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Keine gemeinsamen Tage im Kaukasus

Paläoanthropologie.- In einer Höhle im russischen Mezmaiskaya lebten einst Neandertaler. Später sollen sich in dieser Gegend auch unsere Vorfahren niedergelassen haben. Ein Zusammentreffen von Homo sapiens und Neandertalern hat dort aber nie stattgefunden, schreiben Archäologen nun im Fachmagazin "PNAS".

Von Michael Stang | 10.05.2011
    Mit einer Höhe von zehn und einer Grundfläche von 25 mal 35 Metern bot die Höhle im kaukasischen Mezmaiskaya alles, was das Steinzeitmenschenherz einst begehrte: luftiger Wohnraum gepaart mit Panoramablick, günstige Lage, da warme Sommer und relativ milde Winter, dazu ganzjährig ein reichhaltiges Nahrungsangebot in unmittelbarer Nähe. Kein Wunder also, dass die Höhle viele zehntausend Jahre lang regelmäßig bewohnt wurde, sagt Tom Higham.

    "Dort in Mezmaiskaya lebten auch vermutlich die letzten Neandertaler überhaupt, nämlich noch vor rund 29.000 Jahren."

    Aber nicht nur Neandertaler haben dort zeitweilig gelebt, sondern auch unsere Vorfahren. Zwar wurden die Funde der Höhle bereits kurz nach ihrer Entdeckung 1987 datiert, jedoch wollte Tom Higham alle Erdschichten einheitlich untersuchen, um die Abfolge der Besiedlungszeiten zu rekonstruieren. Dazu analysierte der Forscher von der University of Oxford mehr als 20 Proben aus verschiedenen Schichten im Labor der Radiocarbon Accelerator Unit. Datiert wurde mithilfe der Radiokarbonmethode. Dabei wird der Kohlenstoffgehalt einer Probe untersucht, etwa der einer Pflanze. Da diese nach ihrem Tod keinen neuen Kohlenstoff mehr aufnimmt, können so die heute noch enthaltenen Kohlenstoffisotope gemessen und das Alter der Pflanze bestimmt werden.

    "Der Großteil unserer Ergebnisse gibt jedoch ein wesentlich höheres Alter an als angenommen. Viele Proben konnten wir gerade noch so messen, da die Radiokarbonmethode ja nur bis 50.000 Jahre zurückgeht. Bei älteren Proben sind die Kohlenstoffisotope zu weit zerfallen. Da wir bei vielen Proben die C14-Zerfallsrate zum Teil nicht mehr exakt bestimmen konnten, müssen diese 45.000 Jahre und älter sein. Damit konnten wir zeigen, dass die alte Datierung mit 29.000 Jahren definitiv zu jung war."

    Wie es zu dieser Fehlmessung kam, ist nicht geklärt. Vermutlich waren die
    Proben verunreinigt. Dieser Gefahr sei man sich bei früheren Datierungen mangels Erfahrung nicht bewusst gewesen, so Tom Higham. Damit haben die letzten Neandertaler in Mezmaiskaya höchstens bis vor 40.000 Jahren dort gelebt.
    "Das bedeutet, dass die Neandertaler diese Gegend viel früher verlassen hatten als bislang gedacht. Paläoanthropologen wollen ja immer wissen, wann und wie lange unsere Vorfahren und Neandertaler an einen Ort gemeinsam gelebt haben könnten. Je größer diese Zeitspanne ist, desto wahrscheinlicher sind Aufeinandertreffen, bei denen kulturelle und technische Ideen ausgetauscht wurden und es vielleicht auch zum Austausch von Sexualpartnern der beiden Gruppen gekommen sein könnte."

    Mit den neuen Daten sind jedoch sämtliche Szenarien, wie diese Treffen ausgesehen haben könnten, unwahrscheinlicher geworden. Das gilt sowohl für Überlegungen hinsichtlich einer möglichen Ausrottung der Neandertaler dort durch unsere Vorfahren als auch für die Suche nach eventuellen Mischlingskindern. Denn zumindest in dieser Höhle sind sich den neuen Daten zufolge Neandertaler und Homo sapiens nicht begegnet.