Dirk Müller: Frau Müller, wenn ich das richtig verstanden habe, gibt es eine Differenzierung zwischen Beteiligung und Unterstützung. Worin liegt denn der Unterschied?
Kerstin Müller: Da gibt es keinen Unterschied. Wir werden uns an einer möglichen militärischen Maßnahme im Irak nicht beteiligen. Da ist unsere Position klar. Wir arbeiten daran, setzen uns nach wie vor dafür ein, dass es überhaupt nicht zu einer solchen militärischen Intervention kommt. Dies wird ja sehr stark davon abhängen, was die Waffeninspekteure im Irak vorfinden und ob Saddam Hussein wirklich eng auch kooperiert. Und darum sollten wir uns in diesen Tagen sozusagen kümmern und Sorgen machen, dass hier es auch wirklich zu einer friedlichen Lösung des Irakkonfliktes kommt.
Dirk Müller: Frau Müller, bleiben wir beim möglichen militärischen Szenario. Inwieweit ist eine logistische Unterstützung, oder nennen wir es noch etwas friedlicher eine logistische Gewährung amerikanischer Ansprüche an die Bundesregierung, keine Beteiligung?
Kerstin Müller: Es gibt eine Anfrage der USA, die wird sorgfältig geprüft, allerdings auf der Grundlage unserer Position einer deutschen Nichtbeteiligung an einer möglichen militärischen Aktion. Und natürlich werden wir dabei unsere Bündnisverpflichtungen und sonstige rechtliche Bindungen berücksichtigen, das ist völlig klar. Aber es bleibt dabei: Klare Grundlage, auch der Prüfung dieser Anfrage, ist unsere Position 'Keine Beteiligung'.
Dirk Müller: Keine Beteiligung. Warum müssen Sie dann prüfen?
Kerstin Müller: Entschuldigen Sie, wenn die USA anfragen, etwa was Überflugrechte oder sonstiges betrifft, dann müssen wir das ja nun auch prüfen. Aber bei diesen Dingen geht es eben nicht um eine militärische Beteiligung, sondern es geht darum, ob wir im Rahmen unserer Bündnisverpflichtungen und sonstiger Verträge ja den amerikanischen Partnern dies natürlich nicht verweigern können, aber ich werde da zum jetzigen Zeitpunkt nicht drüber spekulieren, weil ich alles, was da im Moment spekuliert wird, für ziemlich unverantwortlich halte, und es entbehrt auch jeder Grundlage. Es gibt eine klare Position des Außenministers und des Bundeskanzlers, und die wird durch solche Spekulationen vereinzelter Abgeordneter nur in Zweifel gezogen.
Dirk Müller: Deswegen wollen wir von Ihnen ja Konkreteres erfahren, Frau Müller. Ich muss da noch einmal nachfragen: Es geht ja um den politischen Willen 'Keine Beteiligung', also inwieweit ist dann eine logistische Unterstützung Teil dieses politischen Willens? Oder stehen die Bündnisverpflichtungen konträr zum politischen Willen?
Kerstin Müller: Nein, die können nicht konträr stehen, sondern dies wäre sozusagen etwas anderes. Dennoch, ich werde mich an solchen Spekulationen nicht beteiligen, denn wir wollen ja, dass es nicht zu einer militärischen Intervention kommt. Und Detailfragen sollte man dann beantworten, wenn sie sich stellen und nicht vorher. Jetzt gibt es eine UN-Resolution, die einstimmig verabschiedet wurde und die darauf zielt, dass die Waffeninspekteure hier zu einer Abrüstung des Irak kommen. Der Irak hat jetzt die einmalige Chance, die Probleme friedlich zu lösen und für Frieden und Stabilität in der Region zu sorgen, und wir können nur hoffen, dass er diese Chance wahrnimmt und darauf an Saddam Hussein appellieren. Das ist jetzt das Zeichen der Stunde und nicht, darüber zu spekulieren, was im Falle einer möglichen Intervention geschieht, die wir ja verhindern wollen.
