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Keine Wahlgeschenke von der CDU

Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) erteilt Forderungen nach Steuersenkungen eine Absage. Die Menschen wüssten, dass diese im Augenblick nicht besonders realistisch seien. Daher beteilige sich die CDU an der Debatte um Wahlversprechungen nicht, so Schäuble.

Wolfgang Schäuble im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 26.04.2009
    Dirk-Oliver Heckmann: Herr Minister, wir sind in der schwersten Wirtschaftskrise seit Gründung der Bundesrepublik. DGB-Chef Michael Sommer und auch die SPD-Präsidentschaftskandidatin Gesine Schwan warnen schon vor sozialen Unruhen. Macht sich der Innenminister Sorgen um die Innere Sicherheit?

    Wolfgang Schäuble: Der Innenminister ist für die Innere Sicherheit mit seinen Länderkollegen verantwortlich. Dafür arbeitet er das ganze Jahr. Ich habe nicht den Eindruck, dass die Menschen in Deutschland - die wissen, dass wir in dieser schwersten Wirtschaftskrise sind - aber dass man jetzt eine Debatte führen muss über Unruhen. Es gibt keinen Anlass dazu, übrigens haben auch Sozialdemokraten zu den etwas verwirrenden Äußerungen ihrer Präsidentschaftskandidatin ja selber gesagt, dass sie das nicht besonders klug finden.

    Ich habe auch mit Herrn Sommer vor einiger Zeit gesprochen. Natürlich müssen wir die Sorgen der Menschen ernst nehmen, aber den Menschen zu unterstellen, weil sie Arbeitslosigkeit befürchten müssen - die wird ja zunehmen -, würden sich nun Unruhen entwickeln. Das unterstellt eigentlich auch den Beschäftigten in Deutschland etwas, was auch der DGB-Vorsitzende ihnen einfach nicht unterstellen sollte.

    Heckmann: Wie präsidiabel ist es denn, eine solche Gefahr an die Wand zu malen, die nach Ihrer Einschätzung nicht wirklich real ist?

    Schäuble: Ach wissen Sie, ich halte eigentlich von diesen etwas krampfhaften Bemühungen, einen Wahlkampf nun seit Monaten über das Amt des Staatsoberhauptes zu führen, ohnedies wenig. Deswegen möchte ich mich auch daran nicht beteiligen.

    Heckmann: Dann kommen wir zum Wahlkampf, der uns bevorsteht. Das wird ein Wahlkampf sein, den die Bundesrepublik so in der Form wahrscheinlich noch nicht gesehen hat. Was wird dessen Grundmelodie sein?

    Schäuble: Ja, dass es eine Wahl in einer Zeit ist, wie wir sie so nicht hatten. Und das ist eigentlich für die Menschen und übrigens auch für die politisch Handelnden, auch für mich persönlich beispielsweise, die Sorge, wie wir mit dieser schweren Entwicklung in der Wirtschaft, am Arbeitsmarkt, in den Finanzsystemen umgehen, alles andere überlagert. Und deswegen wird der Wahlkampf eine viel geringere Bedeutung haben.

    Wir sollten wirklich das Missverständnis vermeiden, als wäre jetzt für die nächsten Monate für die Politiker und die Parteien der Wahlkampf das Allerwichtigste. Nein, das Allerwichtigste ist, dass wir unser Land und die Menschen in unserem Land mit möglichst erträglichen Belastungen durch diese schwere Zeit führen können. Und das erfordert unserer aller Aufmerksamkeit.

    Heckmann: Man hat so ein bisschen den gegenteiligen Eindruck, dass es nämlich doch sehr stark schon um Wahlkampf geht, auch bei den wirtschaftspolitischen Vorschlägen, die da im Raum stehen: CSU und FDP überbieten sich mit Steuersenkungsforderungen, die SPD kommt mit ihrem 300 Euro-Bonus und der Forderung nach einer Absenkung des Niedrig-Steuersatzes. Die CDU war sehr schnell dabei, als es darum ging, die Abwrackprämie zu verlängern und auf fünf Milliarden Euro aufzustocken. Also, man könnte auch sagen: Der Wahlkampf führt zu einem Wettlauf um Milliardengeschenke, und das bei leeren Kassen.

