Aber wer da nun ein Muster- und Meisterstück von altvertrauter Schönheit erwartet haben mochte, eines jener gedanklich und sinnlich opulenten, bis in entlegene Nebenrollen filigran gefeilten Gesellschaftspanoramen etwa, wie sie einst an dieser Stelle Jürgen Flimm zu gestalten vermochte, der wird enttäuscht - denn genau das hat den Dramatiker und Dramaturgen John von Düffel bei der Bearbeitung von Thomas Manns Jahrhundert- und Generationenroman nicht interessiert.
Und so ist der Familien-Clan der Buddenbrooks, der ja trotz aller Härte und Prinzipientreue - oder gerade deswegen - gern und oft als letztes Refugium von Haltung und Form gesehen wurde, hier ein inneres wie äusseres Gefängnis; unfrei und voller Hochmut und Schrecken noch in geschwisterlichster Nähe. Und der sonst eher nostalgisch umtrauerte Niedergang des alteingesessenen Lübecker Handelshauses ist hier zum eiseskalten Schaubild an der Flip-Chart geworden, in aller Unausweichlichkeit wie vom Computer errechnet. Und alle, die zu diesem Haus gehören, reißt der Untergang mit in den Abgrund; hier müssen gerade Erben sterben lernen - wenn’s zur Flucht, zum befreienden Verzicht nicht reicht. Wie vor den Kopf geschlagen schauen wir Zeitgenossen einer Geschichte zu, deren unübersehbare Zeitgenossenschaft sprachlos macht.
Insofern ist das unbedingt ein großer Wurf; niemand bleibt mit der Frage allein, warum denn wohl und wie ausgerechnet dieser Roman zu bearbeiten wäre, und was es denn mit der Wahrheit für heute auf sich habe. Das ist klar wie selten bei einer Romanbearbeitung für die Bühne. John von Düffel kann sich auch guten Gewissens der alten Brecht-Frage danach stellen, ob wir denn etwa "Shakespeare bearbeiten können"; und Brechts Antwort: Ja - wenn wir es können. Düffel kann, und unablässig sagt er auch warum, und warum das sein muss: weil im alten Roman ein brandaktuelles Thema steckt, ein heißer Kern von heute. Wie aber kommt es, dass diese thematische Hitze auf der Bühne nichts als Eiseskälte verbreitet, ja zeitweise Ödnis und blanke Langeweile?
Stephan Kimmigs Inszenierung folgt Düffels Bearbeitung mit großer Konsequenz - und sie trifft zu diesem Zweck schon in den ersten Minuten ein paar Verabredungen, die in der Folge immer gegenwärtig bleiben. Zum einen: Alle sind hier irgendwie krank, und jede dieser persönlich ganz unterschiedlichen Krankheiten, die Gefühlskälte des Sohnes Thomas, die tatsächliche Hinfälligkeit des flatterhaften Bruders Christian und der Fluch der Zwangsverheiratungen bei Schwester Antonie, wird jeweils zum Tode führen, ob im physischen, psychischen oder im wirtschaftlich übertragenen Sinne - das sagt zu Beginn und wie als Motto Lina, die alte Kinderfrau. Zum anderen: Mit Dekor ist nicht zu rechnen - die Kinder in ihren Zimmern sind nur durch Fußleisten wie mit Wänden voneinander getrennt, und nur Christian wagt sie zu übertreten. Als der betrügerische Aussteuerjäger Bendix Grünlich aus Hamburg naht, um sich an die Tochter heran zu machen, bekommt er Sitzgelegenheiten angeboten, die es gar nicht gibt, und freut sich über den Anblick eines ebenfalls nicht vorhandenen Gartens. Später, im finalen Ausverkauf des Hauses Buddenbrook, wird die verzweifelte Tochter unentwegt von Möbeln reden, obwohl doch kein einziges Requisit mehr geblieben ist auf dem Parkett, dass Bühnenbildnerin Katja Hass an vier Stahlseilen dezent in der Schwebe halten lässt: kein sicheres Gleichgewicht, nirgends.
