Archiv


Keine Überraschung

In der Türkei wurde ein neuer Generalstabschef ernannt. Dieser Umstand würde in einem Land wie Frankreich oder Dänemark nicht so viel bedeuten, aber in der Türkei ist eine solche Ernennung von großem politischen Gewicht, denn das Militär gibt traditionell den Rahmen vor, innerhalb dessen die Regierung handeln darf. Susanne Güsten berichtet aus Istanbul.

    Der Hohe Militärrat hat getagt - mit Marschmusik unterlegt gibt der Generalstab der türkischen Armee auf seiner Internetseite feierlich seine Beschlüsse bekannt. Hinter verschlossenen Türen berät zweimal im Jahr das Gremium, in dem die türkische Armee ihre Personalangelegenheiten unter sich ausmacht. Politisch verdächtige Offiziere werden aus der Armee ausgestoßen, linientreue Offiziere für höhere Aufgaben auserkoren. Vom Hohen Militärrat wird alle paar Jahre auch ein neuer Generalstabschef gekürt - und in diesem Jahr war es wieder soweit.

    General Ilker Basbug, den Chef der Landstreitkräfte, ernannte der Militärrat zum neuen Generalstabschef - keine Überraschung, wurde der General doch vom Militär seit Jahren auf dieses Amt vorbereitet. Am 30. August soll Basbug nun den scheidenden Generalstabschef Yasar Büykanit ablösen. Was in den meisten Ländern eine Routinesache wäre, ist in der Türkei eine hochpolitische Angelegenheit. Der Stabwechsel an der Spitze der Streitkräfte wird analysiert, geprüft und ausgeleuchtet, etwa von dem prominenten Kommentator Rusen Cakir:

    "Basbug gilt allgemein als strenger als Büyükanit. () Büyükanit ist sozialer und aufgeschlossener, Basbug ist ein verschlossener Typ, er wirkt schroff und kalt, aber intellektuell soll er Büyükanit überlegen sein, er ist belesener und diskussionsfreudiger."

    Dass die Person des Generalstabschefs die Türken so stark beschäftigt, das erklärt sich zum Teil daraus, dass die Türkei ja tatsächlich im Krieg ist, und das schon seit mehr als 20 Jahren. In diesem Krieg gegen die kurdischen PKK-Rebellen werde die Armee unter Ilker Basbug stärker in die Offensive gehen, erwartet Rusen Cakir:

    "Basbug ist im Kampf gegen die PKK der erfahrenste Offizier in der Armee. In der vor uns liegenden Ära, der Basbug-Ära, werden das PKK-Problem und Nordirak sehr stark in den Vordergrund treten, damit können wir rechnen. "

    Doch nicht nur die PKK muss nach dem Stabwechsel an der Spitze der türkischen Armee mit einem rauheren Gegenwind rechnen. Auch die türkische Regierung muss sich auf härtere Zeiten einstellen, warnen Beobachter wie Cakir:

    "Basbug ist sehr ideologisch, er wird dafür sorgen, dass die Regierung auf einem sehr schmalen Pfad der politischen Tugend bleibt. Er wird der Regierung mit dicken roten Linien sehr enge Grenzen ziehen, die sie nicht überschreiten darf."

    Denn anders als in den meisten Ländern fühlt sich die Armee in der Türkei nicht nur für äußere Angreifer zuständig, sondern auch für den inneren Feind - und wer das ist, das bestimmt der Generalstab selbst. Zu den gefährlichsten Gegnern der Republik zählen die Soldaten den Islam und deshalb auch die gemäßigt-islamische Regierungspartei AKP. In einer Rede bei einer Militärakademie erläuterte der designierte Generalstabschef Basbug den Kadetten kürzlich seine Sicht der Regierungspolitik:

    "Wir sehen, dass versucht wird, unserer nationalen Kultur eine religiöse Prägung zu geben. Kameraden, das schädigt unseren Staat und unsere Nation. Wir müssen einen entschiedenen Kampf führen, um unsere Gesellschaft vor solchen Einflüssen zu bewahren und unsere nationale Kultur vor allen schädlichen Einwirkungen zu schützen."

    Dass die AKP vom türkischen Volk gewählt ist, und zwar mit einer gewaltigen Mehrheit, das kann die Soldaten nicht beirren. Sie berufen sich auf die Verfassung, wie Basbug die Kadetten erinnerte:

    "Liebe Kameraden, es gibt nur einen Weg, die Republik und ihre Werte zu schützen. Das ist der Weg des Atatürkschen Gedankenguts. Es ist die gesetzliche Pflicht des Militärs, die Grundprinzipien dieser Republik zu verteidigen. Wir haben nicht die Wahl, ob wir das machen wollen oder nicht, diesen Luxus haben wir nicht - wir haben die Pflicht."

    Aus dem Jahr 1982 stammt die türkische Verfassung, auf die das Militär gerne pocht - sie wurde dem Land nach dem Putsch 1980 von der Armee diktiert. Eine neue, demokratische und entmilitarisierte Verfassung ist eines der wichtigsten Vorhaben der Regierung in den nächsten Monaten und Jahren. Bei der Ausarbeitung der neuen Verfassung werden sich die Türken allerdings nicht nur vom Führungsanspruch des Militärs befreien müssen, meint der Publizist und Politologe Etyen Mahcupyan, sondern auch aus ihrer eigenen Abhängigkeit:

    "Die Armee hat diese Funktion nicht nur, weil sie das will, sondern weil wir als türkische Staatsbürger immer dieser Erwartung an die Armee im Hinterkopf haben - dass die Armee sich schon einschalten und das Problem lösen wird, wenn es an der Zeit ist. Es gibt also auch eine psychologische Abhängigkeit zwischen der Armee und dem türkischen Volk."