    Schäuble: Also, ich glaube, man muss ein bisschen unterscheiden. Wenn Sie jetzt neben den Parteien, die Sie aufgezählt haben, noch die Grünen und die Linkspartei aufgezählt hätten, hätten Sie alle Parteien außer meiner eigenen aufgezählt.

    Denn meine Partei beteiligt sich nicht an dieser Debatte um das Versprechen von Steuersenkungen in der Zukunft, von denen die Menschen ja wissen, dass es im Augenblick nicht sehr realistisch ist, wenn man nicht weiß, wie lange diese schwere Wirtschaftskrise anhält. Und wir haben ja nun gerade von den Forschungsinstituten, auch vom Internationalen Währungsfonds hören müssen - was wohl eher richtig ist -, dass wir auch nicht hoffen können, dass es nächstes Jahr schon notwendigerweise besser wird. Dann ist das doch nicht sehr seriös - ich habe das vor Monaten gesagt -, jetzt schon Steuersenkungen in Aussicht zu stellen.

    Wir müssen jetzt in dieser Lage die Neuverschuldung dramatisch erhöhen. Das wird Auswirkungen für das kommende Jahr wegen rückläufiger Steuereinnahmen haben in einer Größenordnung, wie wir sie uns vor einem Jahr noch nicht im Entferntesten hätten ausmalen wollen. Die müssen dann einigermaßen begrenzt werden. Und danach, wenn man wieder einen Wachstumspfad erreicht hat, wird man über Steuersenkungen reden können und gleichzeitig darüber, wie man die zu hoch gewordene Neuverschuldung wieder zurückführt. Aber darauf müssen wir uns konzentrieren.

    Das Thema der Abwrackprämie ist etwas anderes: Als wir über die Abwrackprämie diskutiert haben, hieß es ja zunächst: "Das bringt überhaupt nichts, und es wird auch keinen veranlassen, deswegen ein neues Auto zu kaufen!" Dann war es viel erfolgreicher, als wir selbst geglaubt haben. Und dann war natürlich in dieser Frage es keine einfache Entscheidung, zu sagen: Na ja, wenn das Ding so erfolgreich ist - wollen wir es jetzt gleich wieder stoppen oder wollen dann wir sagen: Dann sind wir lieber noch ein bisschen großzügiger?

    Der Sinn dieser Maßnahme war ja, in einer Zeit, wo sich die schlechten Nachrichten häuften - rückläufige Auftragseingänge in den Branchen im zweistelligen Bereich, zum Teil 30, 40 Prozent, von Monat zu Monat rückläufige Auftragseingänge -, um wenigstens in einem Bereich einen schnellen Anstoß zu geben, auch eine gewisse psychologische Anreizwirkung. Und die wäre, das war die Sorge, zu schnell verpufft, wenn dann eine Debatte darum entstanden wäre: Ja, jetzt reicht es ja gar nicht aus, und viele hätten noch wollen und bekommen jetzt die Prämie nicht. Deswegen hat man es aufgestockt.

    Es war nicht einfach, keine einfache Entscheidung, hat aber nichts mit Wahlversprechungen zu tun. Meine Partei, die CDU, beteiligt sich daran nicht, und ich hoffe, es bleibt auch so. Ich werde mich jedenfalls dafür einsetzen.

    Heckmann: Die SPD hat vor einer Woche, Herr Schäuble, ihr Wahlprogramm präsentiert und ist damit in die Offensive gegangen. Die Union lässt sich Zeit mit der Präsentation ihrer Vorschläge. Liegt das daran, dass sich die Schwesterparteien CDU und CSU auch in wesentlichen Feldern nicht einig sind - ich nenne mal die Stichworte "Gesundheitsreform", "Höhe der Steuersenkungen" und auch "Grüne Gentechnik"?

    Schäuble: Nein, es liegt einfach daran, dass wir uns in der CDU ganz einig sind, dass wir jetzt nicht den Eindruck des Missverständnisses erwecken sollten, wir würden uns jetzt in erster Linie um den Wahlkampf kümmern. Nein, wir alle - insbesondere natürlich unsere Vorsitzende, die Bundeskanzlerin - haben alle Hände voll damit zu tun, das Menschenmögliche zu machen, damit die Auswirkungen dieser schlimmen Finanz- und Wirtschaftskrise einigermaßen für die Menschen erträglich bleiben. Darauf konzentrieren wir uns.