Derlei Methoden sind vertraut und künden dem Publikum stets von konsequenter Abstraktion, manchmal gut und zuweilen auch schön - wo allerdings schon Düffels Fassung den Roman eher skelettiert und im Geschwindschritt oft bloß die Gelenkstücke der Handlung nutzt für die eigene Geschichte, treibt Kimmigs Inszenierung der Aufführung schließlich beinahe alles Theater aus. Und das Ensemble spricht mitunter Text wie bei der verlängerten Leseprobe - nur die drei Erb-Kinder gewinnen auf Dauer nachvollziehbar offensives Bühnenprofil: Norman Hacker in der wie unter innerem Zwang geschmiedeten Uniform des Businessman, der dieser Haltung alles unterordnet, selbst die eigenen Sehnsüchte; Peter Jordan mit dem Outfit des bunten Vogels, der mit den eigenen Ambitionen nie wirklich passte zum Habitus der Handelsdynastie und schließlich ja auch rausgeschmissen und praktisch enterbt werden wird; schließlich Katrin Wichmann als Schwester Toni, deren heiterer, halbwegs selbstbewusster Seele auch die elenden Ehen nichts anhaben konnten. Ein Glückskind fast in dieser Welt, die die Regeln des Kapitals als Heilslehre so sehr verinnerlicht hat, bis darin jeder selber zu Humankapital werden muss.
Auch mit diesen und den anderen, eher rudimentären Profilen behauptet Düffel das Material eindrucksvoll für die Bühne: als Konzept. Derweil verweigert Kimmig nachhaltig fast alle Theatralität; und zwar vertrackterweise gerade weil der Regisseur dem Konzept des bearbeiteten Textes zu folgen meint. Kann sein, dass ein wenig Kontrast schon viel geholfen hätte; so aber bleibt dieser Konflikt unlösbar, auch wenn das Stück sich - wie das immer heisst - "eingespielt" haben wird. Konzepte haben - einmal mehr - gesiegt über lebendiges Theater, lauter starke Ideen stecken in einem leider eher trüben Abend. Rein kaufmännisch gesprochen: eine Rechnung, die nicht aufgeht.
Und so ist der Familien-Clan der Buddenbrooks, der ja trotz aller Härte und Prinzipientreue - oder gerade deswegen - gern und oft als letztes Refugium von Haltung und Form gesehen wurde, hier ein inneres wie äusseres Gefängnis; unfrei und voller Hochmut und Schrecken noch in geschwisterlichster Nähe. Und der sonst eher nostalgisch umtrauerte Niedergang des alteingesessenen Lübecker Handelshauses ist hier zum eiseskalten Schaubild an der Flip-Chart geworden, in aller Unausweichlichkeit wie vom Computer errechnet. Und alle, die zu diesem Haus gehören, reißt der Untergang mit in den Abgrund; hier müssen gerade Erben sterben lernen - wenn’s zur Flucht, zum befreienden Verzicht nicht reicht. Wie vor den Kopf geschlagen schauen wir Zeitgenossen einer Geschichte zu, deren unübersehbare Zeitgenossenschaft sprachlos macht.
Insofern ist das unbedingt ein großer Wurf; niemand bleibt mit der Frage allein, warum denn wohl und wie ausgerechnet dieser Roman zu bearbeiten wäre, und was es denn mit der Wahrheit für heute auf sich habe. Das ist klar wie selten bei einer Romanbearbeitung für die Bühne. John von Düffel kann sich auch guten Gewissens der alten Brecht-Frage danach stellen, ob wir denn etwa "Shakespeare bearbeiten können"; und Brechts Antwort: Ja - wenn wir es können. Düffel kann, und unablässig sagt er auch warum, und warum das sein muss: weil im alten Roman ein brandaktuelles Thema steckt, ein heißer Kern von heute. Wie aber kommt es, dass diese thematische Hitze auf der Bühne nichts als Eiseskälte verbreitet, ja zeitweise Ödnis und blanke Langeweile?