Dirk Müller: Nun macht sich die Bundesregierung, auch das Auswärtige Amt, natürlich auch Gedanken, wie es aussehen könnte in Zukunft. Immerhin, die amerikanische Anfrage steht ja nun auch schon auf dem Papier. Aber wie sieht die Situation beispielsweise für die deutschen Spürpanzer in Kuwait aus?
Kerstin Müller: Aber auch dies ist ziemlich klar. Die Spürpanzer sind dort für Opfer terroristischer, möglicher terroristischer Anschläge im Rahmen von 'Enduring Freedom'. Das heißt ganz klar: Ein Einsatz ist verfassungsrechtlich an Enduring Freedom gebunden. Und ein Einsatz im Rahmen einer möglichen militärischen Auseinandersetzung im Irak, die wir ja hoffentlich vermeiden können, ist davon nicht abgedeckt.
Dirk Müller: Das heißt, Frau Müller, Raketen von Bagdad auf Kuwait sind keine terroristischen Akte?
Kerstin Müller: Richtig. Da würde es ja um eine völlig neue Auseinandersetzung gehen. Unsere Position ist ja die – und das wird ja auch von den Amerikanern und anderen nicht bestritten -: Es gibt in den Irak keine Verbindung zur El Kaida, El Kaida als Verantwortliche für den Anschlag des 11. Septembers auf das World Trade Center. Insofern wäre dies eine völlig neue Auseinandersetzung und von der Mandatierung des Deutschen Bundestages verfassungsrechtlich nicht gedeckt. Und insofern finde ich auch hier an dieser Stelle Spekulationen einzelner Abgeordneter völlig unverantwortlich.
Dirk Müller: Raketen von Bagdad nach Tel Aviv sind auch keine terroristischen Akte?
Kerstin Müller: Auch dies wäre eine völlig neue Situation und nicht von dem Mandat gedeckt, das der Deutsche Bundestag gegeben hat, sondern auch dann müsste der Deutsche Bundestag neu beraten. Und die Bundesregierung gedenkt nicht, sich in irgend einer Form außerhalb dieses verfassungsrechtlich gebundenen Mandates zu bewegen.
Dirk Müller: Die Grüne Kerstin Müller war das, Staatsministerin im Auswärtigen Amt. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.
Kerstin Müller: Auf Wiederhören.
Dirk Müller: Mitgehört auf der anderen Leitung hat der hessische SPD-Chef Gerhard Bökel. Guten Morgen.
Bökel: Guten Morgen, Herr Müller.
Müller: Herr Bökel, Sie haben in den vergangenen Tagen heftigen Unmut geäußert gegenüber der Haltung, gegenüber der Politik der Bundesregierung. Wie stehen Sie denn jetzt zum Thema Irak?
Bökel: Also, für mich ist die Sache eigentlich relativ klar. Und ich muss mich auch nicht diplomatisch äußern, wie das sicherlich Frau Müller tun muss. Der Bundeskanzler und die Bundesregierung hat vor der Wahl sehr klar gesagt: Keine Soldaten in den Irak. So. Dabei muss es bleiben, und nach all dem, was ich vom Kanzler erfahren habe in den internen Sitzungen, wird es dabei bleiben. Der zweite Punkt ist der, bei den Spürpanzern kann es nur so sein, wie es Frau Müller eben geschildert hat. Da gibt es keine Legitimation, mehr zu tun, als durch den Bundestag bisher beschlossen worden ist. Und das dritte ist: Wenn es vertragliche Bindungen gibt – und die gibt es, was Überflugrechte betrifft bei uns hier – ist dieses nie ausgeschlossen worden vor der Bundestagswahl. Insoweit sind die Fronten für mich relativ klar.
Müller: Also Sie sagen auch, eine logistische Unterstützung ist keine militärische Beteiligung?
