungen.

    Und dazu ist es eben notwendig, diesen Schritt zu tun. Und nun denke ich, dass es auch auf Seiten der Amerikaner erkannt werden muss, dass dies eine positive Entwicklung ist und dass man diese positive Entwicklung fördern muss. Ob das so eintritt, ja, das weiß ich nicht. Ich gehe aber davon aus, dass das sein wird.

    Clement: Wäre das Bemühen um eine neue transatlantische Charta, wo man einfach nochmal die Werte, die einen verbindet, nochmal zusammen aufschreibt, wäre das ein Weg, der in Ihrem Sinne hilfreich wäre?

    Kujat: Also, wir haben schon so viel aufgeschrieben. Ich denke, wir haben ein sehr gutes strategisches Konzept. Da steht das alles drin, hier muss nicht der tiefe Teller neu erfunden werden. Ich denke auch, was zählt sind Taten. Ich denke, das sollte tragen. Ich glaube eher, eine Diskussion um eine neue Charta oder Grundsätze und ähnliches würde nur neue Schwierigkeiten produzieren und nicht bestehende Probleme lösen.

    Clement: Herr General Kujat, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
    US-Soldaten in Bagdad, 16.09.2004
    US-Soldaten in Bagdad, 16.09.2004 (AP)
    Afghanistans Präsident Hamid Karsai auf dem NATO-Treffen in Istanbul
    Afghanistans Präsident Hamid Karsai auf dem NATO-Treffen in Istanbul (AP)
    Bundeswehrsoldaten des ersten deutschen Einsatzkontingentes der ISAF in Kundus, Afghanistan, begrüßen am 16. Feb. 2004 afghanische Kinder auf einer Strasse in Taloqan
    Bundeswehrsoldaten des ersten deutschen Einsatzkontingentes der ISAF in Kundus, Afghanistan, begrüßen am 16. Feb. 2004 afghanische Kinder auf einer Strasse in Taloqan (AP)
    Britische KFOR-Soldaten kommen auf dem Flughafen in Pristina an
    Britische KFOR-Soldaten kommen auf dem Flughafen in Pristina an (AP)