    Deswegen führen wir nicht einen Wahlkampf, wie man ihn in früheren Zeiten geführt hat. Ich glaube auch, dass die Erwartungen der Menschen nicht so sind, dass die Parteien jetzt den Eindruck erwecken sollten, sie beschäftigen sich nur mit sich und mit der Frage, wie sie die nächsten Wahlen bestehen. Nein, die Menschen wollen, dass wir uns darauf konzentrieren, was nun wirklich die große Sorge der Menschen in diesem Land ist.

    Heckmann: Früher oder später wird sich auch die CDU dann dem Wahlkampf stellen, das liegt ja völlig auf der Hand. Die SPD wird sich als Garant für einen Kapitalismus mit menschlichem Antlitz präsentieren, als Garant auch für soziale Gerechtigkeit. Union und FDP sollen in den Punkten als Bremser dargestellt werden. Wie werden Sie dem begegnen?

    Schäuble: Ja, wir werden dem begegnen, indem wir unsere Vorstellungen sagen, wie man ein Land richtig führt. Ich glaube, wir haben ja gezeigt unter der Führung der Bundeskanzlerin Angela Merkel, dass unsere ordnungspolitischen Grundsätze wirklich stimmen, nämlich dass wir sagen: Wenn eine solche außergewöhnliche Situation eintritt, wenn wir ein solches Marktversagen haben, wie wir es auf den Weltfinanzmärkten ja hatten - das war der Ausgang der Situation -, dann muss der Staat im Sinne des Subsidiaritätsprinzips dafür eintreten, das zu ersetzen, was der Markt selber nicht leisten kann.

    Aber er sollte eben nicht glauben, dass grundsätzlich der Staat - staatliche Bürokratie - es besser weiß als der Markt. Das muss die Notlösung sein im Sinne der Subsidiarität, aber wir wollen möglichst schnell zurückkehren in eine Entwicklung, wo wir eben die wirtschaftlich richtigen Lösungen durch die Marktkräfte im Sinne der sozialen Marktwirtschaft identifizieren lassen. Übergangsweise müssen wir helfen - deswegen haben wir das Kurzarbeitergeld verlängert. Deswegen stimulieren wir die Konjunktur auch mit psychologisch wirksamen Maßnahmen, aber auch mit einer erheblichen kurzfristigen Erhöhung der Neuverschuldung. Aber es soll eben langfristig nicht der Anlass sein, gewissermaßen zu einer Staatswirtschaft, zu einer zentralen Verwaltungswirtschaft zurückzukehren. Das ist der heimliche Traum vieler Linken, aber der ist spätestens vor 20 Jahren beim Scheitern der DDR von allen als ein Phantom oder als eine bittere Enttäuschung ja entlarvt worden. Man muss sich ja noch erinnern: Im Wettbewerb der Systeme hat sich ja gezeigt: Die Zentralbürokratie ist nicht intelligenter als die Menschen in freiheitlichen Systemen selbst.

    Heckmann: FDP-Chef Guido Westerwelle sieht einen Linksruck in der CDU, und in der Tat sieht es ja auch so aus, dass sich SPD und Union immer ähnlicher werden, denn vor einiger Zeit noch wäre für die CDU undenkbar gewesen, dass man schärfere Regeln für Managergehälter einführt. Man diskutiert und verabschiedet Enteignungsgesetze im Bankenbereich und auch Konjunkturprogramme diesen Ausmaßes!