Bökel: Wenn Sie – und das will ich gar nicht kritisch bewerten – sagen, Überflugrechte, die durch vertragliche Bindung gegeben sind, sind eine logistische Unterstützung, dann ist das so. Aber keine Soldaten in den Irak. Ich will das nochmal sagen: Keine deutschen Soldaten.
Müller: Also, 'Keine Soldaten in den Irak' ist ein Satz, den der Kanzler formuliert hat. Er hat aber auch pauschal eben gesagt: 'Keine Beteiligung an militärischen Aktionen'.
Bökel: Nein, also jetzt will ich wirklich nochmal klarstellen: Die vielen Auftritte, die ich mit Gerhard Schröder im Bundestagswahlkampf gemeinsam, auch in Hessen, hatte, wenn damals differenziert diskutiert worden ist, auch in den Medien, war völlig klar, dass der Satz 'Keine Soldaten in den Irak' natürlich nicht bedeutet, dass die Bundesrepublik Deutschland vertragliche Bindungen innerhalb der NATO, was die deutsche Situation hier betrifft, in irgend einer Weise in frage stellt.
Müller: Die Sozialdemokraten wie auch die Grünen - aber Sie sind Sozialdemokrat, deswegen wollen wir uns auf die SPD konzentrieren, Herr Bökel – die haben ja immer gesagt: Vorne voran die Vereinten Nationen. Das heißt, die Vereinten Nationen setzen sozusagen das internationale Recht, was dort beschlossen wird, wird von uns dann auch dementsprechend umgesetzt. Warum stellen Sie sich in der möglichen Konsequenz gegen Beschlüsse der Vereinten Nationen?
Bökel: Weil wir sehr klar sagen: Wir können auch Mitglied sein oder mitwirken – jetzt ab Februar wird das ja eine besondere Bedeutung haben – in den Vereinten Nationen. Aber es war immer klar: Keine Soldaten in den Irak. Und ich denke, wir als Bundesregierung, der ich nicht angehöre – naturgemäß, aber die Bundesrepublik Deutschland hat das Recht, dieses nicht nur zu formulieren, sondern es auch zu tun. Ich denke, die Partner haben es auch verstanden. Wir müssen klar sagen: Es geht ja insbesondere um das Verhältnis zu den Vereinigten Staaten. Natürlich wollen wir Freunde und Partner der Vereinigten Staaten bleiben . . .
Müller: . . . das wird jetzt noch schwieriger . . .
Bökel: . . . aber wir sind keine Befehlsempfänger des George W. Bush, das muss klar sein.
Müller: Auch nicht des Weltsicherheitsrates?
Bökel: Auch dort sind wir keine Befehlsempfänger, das ist richtig.
Müller: Nach Februar, Herr Bökel, ist Deutschland Vorsitzender des Weltsicherheitsrates. Dann könnte es sein, dass Deutschland die einzige Nation im Weltsicherheitsrat ist, die sich nicht an einer möglichen militärischen Intervention beteiligt. Untergräbt das nicht die Autorität der UN?
Bökel: Nein, das glaube ich nicht. Und ich sage nochmal: Ich spüre ja, was dahintersteckt im Februar. Es wird auch nach den beiden Landtagswahlen keine andere Haltung der Deutschen Bundesregierung geben können.
Müller: Wieviel Gegenwind aus Berlin – jetzt klammern wir den Irak einmal aus – können Sie denn noch vertragen, um optimistisch in diesen Wahlkampf zu gehen?
