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Keine sichere Bank

Der Westen wird bis zum Jahr 2014 seine Truppen aus Afghanistan abziehen, aber weiterhin Geld und Berater schicken. Es bleibt fraglich, wovon das geschundene Land künftig leben wird. Laut Bergbauminister Shahrani soll der afghanische Boden große Rohstoffvorkommen bereithalten.

Von Sabina Matthay | 10.12.2011
    Die Restaurants entlang der Hauptstraße von Hairaton brummen: Vor allem Lastwagenfahrer kehren hier ein. Sie bringen Fracht über die usbekische Grenze nach Afghanistan oder nehmen Güter von der Schiene auf.

    Von 200 bis 300 Kunden täglich berichtet dieser Kebab-Bräter, während er die Glut in seinem Kohlebecken anfacht.

    Hairaton floriert, seit die Internationale Schutztruppe ISAF immer mehr Nachschub über Zentralasien transportieren lässt. Letztes Jahr hat der Zoll hier rund 200 Millionen Dollar nach Kabul überwiesen, sagt der Chef der Stadtverwaltung von Hairatan.

    Rund eintausend Lkws überqueren täglich den Grenzübergang bei Hairatan, schätzt Qasi Najibullah.

    Rund 70 Prozent der afghanischen Treibstoffimporte werden nach seinen Angaben hier abgewickelt, Dutzende Gas- und Öltanks zeugen davon.

    Auf dem Rückweg sind die Laster jedoch meist leer – dabei lagern große Rohstoffvorkommen in Afghanistan. Sie warten auf Erschließung.

    Mitten in der Steppe von Jawsjan ein surrealer Anblick: Ein rostiger Bohrarm ragt aus der kargen Ebene, montiert auf einen alten Laster, betrieben von einer Handvoll Techniker.

    Mit dem Gas, das hier gefördert wird, verdient der Staat jeden Tag 385.000 Afghani, erzählt Bohrmeister Ramazan stolz. Das sind nicht mal 6000 Euro.

    Es könnte deutlich mehr werden, denn in Afghanistan werden große Kohle-, Öl- und Gasvorkommen vermutet. 500 Lagerstätten soll es geben.

    Ein bis drei Billionen Dollar seien Afghanistans Bodenschätze wert, verkündete Bergbauminister Shahrani letztes Jahr und bestätigte damit Jubelmeldungen amerikanischer Medien.

    Fachleute lasen die Berichte mit Erstaunen: Bis heute gibt es keine seriösen Erkundungsdaten, sind die wenigsten Lagerstätten untersucht und bewertet.

    Der Deutsche Joe Seegers, der den Afghanischen Geologischen Dienst berät, empfielt deshalb Zurückhaltung:

    "Wir schlagen dem Ministerium vor, eine vorsichtigere Schätzung anzugehen."

    Zwar sind nach Seegers’ Einschätzung tatsächlich große Funde zu erwarten, doch müssten enorme Arbeiten vorgenommen werden, sind beträchtliche Investitionen nötig, um diese Vorkommen zu bestätigen und auszubeuten.

    Sali Mohammad Fazli, der Regionalchef des staatlichen Energieversorgers Afghan Gas in Jawsjan, führt durch eine verlassene Gasaufbereitungsanlage; es sind Bauten der Sowjets, die die Erschließung der Rohstoffvorkommen im Norden des Landes während der Besatzung in den 80er-Jahren in großem Stil vorantrieben. Gasexporte in die UDSSR brachten damals Geld nach Afghanistan.

    Die vier Gasfelder, die hier in Jawsjan vor 40 Jahren entdeckt wurden, gehen zur Neige, befürchtet Fazli. Wir haben neue Felder ausgemacht.

    Doch mangelt es den Afghanen an moderner Technologie und vor allem an Kapital, um die Rohstoffe auszubeuten und die nötige Infrastruktur aufzubauen.

    Deshalb will die afghanische Regierung die neu entdeckten Gasfelder nun zur Erschließung durch internationale Unternehmen ausschreiben.

    In Jawsjan erhofft man sich davon Licht und Wärme rund um die Uhr. Die Privatisierung des staatlichen Energieversorgers soll aber auch Arbeitsplätze und Wohlstand bringen.

    Noch einmal Mohammed Fazli von Afghan Gas: Wer hier investieren will, der ist auf Fachleute angewiesen. Also auf qualifizierte Ingenieure wie mich, sagt der 50-Jährige.

    Als Regionalchef des staatlichen Unternehmens verdient er 500 Dollar, der Wechsel in die Privatwirtschaft könnte ihm leicht 10.000 Dollar im Monat einbringen, glaubt Fazli.

    Der deutsche Mineraloge Joe Seegers warnt jedoch vor überzogenem Optimismus:

    "Öl- und Gasvorkommen liefern an sich weniger Arbeitsplätze als die im Metallbergbau."

    Nazer Rahimi von der Öl- und Gasbehörde verweist auf die Schwierigkeiten des Umfelds: 2009 sollte ein türkisches Unternehmen in Auftrag des amerikanischen Entwicklungsdienstes USAID die Wirtschaftlichkeit eines Gaskraftwerks in Jawsjan untersuchen, erzählt Rahimi. Doch die Analyse wurde nie fertig gestellt. Wegen Schwierigkeiten mit dem afghanischen Zoll und aus Sicherheitsbedenken.

    Aufstand und Kriminalität sind nicht die einzigen Nachteile des Investitionsstandorts Afghanistan: Korruption und Vetternwirtschaft, mangelnde Rechtssicherheit und ein inadäquates Transportnetz kommen hinzu.

    Bergbauminister Shahrani bemüht sich immer wieder, solche Bedenken zu zerstreuen. Offenbar mit Erfolg.

    Anfang Dezember erhielt ein indisches Konsortium den Zuschlag für die Erkundung des möglicherweise größten afghanischen Kohlefeldes in Hajigak. Bereits 2007 erwarb ein chinesischer Konzern die Abbaurechte für die Kupfermine Mes Aynak nahe Kabul. Gerade hat die afghanische Regierung die Erschließung von weiteren Gold- und Kupferminen ausgeschrieben.

    Doch Gold und Kupfer, Lithium und Kohle, Pottasche und Kies können das Land am Hindukusch erst langfristig reich machen. Falls die Vetternwirtschaft ausgerottet ist und genügend Ingenieure ausgebildet sind. Und falls die konfliktgeplagte Nation sich nach dem Abzug der ISAF selbst verteidigen kann.