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Keine Männerfreundschaft

Gottfried Benn und Ernst Jünger waren bedeutende Größen des deutschen literarischen Lebens. Beide hegten für eine Weile starke Sympathien für den Nationalsozialismus. So viele Gemeinsamkeiten sollten für eine Männerfreundschaft eigentlich reichen, doch Jünger bemühte sich vergeblich um Benns ernsthafte Zuwendung. Zum ersten Mal ist der Briefwechsel der beiden Dichter aus den Jahren 1949 bis 1956 nachzulesen.

Von Angela Gutzeit |
    "Basel, 17.1.52
    Lieber Herr Benn, Wie ich durch hiesige Freunde höre, sind Sie demnächst in Basel zu erwarten. Da ich etwa vier Wochen hier bleiben werde, hoffe ich, bei dieser Gelegenheit Ihre Bekanntschaft machen zu können. Sollten Sie später kommen, bitte ich Sie, den Weg über Wilflingen zu nehmen. Meine Baseler Adresse steht auf der Rückseite.
    Mit herzlichem Gruß
    Ihr Ernst Jünger"

    Es hat wenig genützt - das intensive Werben Ernst Jüngers um den neun Jahre älteren Gottfried Benn. Da kamen Einladungen, aber der in Berlin beheimatete Dichter und Mediziner Benn wählte während seiner gelegentlichen Reisen gekonnt den Umweg und in seinen Antwortbriefen geschickt die rhetorischen Leerformeln.

    "16.III.52
    Lieber Herr Jünger, vielen Dank für Ihre Karte aus Basel. Leider konnte ich nicht kommen, da diese Reise gekoppelt war - finanziell - an eine Konferenz in Genf, wo eine Tagung der Internationalen Jury für die Verteilung des Europäischen Literatur-Preises 1953 stattfinden sollte, aber im letzten Augenblick abgesagt wurde."

    Oder im März 1954. Da heißt es in einem Benn-Brief an Jünger:

    "Ich war jetzt in Ihrer Nähe, fand aber auf den Karten nur ein Riedlingen, das an der Donau liegt, ist das Ihr Riedlingen? Anscheinend ein größerer Ort, mir ist die Gegend völlig fremd, und ich konnte Sie nicht lokalisieren."

    Das ist eher unwahrscheinlich. Tatsache ist: Gottfried Benn hat die Nähe von Ernst Jünger keineswegs gesucht. Trotzdem haben sie sich sechs Jahre lang, von Ende 1949 bis 1956, also bis zu Benns Tod, ungefähr 50 Briefe, Telegramme, Postkarten und Widmungsexemplare geschickt. Wer sich mit Benn und Jünger niemals beschäftigt hat, das sei gleich vorweg gesagt, der wird mit diesem Buch nicht glücklich. Und zwar aus zwei Gründen. Zum einen: Der Briefwechsel ist das Dokument einer konsequenten Verweigerung eines intellektuellen Austausches - wenigstens von Benns Seite aus. Zweitens: Holger Hof, der unter anderem auch Herausgeber zweier Bände der Stuttgarter Werkausgabe Benns ist, hat zwar im Anhang des Buches reichlich aufklärende Informationen zu den Briefinhalten geliefert, aber in seinem Nachwort schreibt er unter anderem einen Satz, der in seiner Konsequenz dieser Publikation nicht gut bekommt.:

    "Das Leben und das literarische Wirken der zum Antidemokratischen neigenden Zeitgenossen Benn und Jünger lädt zu allerhand politisch-weltanschaulichen, zu poetologischen, aber auch zu biografischen Vergleichen ein, denen jedoch an dieser Stelle ausführlich nicht weiter nachgegangen werden soll."

    Wahrscheinlich aber kann anders die Frage nicht beantwortet werden, warum diese beiden radikalen Autoren, angesiedelt am konservativ-kulturpessimistischen Rand der literarischen Moderne des 20. Jahrhunderts, nicht ins Gespräch kamen, obwohl sie sich schrieben.

    Aber zunächst einmal - was teilten sie sich eigentlich mit - abgesehen von den "Guten Wünschen zum Geburtstag", der "Empfehlung an die verehrte Gattin" oder dem Dank für die Zusendung eines Gedichts oder der jüngsten Veröffentlichung?
    Dem Briefwechsel vorangestellt ist ein Schreiben von Armin Mohler vom Dezember 1949 an Gottfried Benn. Der Schweizer Schriftsteller und Journalist war bis 1953 Jüngers Sekretär und schreibt offensichtlich im Auftrage Jüngers, aber auch aus eigenem Interesse. Er erwähnt, dass Jünger schon einmal in den 20er Jahren versucht habe, Kontakt aufzunehmen, sein Brief aber nicht beantwortet worden sei. Dann sucht Mohler den Ansatzpunkt, indem er seine und Jüngers Bewunderung ausspricht für Benns frühe Gedichte und Prosa - und im gleichen Atemzug gesteht, dass er mit Benns aktuellem lyrischen Schaffen, gemeint sind damit die "Statischen Gedichte", nicht viel anfangen könne - eine Sichtweise, die auch Jünger teilt, wie später noch der eine oder andere Brief zum Ausdruck bringt. Zu vermuten ist, dass Ernst Jünger, der mit Benn die geistige Herkunft über Nietzsche, den Ekel vor der Moderne und den Geschichtspessimismus teilt, die Radikalität in seiner Abwendung von Geschichte und politischer Macht und seine Verabsolutierung des Kunstwerks als einzig verbliebene metaphysische Tätigkeit in einer nichtig gewordenen Welt, dass er dieser Bennschen Unbedingtheit und Gradlinigkeit nicht folgen konnte oder wollte.