    Schäuble: Also, Herr Heckmann, wollen wir uns das ein bisschen genauer anschauen. Ich weiß gar nicht, ob die FDP die Begrenzungen, die wir beschlossen haben für die Banken, bei denen der Staat mit Milliarden-Bürgschaften und Milliardenhilfen einspringen muss, dass man da nicht unbegrenzt Bonizahlungen und was weiß ich noch, zulassen kann auf Steuerzahlerkosten. Ich hab gar nicht gehört, dass die FDP da dagegen ist, dann würde ja Herr Westerwelle auch einen Linksruck machen. Wir müssen nicht jede Propaganda im Wahlkampf, die legitim ist, zu ernst nehmen. Wir brauchen Regeln. Der Finanzmarkt hat gezeigt, dass er durch einen Mangel an Regeln seine Freiheiten missbraucht hat. Und deswegen ist diese Katastrophe entstanden. Deswegen erzwingt es im Sinne einer ordnungspolitischen richtigen Interpretation des Subsidiaritätsprinzips, dass wir bessere Regeln machen.

    Wir haben nicht einfach Verstaatlichungsgesetze beschlossen, das ist nun wirklich nicht richtig, sondern wir haben gesagt: Bei der HRE, einem bestimmten Bankinstitut, das - wenn es scheitern würde; das Abermilliarden staatliche Leistungen und Garantien erfordert, damit es nicht scheitert, das aber dazu führen würde, dass der ganze Finanzmarkt zusammenbrechen würde - dort müssen wir natürlich sicherstellen, dass am Schluss diese hohen Milliardenbeträge zu Lasten der Steuerzahler nicht den Aktionären oder den Eigentümern zugute kommen, sondern dass am Ende dann der Schaden so begrenzt wie möglich und der Aufwand so begrenzt wie möglich für die Steuerzahler bleibt. Und dafür haben wir die notwendigen Maßnahmen getroffen.

    Wir haben ja im übrigen klar beschlossen: Es muss ein Vorrang sein -, deswegen hat der Bund ja auch den Aktionären ein faires - auch von den Aktionären selbst und den Märkten als fair angesehenes - Angebot unterbreitet. Das ist das Gegenteil von wildgewordenen Verstaatlichungsbemühungen, die Sie uns unterstellt haben. Das wollten manche Sozialdemokraten, aber genau das hat die Union verhindert.

    Heckmann: Aber die Union schüttelt es schon ganz schön durch, das haben Sie selber gesagt im "Spiegel"-Interview: Die CDU ist auf der Rüttelstrecke!

    Schäuble: Ja, natürlich. Schauen Sie, eine solche Krise hat niemand erwartet, wir haben sie ja gar nicht für möglich gehalten - ein Rückgang in der wirtschaftlichen Leistungskraft von sechs Prozent in einem Jahr, Auftragseinbrüche und dergleichen mehr. Dass die Weltfinanzmärkte so zusammenbrechen, das überschreitet ja die Grenzen dessen, was wir uns vor einem Jahr vielleicht noch hätten vorstellen können. Und dann kommt manches zusammen, dann ist da eine Große Koalition, die ja eine Ausnahmeregelung sein muss, weil sie den Wettbewerb ein Stück weit außer Kraft setzt, weil sie zu Kompromissen zwingt, die für beide Seiten nicht leicht sind. Den Sozialdemokraten sind viele Kompromisse in diesen Jahren auch nicht leicht gefallen. Und dann haben ja die Menschen die Eigenschaft, wir alle, dass wir, wenn wir einen Kompromiss schließen, finden wir immer, dass der andere eigentlich günstiger abgeschnitten hat, weil das, was man nicht hat, empfindet man ja viel stärker als das, was man erreicht hat. Und so sind am Schluss alle Beteiligten ein bisschen unzufrieden.

    Jetzt müssen wir aber trotzdem zusammenarbeiten, gleichzeitig sind wir natürlich in den Wahlen wieder Konkurrenten. Und das ist die Rüttelstrecke, die ich beschrieben habe. Aber das stehen wir unter der Führung von Angela Merkel ganz gut durch.

    Heckmann: Sie haben die Krise angesprochen als Hauptursache für diese Rüttelstrecke. Die Papstkritik von Angela Merkel und auch der mangelnde öffentliche Rückhalt für Erika Steinbach, die Vertriebenenpräsidentin - jedenfalls wurde das in Ihrer Partei so gesehen von vielen - das hat mit der Krise nichts zu tun. Hat Angela Merkel genug Gespür für die konservativen Schichten in der Union?

