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Prähistorisches Stelldichein

Paläoanthropologie.- Seit Jahrzehnten versuchen Paläoanthropologen zu klären, ob sich unsere Vorfahren mit den Neandertalern vermischt haben. Bislang konnte diese zum Teil hitzig geführte Frage nicht eindeutig beantwortet werden. Doch nun haben Leipziger Forscher dieses Rätsel endgültig gelöst.

Von Michael Stang | 07.05.2010
    Seit 2006 versuchen Svante Pääbo und seine Kollegen die nur noch bruchstückhaft erhaltenen Erbgutreste der Neandertaler zu rekonstruieren. Rund 40.000 Jahre alte Knochen aus Kroatien, Spanien, Russland und Deutschland enthielten noch so viel Erbmaterial, dass die Paläogenetiker vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig gemeinsam mit einem internationalen Forscherteam ein erstes Abbild des Neandertalergenoms fertigen konnten. Im Fachblatt "Science" stellen sie es vor.

    "Wirklich spannend finde ich die Tatsache, dass wir zeigen konnten, dass es tatsächlich möglich ist, das Genom des Neandertalers zu sequenzieren, wie das bereits beim Menschen und Schimpansen gemacht wurde. Wir konnten nun auch den maximalen Einfluss der Neandertaler auf unseren heutigen Genpool errechnen. Es sieht so aus, als ob die Neandertaler tatsächlich einen, wenn auch nur geringen, Beitrag zu unserem heutigen Genpool beigesteuert haben."

    Mehr als eine Milliarde DNA-Fragmente, rund 60 Prozent des Neandertalergenoms, verglichen die Forscher mit dem Erbgut heutiger Menschen aus Südafrika, Westafrika, Papua-Neuguinea, China und Frankreich. Dabei sahen sie, dass Menschen außerhalb Afrikas näher mit Neandertalern verwandt sind als die beiden untersuchten Afrikaner. Einzige mögliche Erklärung: Es gab Vermischungen. Unsere Vorfahren zeugten mit den Neandertalern gemeinsamen Nachwuchs. Damit hatte Ed Green, Hauptautor der Studie, nicht gerechnet.

    "Das war ein Schock. Natürlich sollte man seine Daten ergebnisoffen sammeln, aber das hatten wir tatsächlich nicht erwartet, zumal sämtliche früheren Untersuchungen keinerlei Hinweise auf eine Vermischung gegeben hatten."

    Zwischen ein bis vier Prozent des außerafrikanischen Erbguts geht auf das Konto von Neandertalern zurück, sagt der Paläogenetiker vom Max-Planck-Institut, der gerade im kalifornischen Santa Cruz an der Universität von Kalifornien arbeitet. Wie und wie lange die Liaison zwischen unseren Vorfahren und den Neandertalern ging, könne man jedoch nicht sagen. Vermutlich sind sie sich irgendwann vor 100.000 bis 50.000 Jahren im Mittleren Osten näher bekommen. Erst danach gab es die großen Wanderungen nach Eurasien, wo sich, wie in Europa, bis heute winzige Reste vom Homo neanderthalensis im menschlichen Erbgut verewigt haben. Die neuen Daten verraten aber noch mehr, so Ed Green.

    "Mithilfe des Neandertalergenoms können wir nun bei unserem Erbgut abgleichen, wie sich einzelne Gene verändert haben, welche Funktion sie plötzlich hatten und ob diese vielleicht entscheidende Vorteile mit sich brachten, aber da stehen wir noch am Anfang. Überraschend war auf jeden Fall, dass viele dieser Genvarianten, die es nur bei uns gibt, im Zusammenhang mit kognitiven Funktionen stehen. Vielleicht verhalfen genau diese Mutationen unseren Vorfahren dazu, die ganze Welt besiedeln zu können, aber das ist bislang nur reine Spekulation."

    Nach der evolutionären Abspaltung von den Neandertalern haben die anatomisch modernen Menschen eine rasche Entwicklung erfahren. Um genau diese neuen Gene zu kartieren, haben die Leipziger Forscher in einer zweiten Studie, die ebenfalls heute im Fachmagazin "Science" erscheint, eine genetische Neandertalersequenz aus dem spanischen El Sidron untersucht, sagt Hauptautor Hernán Burbano.

    "Zusätzlich zu der spanischen Neandertalersequenz haben wir die gleichen Abschnitte von 50 heute lebenden Menschen untersucht. Wir wollten herausfinden, welche Veränderungen erst in der jüngsten Vergangenheit entstanden sind und sich in unserem Erbgut manifestiert haben. Dabei konnten wir 88 Veränderungen feststellen, die sich in 83 Genen befinden. Nun stellt sich die Frage: Sind es tatsächlich Veränderungen, die unseren Vorfahren Vorteile verschafften oder nur die Folgen demografischer Ereignisse?"

    Eine Antwort darauf gibt es noch nicht, aber die Stellen, die sich seit der Trennung von den Neandertalern im menschlichen Erbgut verändert haben, sind dingfest gemacht. Das Neandertalergenom sei schließlich nicht in erster Linie dazu da, so Ed Green und Hernán Burbano, unseren ausgestorbenen Vetter zu durchleuchten, sondern vor allem, um die Einzigartigkeit des Homo sapiens besser zu verstehen.