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Keine Lobby für die Homo-Ehe

La famiglia, die Familie in ihrer traditionellen Form, hat für viele Italiener einen unantastbaren Wert. Zugleich hat der Vatikan im Land großen Einfluss. So hinkt Italien mit der Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften im europäischen Vergleich hinterher. Kirstin Hausen berichtet.

17.07.2006
    Ohne Tom und Jerry geht Paolo Ferr nirgendwo hin. Die beiden Westhighlandterrier begleiten ihn sogar zur Arbeit. Und neben einem beruflichem Termin und dem nächsten führt er sie im Park Gassi. I miei bambini, meine Kinder, nennt er die Hunde. Echte Kinder sind für Paolo kein Thema, jedenfalls nicht unter den derzeitigen gesetzlichen Umständen. Der freundliche Mann mit den wachen blauen Augen hat keine Frau, sondern einen Mann zum Partner, und homosexuelle Paare dürfen in Italien weder Kinder adoptieren noch heiraten - noch können sie eine rechtlich anerkannte Lebensgemeinschaft bilden.

    "Italiens Problem ist, dass es unter der Fuchtel des Vatikans steht. Und der Papst warnt gerade in der letzten Zeit wiederholt davor, homosexuellen Paaren irgendwelche Rechte zuzugestehen, weil das zu einem moralischen Chaos führen würde. Im Ausland kann man darüber hinwegsehen, in Italien nicht. Der Papst ist hier eine Art zweiter Ministerpräsident, der sich ständig einmischt und dem alle Gehör schenken."

    Für besondere Empörung in der Schwulenbewegung sorgte ein Satz des Bischofs von Lecco, bekannt als ein sehr konservativer Kleriker. Auf die Frage, warum man es homosexuellen Paaren nicht ermöglichen sollte, einen eheähnlichen Vertrag zu machen, antwortete er, dann könne man ja auch Menschen mit Pferden oder Schafen verheiraten.

    Paolo Ferr: "In der Verfassung steht, dass die italienische Gesellschaft auf der Familie aufbaut, die sich wiederum auf die Institution der Ehe stützt. Folglich ist alles um diese Institution herum aufgebaut. Ein eheähnlicher Vertrag, wie wir ihn fordern, gewährt dagegen nur zirka zehn Rechte, die vor allem den Besitz und das Erbe betreffen. Natürlich ist er auch ein erster Schritt zur gesellschaftlichen Anerkennung von homosexuellen Paaren."

    Aber vor der fürchtet sich nicht nur die katholische Kirche und die italienische Rechte, sondern auch Zentrumsvertreter des neu gewählten Mitte-Links-Bündnisses um Romano Prodi. Über die Frage, ob man die rechtliche Anerkennung von nicht verheirateten Paaren ins Wahlprogramm aufnehmen soll, zerbrach beinahe die mühsam zusammengeführte Koalition. Das Thema verschwand in der Schublade, trotz einer großen öffentlichen Demonstration in Rom, bei der Zehntausende sich das Wort PACS auf die Fahnen geschrieben hatten. Pacs ist die Abkürzung von "Patto di solidarietà civile" und meint einen zivilrechtlichen Vertrag als Lebensgemeinschaft. Inzwischen ist das Interesse an dem Thema erlahmt, auch innerhalb der Schwulen-Community.

    Paolo Ferr: "Das ungeschriebene Gesetz besagt: Mach was du willst, aber zeig es nicht öffentlich. So ist das in Italien. Du kannst leben, wie du willst, solange du nicht für einen öffentlichen Skandal sorgst. Und das ist ein Problem der Schwulenbewegung. Viele von uns leben gut, haben ihre Wohnung, ihren Partner, ihre Arbeit, warum sollten sie öffentlich auf die Barrikaden gehen?"

    Trotzdem gibt es in Italien regionale Unterschiede in der Akzeptanz von Homosexuellen. Der Neapolitaner Guido Palla verschweigt seine Homosexualität, weil er fürchtet, von der Familie und den Arbeitskollegen verspottet zu werden.

    "In Neapel sind Schwule nicht besonders gern gesehen. Hier in Mailand sehe ich viel öfter zwei Männer miteinander. Die Toleranz ist größer. Viele Schwule ziehen deswegen nach Mailand."

    Und doch hat es in Süditalien ein bekennender Homosexueller geschafft, ins Amt des Regionspräsidenten von Apulien gewählt zu werden. Nichi Vendola symbolisiert den Umbruch in der italienischen Gesellschaft. Er vollzieht sich aber langsamer als in anderen europäischen Ländern. La famiglia, die Familie in ihrer traditionellen Form, hat für viele Italiener, auch die jungen, einen unantastbaren Wert. Sabina, 23 Jahre alt, spricht aus, was viele denken:

    "Mit einem Vertrag wie dem Pacs bin ich einverstanden, aber die Heirat sollte man Homosexuellen nicht erlauben. Und erst recht nicht die Adoption von Kindern. Das ist doch gegen die Natur."

    Bei der Kinderfrage ist die Antwort der meisten eindeutig: nein. Das italienische Recht trägt dieser Mehrheitsmeinung Rechnung, indem es lesbischen Frauen eine künstliche Befruchtung ausdrücklich verbietet.