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Keine Schwächen zeigen

Vor einem halben Jahr beging der Torwart Robert Enke Selbstmord. Damals glaubte man Anzeichen dafür zu erkennen, dass Depression nicht länger ein Tabu-Thema unter Fußballprofis ist. Aber der Fußball ist schnelllebig.

Von Klaus Deuse | 22.05.2010
    Robert Enke war lange vor der WM die gesetzte Nummer eins im Tor der Nationalmannschaft. Sein Selbstmord vor einem halben Jahr löste Betroffenheit aus. Daran, dass im bezahlten Fußball ein enormer Erfolgsdruck auf den Spielern lastet, besteht kein Zweifel. Doch nicht jeder Profi ist dieser Belastung gewachsen. Schon vor Robert Enkes Tod, bestätigt Ulf Baranowsky, der Geschäftsführer der Vereinigung der Vertragsfußballspieler (VdV), bestand ein beachtlicher Beratungsbedarf.

    "Wir als VdV bieten ja auch schon seit vielen Jahren über Partner psychologische und seelsorgerische Betreuung an. Direkt im Zusammenhang mit dem tragischen Tod von Robert Enke ist die Zahl der Anfragen natürlich in die Höhe geschossen."

    Wer in den Stadien und vor den Fernsehkameras quasi unter ständiger öffentlicher Beobachtung steht, darf keine Schwächen zeigen. Schon gar keine seelischen, denn in der Ballbranche lautet die Devise: Auf dem Platz stehen nur ganze Kerle. Darum haben sich nach dem Tod von Robert Enke mehr als zwei Dutzend Kicker ratsuchend nicht an ihre Vereine, sondern an die Spielergewerkschaft gewandt. Ulf Baranowsky:

    "Ich denke mal, wenn man das Ganze hochrechnet, kann man sagen, dass zehn Prozent der Spieler sicherlich Hilfsbedarf anmeldet und auch Hilfe in Anspruch nimmt."

    Eine Zahl, die der im Liga-Geschäft erfahrene Diplom-Psychologe Stephan Graw in Relation zur Gesamtgesellschaft nicht für nicht zu hoch gegriffen hält.

    "Da gibt es eben im Bereich Depressionen Schätzungen, die teilweise sogar bis zu 20 Prozent gehen. Insofern ist es keine überraschende Zahl."

    Für Stephan Graw, der unter anderem Spieler des VfL Bochum betreut hat, steht außer Frage, dass der ehemalige Nationaltorwart Robert Enke kein Einzelfall war. Auch wenn die Spieler nach Außen funktionieren, sprich Höchstleistungen auf dem Platz erbringen, kann die Psyche aus dem Gleichgewicht geraten sein.

    "Dem würd ich nicht widersprechen, weil das ist Teil des Geschäfts, Teil einer Karriere. Und gelernt zu haben, bestimmte innere Vorgänge nach außen hin doch so gut abzuschirmen, dass man sich nicht in die Karten schauen lässt Nach außen hin ne bestimmte Fassade eben halt auch aufbaut und da wird man eben auch geschult darin, sozusagen durch das System. Also insofern kann ich mir gut vorstellen, dass so einige da rumlaufen. Beziehungsweise, ich hab's ja auch erlebt. Die dann doch zu mir kommen und sagen, eigentlich sieht's in mir anders aus. Lass uns bitte mal dran arbeiten."

    Spielern, die in ihrer isolierten Situation weder ein noch aus wissen, bietet die Fußballergewerkschaft darum verschiedene Möglichkeiten der Kontaktaufnahme an. Wobei Anonymität und Diskretion an oberster Stelle stehen.

    "Es gibt einmal eine telefonische Beratung, ferner auch eine Beratung per E-Mail, anonym. Und auch eine Vor-Ort-Beratung."

    Ob es sich, in Anführungszeichen, nur um temporäre seelische Schwankungen handelt, oder ob der Ratsuchende bereits eindeutige Anzeichen einer Depression erkennen lässt, das zu beurteilen bleibt den Experten vorbehalten. Angesprochen, so Ulf Baranowsky, werden…

    "Leistungsblockaden, Versagensängste, allgemeine Stimmungstiefs, Probleme mit Trainern, mit dem Umfeld, Mobbing. Alles das, was die Seele bedrückt."

    Und nicht selten, merkt Psychologe Stephan Graw an, fehlt es im Umfeld an Verständnis und Unterstützung für seelisch aus dem Gleichgewicht geratene Kicker.

    "Ich kann mir gut vorstellen, dass es so manche Trainer gibt und auch so manche Mannschaftskollegen, die so was eher ablehnen und sagen: ja gut, dann hat er hier halt nichts zu suchen."

    Aus diversen Kontakten weiß VdV-Geschäftsführer Baranowsky, dass sich viele Profikicker darum einen raschen Ausbau des anonymen Beratungsangebotes wünschen…

    "…weil viele natürlich Vorbehalte haben, sich zu öffnen. Weil sie Angst vor Nachteilen haben."

    Daran hat sich nach auch nach dem Tod von Robert Enke im millionenschweren Unterhaltungsgeschäft Fußball bislang scheinbar wenig geändert. Insofern stellt Sportpsychologe Graw nüchtern fest:

    "Dass sich jemand outet, das würd mich überraschen!"