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Keine gute Analogie für die Erde

Planetologie. - Wenn die europäische Titansonde Huygens durch die dicke Stickstoff-Methan-Atmosphäre des Saturnmondes rast, soll sie uns einen Blick in die früheste Vergangenheit unseres Planeten werfen lassen. In die Zeit, bevor das Leben entstand und sowohl Atmosphäre als auch Planeten gründlich umkrempelte. Denn - so hat die Nasa es immer wieder betont - Titan käme dieser frühen unbelebten Erde sehr nahe. Aber - dieser Vergleich stimmt leider nicht mit dem derzeitigen Stand der Forschung überein. Wie sah die Luft auf der jungen Erde aus?

Von Dagmar Röhrlich |
    Der Geologe Jim Kasting kann sich nur wundern:

    Das ist ein Punkt, den viele Leute falsch verstehen, die Nasa in einigen ihrer Pressemitteilungen eingeschlossen: Titan wird oft mit der Erde vor dem Beginn des Lebens verglichen, aber das ist keine gute Analogie. Denn bevor auf der Erde das Leben entstanden war, gab es kaum Methan. Methan stammt hier nahezu ausschließlich aus biologischen Quellen.
    Der Professor an der Pennstate University fahndet in Milliarden Jahre alten irdischen Gesteinen nach den Spuren der frühen Atmosphäre: Danach bestand die Lufthülle der präbiotischen Erde aus einem anderen Cocktail als die auf dem heutigen Titan, wo eine Mixtur aus Stickstoff und Methan vorherrscht:

    Auf der Erde gab es damals kein Methan: Vor der Entstehung des Lebens dominierten Kohlendioxid, Stickstoff, und es gab etwas Wasserstoff. Dann startete vor mehr als drei Milliarden Jahren die Biologie - und zu den ersten Lebewesen gehörten Einzeller, die Kohlendioxid und Wasserstoff zu Methan umwandelten: Sie machen in der Zeit vor 2,3 Milliarden Jahren Methan zum wichtigen Klimagas.
    Denn die Sonne strahlte während der ersten Jahrmilliarden schwächer als heute. Zunächst glich das der durch den starken Vulkanismus "gefütterte" CO2-Treibhauseffekt aus. Aber der begann zu schwächeln, als im Lauf der Zeit die Aktivität der Vulkane nachließ. Vor allem, weil gleichzeitig auch die Kontinente heranwuchsen. Damit nahm die Verwitterung zu und wusch mehr und mehr Kohlendioxid aus der Luft heraus. Im Wasser hatten sich aber über Jahrmillionen die Bakterien vermehrt - und unentwegt Methan produziert, ein sehr starkes Klimagas. Kasting:

    Sie begannen, Wasserstoff in Methan zu verwandeln und pumpten es in die Atmosphäre. Es wurde wärmer, obwohl das Kohlendioxid abnahm. Nach Hunderten von Millionen Jahren gab es einen Punkt, an dem der kohlendioxidgetriebene Treibhauseffekt in einen methandominierten kippte.
    Heute, in der sauerstoffreichen Erdatmosphäre, ist Methan instabil und zerfällt nach wenigen Jahren. In der sauerstofflosen Lufthülle vor rund 2,5 Milliarden Jahren überlebte das Methan rund 10.000 Jahre. Damit war es ein "verläßliches" Klimagas, das die Erde warm hielt. Allerdings war damals dann erst einmal Schluss mit dem blauen Himmel, der bis dahin die Erde umspannt hatte: Das Methan lagert sich im energiereichen Sonnenlicht zu größeren Kohlenwasserstoff-Molekülen zusammen - Methanwolken entstehen, der Himmel färbt sich rosarot. Kasting:

    Teilchen in der Atmosphäre streuen das Licht sehr charakteristisch, und die Kohlenwasserstofftröpfchen bevorzugen die rote Wellenlänge. In dieser frühen Phase des Lebens dürfte die Erde daher rosa oder orangefarben ausgesehen haben, ziemlich ähnlich dem Titan heute.

    Der Himmel hing aber nicht dauerhaft voller rosa Wölkchen. Es war wieder vorbei damit, nachdem das Leben vor vielleicht 2,8 Milliarden Jahren die Photosynthese erfunden hatte: Allerdings sollte es 500 Millionen Jahre dauern, ehe der Sauerstoffgehalt in der Luft plötzlich anstieg. Warum, das ist ungeklärt. Durch den Sauerstoff wurde das Methan instabil: Der rosa Schleier zerriss - und der Himmel war wieder blau. Allerdings brach damit auch der Treibhauseffekt zusammen. Kasting:

    Was ich an der methandominierten Erdatmosphäre nach der Entstehung des Lebens wirklich mag, ist, dass sie die ersten Eiszeiten vor 2,3 Milliarden Jahren erklärt. Als der Sauerstoffgehalt anstieg, ging das Methan stark zurück, damit brach der Treibhauseffekt zusammen - und erstmals wuchsen Gletscher auf der Erde. Ich mag diese Idee.

    Der Geologe ist sich seiner Sache sicher, weil es auf der Erde keinen Mechanismus gibt, mit dem Methan in nennenswerten Mengen anorganisch entstehen könnte: Das funktioniere aufgrund der Chemie der Erdmantelgesteine nicht, so Kasting. Wenn auf der Erde das Methan erst dann in der Erdatmosphäre entstehen konnte, als das Leben Fuß gefasst hatte, was bedeutet das für den Saturnmond Titan? Kasting:

    Ich glaube, Titan kann in mancherlei Hinsicht als Analogon zur ersten Phase der belebten Erde dienen, bevor der Sauerstoffgehalt der Atmosphäre anstieg. Die Erde hatte damals wie Titan heute, eine Atmosphäre, die mit organischem Dunst gefüllt sind. Aber das irdische Methan ist biologischen Ursprungs, das des Titan vermutlich nicht.

    Der Ursprung des Methans auf Titan - das sei die Eine-Million-Euro-Frage. Leben ist bei minus 180 Grad Celsius mehr als unwahrscheinlich. Es müßte also durch physikalische Prozesse entstanden sein. Auf Titan ist Methan über Jahrmillionen stabil. Das macht die Luft zu einem gigantischen Reservoir. Aber noch weiß man zu wenig über den ungewöhnlichen Mond.