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Keine Spur von afrikanischer Folklore

Mit afrikanischer Folklore hatte das, was man bei "africologne" gesehen hat, nichts zu tun. Vielmehr beschäftigen sich die Künstler mit den politischen Problemen ihrer Heimatländer: Revolution, Unterdrückung, Rohstoff-Raubbau, Kindersoldaten. Zurück bleiben tiefe Eindrücke und wenig Hoffnung.

Von Dorothea Marcus | 19.06.2013
    Kindersoldaten in Afrika: Ein Thema für Künstler überall auf dem Kontinent.
    Kindersoldaten in Afrika: Ein Thema für Künstler überall auf dem Kontinent. (picture alliance / dpa / Maxppp Gbekide Barnus)
    Eine afrikanische Großstadt. Straßenchaos. Ein Mann hält ein Auto an. Er braucht Geld, sein Sohn ist krank. Mit dem misstrauisch-herablassenden Lächeln der Reichen kurbelt eine Frau die Scheibe herunter. Klaut er ihre Louis-Vuitton-Handtasche oder nicht? Die einminütige Rotphase der Ampel wird im Stück "Und wenn ich sie alle töten würde, Madame" zu einem einstündigen Bewusstseinsstrom von einem, der nichts zu verlieren hat. Darüber, was es bedeutet, arm oder reich geboren zu sein. Die Frau taucht in der Inszenierung nicht auf. Zwei Schauspieler und zwei Musiker sind die Geister im Kopf des Mannes, sein innerer Kampf wird zu einem wütenden, beeindruckenden Lautgedicht – bis er sich schließlich entscheidet, die Tasche nicht zu klauen. Knallend und spritzend zerschlägt er auf der Bühne eine Bierflasche. Würde ist nur um den Preis von Ohnmacht und Hilflosigkeit der Armut zu haben. Ein Dilemma.

    Autor und Regisseur Aristide Tarnagda aus Burkina Faso gilt als einer der Stars der burkinischen Theaterszene und wird auch in Frankreich gefeiert – das Stück ist auch zum Festival in Avignon 2013 eingeladen. Tarnagda beschreibt den kulturellen Aufbruch in Westafrika:

    "Das Theater in Burkina bewegt sich momentan stark. Früher war es eher ein Theater der sozialen Intervention, um die Menschen für Themen wie Aids oder Verhütung zu sensibilisieren. Immer mehr wird es aber zu einem Autorentheater, das sich künstlerisch mit gesellschaftlichen Themen auseinandersetzt. Seit 13 Jahren entstehen in Burkina Strukturen, um Theater zu schaffen und zu zeigen. Es gibt auf einmal Theater, die regelmäßige Programme zeigen. Das ist etwas total Neues."

    Der 30-jährige Tarnagda ist durch das Festival "Recréatrales", das einzige produzierende Festival Westafrikas, zum Theater gekommen. Mehrere Monate leben die Künstler, deren Projekte ausgewählt wurden, in einem kleinen Stadtteil von Ouagadougou und erarbeiten in den Höfen der Familien ihre Stücke, ungestört vom sonstigen Stress des Geldverdienens. Die Dorfbewohner nehmen regen Anteil an den Proben. So versucht das Festival den Spagat, Theater sowohl für die burkinabeische Bevölkerung als auch für den europäischen Festivalmarkt zu produzieren.

    "Das Geld, das sie für Entwicklungshilfe spenden, sollten Europäer ins afrikanische Theater geben. Denn die NGOs braucht niemand. Sie halten politische und korrupte Systeme aufrecht, es ist eine Form des Spätkolonialismus. Das Theater, das wir seit 13 Jahren in Burkina machen, ist nicht für den europäischen Markt produziert. Man neigt oft dazu, das zu verwechseln. Wir sind nicht nur Afrikaner oder Deutsche, sondern erstmals Menschen, die sich irgendwie verwirklichen und sich treffen wollen. Ich werde nach Europa eingeladen, weil ich ein guter Künstler in meinem Land bin – und ich die Chance bekam, mich zu entwickeln, in meinem kleinen Viertel Gounghin."

    Mit afrikanischer Folklore hat das, was man bei "africologne" in Köln sieht, nichts mehr zu tun: Verhandelt wird etwa der vergessene burkinabeische Revolutionär Thomas Sankara. Der Rohstoff-Raubbau. Was es bedeutet, wenn das eigene Kind entführt und zum Kindersoldaten wird. Und was es mit der eigenen Identität macht, sich zwischen dem Erbe des Kolonialismus und der eigenen Kultur zu bewegen. Es ist daher ein politisches Statement, ein Theaterstück auf Mooré zu zeigen, das erst seit Kurzem als Schriftsprache entdeckt wird. Die Schauspielerin Edoxi L. Gnoula zeigt in ihrem kraftvollen Monolog "Naak Naak" von Sidiki Yougbaré, wie eine Frau nach zehn Jahren genug vom sexuellen Missbrauch durch ihren Ehemann hat, ihn verlässt und sich als Prostituierte selbstständig macht. Allein, reich und selbstbestimmt lebt sie mit einem fast stummen Diener in ihrem Haus und erzählt ihre Geschichte mit eindeutigen und drastischen sexuellen Worten einem Haufen Journalisten. Das klingt nicht gerade wie ein hoffnungsvoller Beitrag zur Emanzipation in einem Land, in dem rund 70 Prozent der Frauen noch beschnitten werden. Doch das Kunststück von "Naak Naak" ist, dass es witzig ist. Edoxi L.Gnoula:

    "Das Ziel dieses Stücks ist nicht unbedingt Emanzipation. Das ist eine Forderung aus dem Westen. Wir leben sie anders. Natürlich, das Stück ist bei uns provokant. Man spricht da nicht öffentlich über Sex. Das Problem der sexuellen Gewalt in der Ehe ist trotzdem allgegenwärtig. Das Stück gibt Frauen Mut. NaakNaak heißt: Bewege dich. Die Frau hat sich entschieden, nicht zu jammern, sondern ihre schmerzhafte Geschichte zu überwinden."

    Mehr zum Thema:

    africologne - Festival des (west-)afrikanischen Theaters in Köln