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Keine Unabhängigkeit beim "Echo Klassik"

Nach Ansicht des Musikjournalisten Thomas Voigt sollte der "Echo Klassik" den Nimbus einer unabhängigen Bewertung fallen lassen. "Unabhängig kann es beim 'Echo Klassik' schon deshalb nicht zugehen, weil die Plattenindustrie zum großen Teil beteiligt ist", sagte er.

Moderation: Rainer Berthold Schossig |
    Rainer Berthold Schossig: Gestern Abend fand sie also wieder statt, die "Echo Klassik"-Preisverleihung in der Münchener Philharmonie. Unter den diesjährigen Gewinnern sind die üblichen Verdächtigen, wie die Sängerinnen etwa Montserrat Caballé und Anna Netrebko, Daniel Barenboim und Thomas Quasthoff. Der "Echo Klassik" gilt als wichtigste Auszeichnung für Musik auf Tonträgern in Deutschland, Veranstalter ist die Deutsche Phono-Akademie.

    Frage an Thomas Voigt: Die Deutsche Phono-Akademie vergibt jährlich nicht nur den "Echo Klassik", sie macht auch musikalische Nachwuchsförderung und Lobbyarbeit. Die Deutsche Phono-Akademie ist ein Arm der phonografischen Wirtschaft. Kann sie überhaupt unabhängig auswählen?

    Thomas Voigt: Unabhängig kann es beim "Echo Klassik" schon deshalb nicht zugehen, weil die Plattenindustrie zum großen Teil beteiligt ist. Das heißt also, eine Industrie stellt ihre Produkte aus. Zeigt, das sind die Highlights dieser Saison, und man verkauft es halt dem Publikum so, als sei das eine unabhängige Jury, die diese Aufnahmen ausgewählt hätte. Es ist de facto so, ich war auch zwei Jahre in einer Plattenfirma, dass sich die einzelnen Firmen halt gegenseitig absprechen: Wie oft war Bartoli schon da, soll sie dieses Jahr wiederkommen? Na, gut. Dann setzt sie dieses Jahr aus. Dann machen wir Elena Garanca, eine andere große Mezzosopranistin, und nächstes oder übernächstes Jahr ist die Bartoli wieder dran. So geht es halt. Ich meine, es ist auch nichts dagegen zu sagen, wenn man es denn durchsichtig macht. Was mich dabei stört, ist, dass man immer so tut, als sei es eine unabhängige Sache. Das ist es nicht.

    Schossig: Wie transparent diese Entscheidung ist, das ist an sich wirklich deswegen auch sehr schwierig, weil eines der größten Probleme des Klassik-CD-Marktes die unübersehbare Masse von Neuerscheinungen ist. Wie sieht es dann da aus? Bringt der Preis da etwas Übersicht in dieses Wirrwarr?

    Voigt: Das finde ich schon. Man kann trotz der 21 Kategorien, da sind vielleicht ein Paar zu viel, und vielleicht auch mit über 50 Preisträgern ein Paar zu viel, aber man hat schon allein durch diese Fernsehsendung einen Überblick, was hat die Saison wirklich an herausragenden Dingen gebracht, zumindest das, was in der Industrie als herausragend gilt. Das muss nicht immer das sein, was dem Publikum am besten gefällt, aber man hat eben bei dem "Echo" den Eindruck, da wird das Populäre und auch das Verkaufsträchtige zusammengeführt. Man bekommt schon einen Eindruck, das sind die Saison-Highlights.

    Schossig: Der "Echo Klassik" belohnt den Erfolg, sagen Sie. Wie unabhängig ist er denn von einer Belohnung von Einschaltquoten, sage ich mal, oder eben von Marktakzeptanz?

    Voigt: Ich glaube, das ist eine Frage, die eher für die ZDF-Redaktion relevant ist. Ich denke mir, dass die Einschaltquoten, gemessen an der Akzeptanz klassischer Musik heute, im Fernsehen recht gut sind. Deshalb bin ich auch sehr dafür, dass das ZDF diesen Sendeplatz hegt und pflegt und nicht irgendwie an den Rand drängt oder vielleicht eines Tages ganz abschafft.

    Schossig: Im Fernsehen kommt ja die klassische Musik in den großen Programmen ohnehin kaum noch vor, wenn man mal von 3sat und arte absieht. Das alles klingt nach Glamour für eine zurzeit wenig erfolgreiche Branche, und da fragt man sich natürlich, was gab es gestern eigentlich zu hören, wie war nun das Programm an diesem Abend.

    Voigt: Es war ein Programm, das keinem wehgetan hat. Es dominierte die Oper auch in den Instrumentalteilen. Da gab es zum Beispiel eine Trompetenvariante von der Arie der "Königin der Nacht", "Der Hölle Rache". Es gab "Carmen" auf dem Klavier von Arkadi Volodos gespielt. Dann gab es natürlich auch Sänger. Montserrat Caballé wurde für ihr Lebenswerk geehrt und hielt eine sehr launige Rede. Die Frau muss einfach sprechen und lachen, dann ist sie ein absoluter Publikumserfolg. Ich finde das ganz klasse, was sie macht.

    Juan Diego Florez, der große Koloraturtenor, konnte sich leider nicht in seinem eigentlichen Fach zeigen, nämlich in der Koloraturetage über dem, was normalerweise Tenöre singen, sondern er musste aus Popularitätsgründen wieder Verdis "La donna è mobile" singen. Da frage ich mich, was ist denn so viel anspruchsvoller und so viel schwieriger für ein normales Publikum an einer Rossini- oder Bellini-Arie, dass es jetzt wieder stattdessen "La donna è mobile" sein muss? Ähnlich ging es bei Sol Gabetta. Da war die Frage: Warum spielt die Cellistin ein Stück aus Vivaldis "Vier Jahreszeiten", wenn sie doch auf dem Cello ganz anders ihre Qualitäten zeigen kann als jetzt in diesem Violinenstück, was dann transponiert werden musste? Dass man da Angst hat, oh, gleich gehen die Quoten runter, wenn wir ein bisschen schwieriger werden, das glaube ich nicht. Es zeigte sich auch immer wieder bei Uri Caine, der auch diesmal dabei war, ein Jazz-Pianist, der eben auf virtuose Art und Weise Klassik und Jazz verbindet. Was er mit dem "Türkischen Marsch" gemacht hat, das war so ungewöhnlich wie auch hoch virtuos und künstlerisch, dass ich froh bin, dass man das im Programm gelassen hat, und dass man das nicht für zu schwierig befunden hat. Aber ich finde, im Großen und Ganzen war das ein gutes Konzert. Es wurde furios abgeschlossen von den Münchner Philharmonikern unter Andrey Boreyko mit "Malambo" aus "Estancia" von Alberto Ginastera. Das war wirklich ein hoch virtuoser Abschluss. Da sprang das Publikum auch förmlich auf.

    Schossig: Thomas Voigt über die "Echo Klassik"-Preisverleihung gestern Abend in München.