    Schäuble: Ja, die Angela Merkel hat es richtig gemacht. Fangen wir mal mit dem "sichtbaren Zeichen gegen Vertreibungen" an. Die Sozialdemokraten wollten das nicht, sie hätten es verhindert. Angela Merkel hat es durchgesetzt, und sie hat es im Einvernehmen mit Polen durchgesetzt. Es ging ja nur im Einvernehmen mit Polen, es war eine ziemlich schwierige Aufgabe. Und dazu hat auch Erika Steinbach, die aus Gründen, die ich nie richtig verstanden habe, zu einer negativen Symbolfigur in Polen emporstilisiert worden ist - das hat sie gar nicht verdient - aber wie auch immer, sie hat ihren persönlichen Beitrag geleistet, weil sie gesagt hat: Es ist wichtiger, dass dieses "sichtbare Zeichen" jetzt zustande kommt. Das ist das Hauptziel, dafür hat Erika Steinbach viele Jahre gearbeitet, und Angela Merkel hat es durchgesetzt.

    Und die Debatte um missverständliche Äußerungen des Papstes: Das hat dem einen oder anderen nicht gefallen. Das ist so: Wer politisch führt, muss Entscheidungen treffen und er wird nie hundertprozentige Zustimmung haben. Aber ich glaube, es ist schon richtig und das wird man auch im Vatikan verstehen, dass, wenn es um den Holocaust geht und um die Leugnung des Holocaust, dass dann jeder Regierungschef in Deutschland - wir haben eine ganz besondere Verantwortung für den Holocaust, und das ist eine Sache, die dann nicht mehr nur Sache einer Kirche oder der Angehörigen einer Konfession ist, sondern die auch unseren Staat, und damit den Regierungschef oder die Bundeskanzlerin berührt. Und deswegen hat sie sich die Entscheidung nicht leicht gemacht, aber sie hat ihr klares Wort gemacht, und sie hat darüber, wie wir ja wissen, auch mit dem Papst selbst sich ausgesprochen.

    Heckmann: Sie haben gerade die Führungsqualitäten der Kanzlerin gelobt. Das ist jetzt wenig überraschend. Allerdings bei einem Thema, da hat die Unionsfraktion den Aufstand geprobt, nämlich bei den Job-Centern. Also insofern, das ist doch ein Beispiel dafür, dass Angela Merkel möglicherweise doch, was Führungsqualitäten angeht, da einiges noch aufzubieten hätte!

    Schäuble: Überhaupt nicht, Herr Heckmann. Wir sind ja eine Demokratie. Wir haben auch eine innerparteiliche Demokratie. Und das ist so in der Demokratie. Die Demokratie lebt von unterschiedlichen Meinungen. Die Freiheit auch. Wenn es keine unterschiedlichen Meinungen gäbe, gäbe es ja gar keine Alternativen, also auch keine Wahlmöglichkeit, keine Freiheit. Und jeder Abgeordnete ist - so steht es schon im Grundgesetz - dem ganzen deutschen Volk und seinem Gewissen letzten Endes verpflichtet.

    Also gibt es schwierige Debatten. In der Frage ging es ja um unterschiedliche Auffassungen, Interessen auch zwischen Bund und Ländern. Eigentlich sind wir uns in der Union alle einig in dieser Frage, immer gewesen. Nur leider war das, was wir wollen, nämlich eine möglichst starke Wahrnehmung dieser Aufgaben durch die kommunale Ebene, mit den Sozialdemokraten, die eben die zentralistische Partei sind - das ist ja die eigentliche Auseinandersetzung - nicht zu erreichen. Am Anfang der Legislaturperiode nicht und jetzt zum Ende der Legislaturperiode auch nicht. Und dann hat es Bemühungen gegeben, doch in der Großen Koalition zwischen CDU/CSU und SPD, aber auch zwischen Bund und Ländern zu einem Kompromiss zu kommen. Und zu dem hat die große Mehrheit der CDU/CSU-Fraktion einschließlich die Abgeordnete Angela Merkel - sie ist ja auch Mitglied der Bundestagsfraktion - nach gründlicher Debatte gesagt: Den Kompromiss möchten wir nicht. Dann regeln wir das Problem in dieser Legislaturperiode nicht, sondern warten, bis wir hoffentlich in der nächsten Legislaturperiode Mehrheiten haben, mit denen wir unsere Vorstellungen besser durchsetzen können.