Bökel: Also, wenn Sie von Gegenwind reden, will ich Ihnen sagen: Was den Irak betrifft, spüren wir deutlichen Rückenwind, weil bei dieser Thematisierung auch bei unserem Landtagswahlkampf – und der amtierende Ministerpräsident Roland Koch will den Irak in den Landtagswahlkampf mit einbeziehen – kann ich nur sagen, haben wir Rückenwind. Aber klar ist, alles das, was jetzt mit der Umsetzung der Koalitionsverhandlungen zusammenhängt, hat natürlich nicht gerade für Rückenwind gesorgt. Es war auch ein bisschen Gegenwind, gar keine Frage. Aber ich gehe jetzt davon aus, dass der Bundeskanzler und Parteivorsitzende dafür sorgt, dass in den nächsten Tagen, also deutlich noch vor Weihnachten, alles das, was politisch verabredet worden ist, in der Koalitionsvereinbarung jetzt auch in Gesetzesform oder in feste Vereinbarungen gegossen wird, so dass wir allen Bürgerinnen und Bürgern sagen können: So wird Politik in den nächsten vier Jahren gemacht. Und dann denke ich, ist das eine gute Grundlage für die letzten Wochen vor der Landtagswahl.
Müller: Sie haben, Herr Bökel, das Wort 'Ziellosigkeit' mit Blick auf die Politik von Rot-Grün in Berlin in die Debatte geführt. Wie erklären Sie sich diese Ziellosigkeit?
Bökel: Ja, das hängt natürlich auch damit zusammen, dass wir uns alle selbst unter Druck gesetzt haben, was die Umsetzung betrifft. Die setzt zwar derjenige, der gesagt hat: Alles muss vorher auf den Tisch. Wir dürfen gar nicht erst den Eindruck erwecken, dass es nach dem 2. Februar, also den Wahlen in Niedersachsen und in Hessen, noch irgendwelche Grundsatzentscheidungen gibt, die zu Lasten der Bürger gehen. Und insoweit war natürlich auch ein Zeitdruck da. Was ich bemängle, ist, dass die Zielrichtungen wirklich nicht bei den Verhandlungen deutlich geworden sind, zum Beispiel bei der Steuerpolitik. Dass wir die Arbeit weiter entlasten bei der Besteuerung, das ist ja nun mal beschlossen in den nächsten Stufen, dass wir an das Vermögen rangehen wollten, oder dass die Lebensrisiken Alter und Gesundheit nicht privatisiert werden dürfen – also, das sind ja auch wirklich sozialdemokratische Prinzipien, und die sind zu wenig rübergekommen.
Müller: Und Peter Hartz sagt jetzt – der hat da monatelang sich engagiert und gearbeitet für sein Reformkonzept in der Hartz-Kommission: Die Regierung hat es nicht konsequent umgesetzt. Hat er recht?
Bökel: Ja, das verstehe ich gut, dass Herr Hartz, der ja nun wirklich viel Arbeit da reingesteckt hat, jetzt enttäuscht ist, dass das noch nicht alles sofort umgesetzt ist. Aber real ist doch auch: Es sind nur einige wichtige Punkte bisher vom Gesetzgeber auf den Weg gebracht worden. Ich bin überzeugt, wenn wir das zu einem Gesamtwerk zusammenbringen, dass es dann wirklich den Arbeitsmarkt deutlich verbessert, dass wir die vielen offenen Stellen, die ja auch die Wirtschaft immer wieder darstellt, dann auch besetzen können durch Qualifizierung, und insbesondere – das will ich aber auch hinzufügen – darf es keine Blockade im Bundesrat geben. Und deshalb kämpfe ich ja auch so, nicht nur für den Regierungswechsel in Wiesbaden, sondern auch für eine sozialdemokratische Mehrheit im Bundesrat. Denn diese Stoibers und Kochs, die haben im Moment wirklich kein Interesse, das Land nach vorne zu bringen. Ich habe eher den Eindruck, dass sie gemeinsam mit einigen Verbandsfunktionären mit Genuss sehen, wie es möglicherweise wirtschaftlich bergab geht, und das werden wir nicht zulassen. Ich glaube, die ersten Schritte bei Hartz sind richtig, und die anderen werden folgen.
Müller: Der hessische SPD-Landeschef Gerhard Bökel war das. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.
Bökel: Auf Wiederhören.