Stephan Kimmigs Inszenierung folgt Düffels Bearbeitung mit großer Konsequenz - und sie trifft zu diesem Zweck schon in den ersten Minuten ein paar Verabredungen, die in der Folge immer gegenwärtig bleiben. Zum einen: Alle sind hier irgendwie krank, und jede dieser persönlich ganz unterschiedlichen Krankheiten, die Gefühlskälte des Sohnes Thomas, die tatsächliche Hinfälligkeit des flatterhaften Bruders Christian und der Fluch der Zwangsverheiratungen bei Schwester Antonie, wird jeweils zum Tode führen, ob im physischen, psychischen oder im wirtschaftlich übertragenen Sinne - das sagt zu Beginn und wie als Motto Lina, die alte Kinderfrau. Zum anderen: Mit Dekor ist nicht zu rechnen - die Kinder in ihren Zimmern sind nur durch Fußleisten wie mit Wänden voneinander getrennt, und nur Christian wagt sie zu übertreten. Als der betrügerische Aussteuerjäger Bendix Grünlich aus Hamburg naht, um sich an die Tochter heran zu machen, bekommt er Sitzgelegenheiten angeboten, die es gar nicht gibt, und freut sich über den Anblick eines ebenfalls nicht vorhandenen Gartens. Später, im finalen Ausverkauf des Hauses Buddenbrook, wird die verzweifelte Tochter unentwegt von Möbeln reden, obwohl doch kein einziges Requisit mehr geblieben ist auf dem Parkett, dass Bühnenbildnerin Katja Hass an vier Stahlseilen dezent in der Schwebe halten lässt: kein sicheres Gleichgewicht, nirgends.
Derlei Methoden sind vertraut und künden dem Publikum stets von konsequenter Abstraktion, manchmal gut und zuweilen auch schön - wo allerdings schon Düffels Fassung den Roman eher skelettiert und im Geschwindschritt oft bloß die Gelenkstücke der Handlung nutzt für die eigene Geschichte, treibt Kimmigs Inszenierung der Aufführung schließlich beinahe alles Theater aus. Und das Ensemble spricht mitunter Text wie bei der verlängerten Leseprobe - nur die drei Erb-Kinder gewinnen auf Dauer nachvollziehbar offensives Bühnenprofil: Norman Hacker in der wie unter innerem Zwang geschmiedeten Uniform des Businessman, der dieser Haltung alles unterordnet, selbst die eigenen Sehnsüchte; Peter Jordan mit dem Outfit des bunten Vogels, der mit den eigenen Ambitionen nie wirklich passte zum Habitus der Handelsdynastie und schließlich ja auch rausgeschmissen und praktisch enterbt werden wird; schließlich Katrin Wichmann als Schwester Toni, deren heiterer, halbwegs selbstbewusster Seele auch die elenden Ehen nichts anhaben konnten. Ein Glückskind fast in dieser Welt, die die Regeln des Kapitals als Heilslehre so sehr verinnerlicht hat, bis darin jeder selber zu Humankapital werden muss.
Auch mit diesen und den anderen, eher rudimentären Profilen behauptet Düffel das Material eindrucksvoll für die Bühne: als Konzept. Derweil verweigert Kimmig nachhaltig fast alle Theatralität; und zwar vertrackterweise gerade weil der Regisseur dem Konzept des bearbeiteten Textes zu folgen meint. Kann sein, dass ein wenig Kontrast schon viel geholfen hätte; so aber bleibt dieser Konflikt unlösbar, auch wenn das Stück sich - wie das immer heisst - "eingespielt" haben wird. Konzepte haben - einmal mehr - gesiegt über lebendiges Theater, lauter starke Ideen stecken in einem leider eher trüben Abend. Rein kaufmännisch gesprochen: eine Rechnung, die nicht aufgeht.