    Heckmann: Sie hören das Interview der Woche im Deutschlandfunk mit Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble von der CDU.

    Herr Schäuble, die SPD scheint sich in den letzten Tagen und Wochen vor allem um die Wähler in Ostdeutschland zu bemühen. Da gibt es eine Debatte über die Frage, ob die DDR als Unrechtsstaat zu bezeichnen ist oder nicht. Es wird über eine neue Verfassung diskutiert mit der Begründung, dass das Grundgesetz damals den Ostdeutschen ja in einer gewissen Weise übergestülpt worden ist. Wie verfolgen Sie diese Debatte? Sie haben ja damals aktiv an der Vereinigung der beiden deutschen Staaten mitgewirkt!

    Schäuble: Also, mit einer gewissen Fassungslosigkeit, um es freundlich zu sagen. Ich meine, ich verstehe schon, dass die SPD in den neuen Bundesländern ungeheuer nervös ist, weil sie ja in den Landtagen und fast überall weit hinter der PDS, der Linkspartei auf Rang drei liegt. Sie hat ja in einigen Landtagen so um die zehn Prozent, das heißt, sie muss eher darüber nachdenken, ob sie die Fünf-Prozent-Grenze bei der nächsten Wahl noch erreicht, als dass sie die stärkste Partei werden könnte.

    Aber nun zu glauben, sie müsse eine Debatte vom Zaun brechen, dass die DDR gar kein Unrechtsstaat gewesen wäre, oder nicht so arg, das ist ja nun einigermaßen hirnrissig, genau wie im übrigen die Debatte um die Verfassung. Ich höre, das Grundgesetz sei den Menschen in der DDR übergestülpt worden. Also, ich habe eine gute Erinnerung daran. Die Menschern haben eine friedliche Revolution in der DDR gemacht. Dann fiel die Mauer. Dann gab es freie Wahlen. In diesen freien Wahlen gab es eine übergroße Mehrheit für einen schnellen Beitritt der DDR zum Grundgesetz.

    Diese Debatte ob Grundgesetz oder eine neue Verfassung, war eine kleine Debatte in linksintellektuellen Zirkeln in Westdeutschland. Die Menschen in der DDR hatten nur einen Wunsch: Sie wollten dem Grundgesetz beitreten. Erst haben sie gesagt "Wir sind das Volk", dann haben sie gesagt "Wir sind ein Volk", und dann haben sie gesagt, wir wollen möglichst schnell dem Grundgesetz beitreten.

    Das ist nicht übergestülpt worden. Die frei gewählte Volkskammer hat mit übergroßer Mehrheit entschieden, dem Grundgesetz nach dem damaligen Artikel 23 beizutreten. So ist das geschehen. Das ist die Rechtsgrundlage für die Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 gewesen. Ich vermute übrigens - ich kenne ja Franz Müntefering ganz gut und ich schätze ihn auch - ich glaube, er hat sich da ein bisschen versprochen. Er wollte eigentlich nicht eine Debatte über ein neues Grundgesetz beginnen. Das unterstelle ich ihm gar nicht. Aber dass in seiner Partei genügend sind, die das jetzt gleich aufgreifen, das zeigt, in welchem Zustand der Verwirrung die SPD ist. Deswegen ist es gut, wenn sie nach der Bundestagswahl wieder die Chance hat, in der Opposition einen gewissen Gesundungsprozess zu machen.

    Heckmann: Stichwort Islamismus. In Spanien haben die Anschläge von Madrid unmittelbar vor den Wahlen stattgefunden. Jetzt wird in Deutschland im Herbst gewählt. Wie groß ist Ihre Sorge vor Aktivitäten islamistischer Terroristen hier in Deutschland?

    Schäuble: Aktivitäten islamistischer Terroristen gab es und gibt es. Wir beobachten sie auch durch die Sicherheitsbehörden. Es hat jetzt gerade der Prozess begonnen vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf gegen die sogenannten Sauerlandattentäter, die ja ganz schwere Anschläge mit schweren Folgen mit ungeheuer viel Sprengstoff sehr konkret vorbereitet hatten. Das müssen wir ernst nehmen.