    Zurück zum Briefwechsel: Kurz nach der Kontaktaufnahme Jüngers mit Benn, also noch im Dezember 1949, widmet Benn seinem Geistesverwandten, mit dem er aber tunlichst nicht zusammengespannt werden will, ein bezeichnendes Gedicht.

    "Herrn Ernst Jünger: Wir sind von außen oft verbunden ,wir sind von innen meist getrennt, doch teilen wir den Strom, die Stunden, den Ecce-Zug, den Wahn, die Wunden Dess', das sich das Jahrhundert nennt. mit ergebenstem Gruß Gottfried Benn"

    Kaum etwas ärgert Benn offensichtlich so sehr, wie mit Ernst Jünger in einem Atemzug genannt zu werden. Dahinter steckt Konkurrenzdenken, Eitelkeit, aber auch die Haltung des Überlegenen, des 1951 mit dem Büchner-Preis Geehrten, der überzeugt ist, dass der, der da um ihn wirbt, nicht in der gleichen Liga spielt. Holger Hof zitiert im Anhang Benns wenig schmeichelhafte Äußerungen zu Jünger gegenüber Dritten.

    "Mir ist nämlich E. Jünger kein ganz klares Problem, ich finde bei ihm enorm viel inneren Kitsch, und was er als 'Angriff' gesehn haben möchte, ist mehr Vorwölbung und Blähung bei ihm als Front."

    "... Katastrophal! Weichlich, eingebildet, wichtigtuerisch und stillos. Sprachlich unsicher, charakterlich unbedeutend. Manchmal nahe an Erkenntnissen, manchmal vor gewissen Tiefen stehend, aber nirgends Durchbruch, Haltung, Flammen."

    Klare Worte. Trotzdem hat Benn den Jüngeren aufmerksam beobachtet, seine Briefe und Karten prompt und mit einer gewissen routinehaften Freundlichkeit beantwortet. Nur ließ er sich auf nichts ein. Als der mit Drogenräuschen erfahrene Jünger Benns Essay "Provoziertes Leben" zum Anlass nimmt, den Dichter zu ärztlich beaufsichtigten Sitzungen mit Drogenkonsum einzuladen, antwortet Benn, dass er "außer Cafe und Cigaretten " keine "Stimulantien" brauche. Auch will sich Benn in der Nachkriegszeit in keine aktuellen Debatten über Exil, Innere Emigration, Unterstützung für das NS-Regime einlassen. Seine Abwendung vom Zeitgeschehen korrespondiert da durchaus mit seiner poetologischen Radikalisierung.

    "Hetzkampagnen", auf die Jünger anspricht, beantwortet Benn mit einem Selbstzitat:

    "Vor längerer Zeit schrieb ich einem Journalisten (...): Über mich können Sie schreiben, dass ich Kommandant von Dachau war oder mit Stubenfliegen Geschlechtsverkehr ausübe, von mir werden Sie keine Entgegnung vernehmen. Das ist auch heute unverändert mein Standpunkt in diesen Fragen."

    Der Verdacht liegt nahe: Auch oder gerade mit einem Schriftstellerkollegen, der ebenfalls der nationalsozialistischen Ideologie einmal sehr nahe stand, sich aber übrigens früher wieder davon distanzierte, will Benn keine Debatten führen. Seinen Standpunkt hat er gefunden und irgendeine Form von "Kumpanei" ist ihm sowieso zuwider. Bleibt zu sagen, dass es Ernst Jünger doch noch geschafft hat, den bewunderten Dichter in seinem Domizil, der Bozener Straße in Berlin, persönlich kennen zu lernen. Benn lud ihn 1952 mit seiner Frau zu einem Abendessen ein. Und diesem Treffen verdanken wir ironischerweise eines der schönsten Kurzporträts, die es über Gottfried Benn und sein Lebensmilieu überhaupt gibt. Zu Recht hat Holger Hof diese Passage aus Jüngers Text "Annäherungen" abschließend in den Briefband aufgenommen. Ein kleiner Auszug:

    "Die Lider des Dichters öffneten sich über den gewölbten Augen in weichem Schwung der Tauben- oder auch der Eulenfittiche. Das war der Blick des Träumers, der starke Neigungen entfalten und Zuneigung erwecken konnte und der auch leidensfähig war. Zum Leiden musste man ja fähig sein..."

    Dieser Briefband bietet viel, wenn man ihn denn zu lesen versteht. Ein wenig mehr Hilfestellung bei der geistesgeschichtlichen und ästhetischen Einordnung der beiden Schriftsteller wäre allerdings dieser bemerkenswerten Veröffentlichung angemessen gewesen.

    Gottfried Benn/Ernst Jünger: Briefwechsel 1949 – 1956
    Verlag Klett Cotta, Stuttgart, 2006
    156 Seiten
    14,50 Euro