    Aber ich sage auf der anderen Seite auch: Wir sollten den Terroristen, wer immer es ist und wo immer auf der Welt, ganz klar sagen: "Ihr könnt machen, was ihr wollt. Selbst wenn es euch gelingen sollte, Menschen umzubringen, wird es euch nicht gelingen, die freien demokratischen Entscheidungen in unserem Lande zu beeinflussen! Wir lassen uns nicht erpressen! Wir sind ein freier, selbstbewusster demokratischer Rechtsstaat. Wir nehmen Sicherheit ernst. Wir wissen, hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht. Aber unsere Sicherheitsbehörden sind auch nicht schlecht. Und wenn doch etwas passieren sollte, dann lassen wir uns jedenfalls in unseren Wahlentscheidungen davon nicht beeinflussen."

    Das ist, glaube ich, die richtige Antwort. Man sollte den Terroristen ganz klar sagen: "Wir sind nicht erpressbar, ihr könnt uns nicht erpressen! Ihr könnt versuchen, Verbrechen zu begehen. Wir werden versuchen, euch daran zu hindern. Es wird uns nicht immer gelingen, aber Ihr werdet eure Ziele nicht erreichen, lasst es besser bleiben! Beteiligt euch an den Bemühungen in dieser Welt, die genügend Probleme hat - sechseinhalb Milliarden Menschen, demnächst sieben, acht, neun Milliarden bis zur Jahrhundertmitte -, dafür zu sorgen, dass alle Menschen in dieser Welt eine faire Chance auf ein Leben in Würde und Freiheit und in angemessenen materiellen Umständen haben!" Da hat die Menschheit Aufgaben ohne Ende, und die Terroristen sollten endlich aufhören, ihr verbrecherisches Tun fortzusetzen.

    Heckmann: Sie haben den Prozess in Düsseldorf angesprochen gegen diese sogenannte Sauerlandgruppe. Die geplanten Anschläge konnten ja vereitelt werden. Für Sie war dieser Fall auch ein Argument für die Online-Durchsuchung jetzt durch das Bundeskriminalamt. Der ehemalige FDP-Innenminister Gerhart-Rudolf Baum spricht von einer "sicherheitspolitischen Aufrüstung ohne Ende" und zieht nach Karlsruhe.

    Schäuble: Das kann er ja. Dafür haben wir ja das Verfassungsgericht, dass man dort klagen kann. Der Herr Baum redet viel dummes Zeug, und es ist nicht das erste Mal. Es ist ja so: Wir haben in der Föderalismusreform dem Bundeskriminalamt eine Präventivbefugnis, eine Aufgabe der polizeilichen Gefahrenabwehr erstmals übertragen - bisher war das ausschließlich Sache der Länderpolizei - zur Abwehr von Gefahren aus dem internationalen Terrorismus.

    Das war die Umsetzung einer Verfassungsänderung, die mit Zweidrittelmehrheit von Bundestag und Bundesrat, übrigens mit den Stimmen auch der FDP, beschlossen worden ist. Und nun hat sich ergeben, dass der Bundesgerichtshof entschieden hat, dass die neue Technologie der Kommunikation durch das Internet - bisher hat man eben über Telefon kommuniziert, jetzt gibt es eine neue Technologie, da hat die frühere Regierung ja die bisherigen Rechtsgrundlagen der Telefonüberwachung analog angewandt, und der Bundesgerichtshof hat gesagt: "Nein, man muss dafür eine eigene gesetzliche Grundlage schaffen!", nicht mehr und nicht weniger. Das haben wir getan und ich bin ganz sicher, dass diese Rechtsgrundlage den verfassungsrechtlichen Anforderungen in vollem Umfang entspricht. Und deswegen sehe ich jeder Klage in Karlsruhe mit großer Gelassenheit entgegen.

    Unser Grundgesetz beruht auf dem Prinzip, dass in grundrechtlich geschützte Bereiche nur eingegriffen werden kann aufgrund gesetzlicher Regelungen und dass im Einzelfall immer der Richter entscheiden muss, ob die Voraussetzungen gegeben sind. Das ist beim Haftbefehl nicht anders als bei der Hausdurchsuchung. Und bei der Online-Überwachung, wenn sie einmal notwendig sein sollte, ist das genau so. Im übrigen haben in der Tat die Polizeien, die diese Untersuchungen und Ermittlungen gegen die Sauerlandgruppe geführt haben - das Bundeskriminalamt und die Länderpolizeien -, alle miteinander haben gesagt: "So schnell, wie die Terroristen lernen, die moderne Kommunikationstechnologie zu nutzen, hätten wir in ein, zwei Jahren diese Erfolge nicht mehr haben können, wenn wir nicht die Möglichkeit haben, auch in Internetkommunikation einzudringen. 2007 haben wir noch Glück gehabt, da ging es noch so, dass wir die Anschläge verhindern konnten, aber 2008 oder 2009 würden wir es ohne nicht mehr schaffen." Und deswegen haben sie uns gebeten, auch dieses zu berücksichtigen. Das hat der Bundestag mit großer Mehrheit so beschlossen und der Bundesrat auch.

    Heckmann: Herr Schäuble, nach dem Amoklauf von Winnenden ist eine Debatte um eine Verschärfung des Waffenrechts wieder hochgekommen. Die SPD fordert jetzt ein Verbot großkalibriger Waffen für Sportschützen. Machen Sie da mit?

    Schäuble: Nach einem so schrecklichen Vorkommnis wie in Winnenden ist es klar, dass immer eine Debatte beginnt. Die Eltern der Opfer haben es auch gefordert und sie haben jedes Recht, solche Forderungen zu stellen. Deswegen haben wir gesagt, wir wollen darüber nicht im Streit, sondern wir wollen darüber mit den Ländern - die sind ja für den Vollzug des Waffenrechts zuständig -, auch mit den Sportschützen, auch mit den Jägern, mit allen Betroffenen intensiv reden. Wir reden in der Koalition. Wir arbeiten in einer Arbeitsgruppe, die wir einberufen haben vom Innenministerium zusammen mit der Innenministerkonferenz der Länder, ganz einvernehmlich, Sozialdemokraten wie CDU. Und ich glaube auch, dass wir bis zur Innenministerkonferenz im Juni auch gemeinsame Ergebnisse haben. Wir sind gut voran gekommen. Aber wir sind noch nicht am Ende dieser Gespräche. Und wir sind uns auch einig, wenn gesetzgeberischer Handlungsbedarf sein sollte, dann werden wir das auch noch kurzfristig in dieser Legislaturperiode zustande bringen.

    Heckmann: Das heißt, Sie würden dem nicht entgegenstehen, dieser einzelnen Forderung?

    Schäuble: Nein, ganz im Gegenteil. Ich will eine Einigung. Aber ich will Ergebnisse. Ich will nicht nur nach einem solch schrecklichen Ereignis durch Presseerklärung schnell eine mediale Aufregung, und 14 Tage später redet kein Mensch mehr davon, sondern ich will, dass etwas geschieht. Das ist beim Datenschutz im nichtöffentlichen Bereich genau dasselbe. Und auch dieses Gesetz kommt noch zustande, was wir nach der großen Erregung erst bei Telekom und dann bei der Bahn auf den Weg gebracht haben. Inzwischen laufen viele Verbände und andere Medien dagegen Sturm. Aber wir finden eine vernünftige Lösung, und das Gesetz wird noch rechtzeitig verabschiedet.

    Heckmann: Herr Schäuble, blicken wir auf die Zeit nach dem 27. September. Haben Sie noch mal Lust, das Amt des Innenministers auszufüllen?

    Schäuble: Ich bin von meiner Partei in meinem Wahlkreis wieder als Bundestags-Kandidat im Wahlkreis Offenburg aufgestellt worden, mit großer Mehrheit. Die baden-württembergische CDU hat mich auf den ersten Platz ihrer Landesliste gesetzt. Also, ich kandidiere wieder für den Bundestag, und das mache ich, weil mir Politik Freude macht. Alles andere werden wir nach der Wahl sehen. Ich sagte ja: Im Augenblick habe ich ganz andere Sorgen als die Zeit nach der Bundestagswahl.

    Heckmann: Herr Minister, ich danke Ihnen für das Gespräch.