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Keine Zeit für Deutschbegeisterung

2500 Hochschullehrerinnen und -lehrer tagen derzeit in Bozen über Theorie und Praxis des Deutschunterrichts. Rainer Wicke von der Zentralstelle für das Auslandsschulwesen bedauert, dass Lehrer zu wenig Zeit hätten, Kindern den hohen Stellenwert deutscher Sprache und literarischer Texte zu zeigen.

Rainer Wicke im Gespräch mit Ulrike Burgwinkel |
    Ulrike Burgwinkel: In Bozen treffen sich ab heute über 2500 Hochschullehrerinnen und -lehrer aus aller Welt zu ihrer Tagung. Sie wollen sich austauschen über den aktuellen Stand der Debatte in Theorie und Praxis in ihrem Fach. Sie alle unterrichten Deutsch. Das Motto der Tagung lautet "Deutsch von Innen, Deutsch von Außen", und was das bedeutet, das hat mir Dr. Rainer Wicke von der Zentralstelle für das Auslandsschulwesen erklärt.

    Rainer Wicke: Das hat doppelte Bedeutung sozusagen. Einmal ist ja Südtirol als Standort gewählt worden, weil hier nicht nur Einflüsse der deutschen Sprache von außen kommen, sondern weil die auch von innen existent sind. Das heißt, in der Südtiroler autonomen Provinz wird Deutsch ja als Umgangssprache oder Verkehrssprache genutzt. Das ist der eine Grund. Und er andere, den sehe ich darin, Deutsch muss von außen an die Personen, die die Sprache lernen sollen, herangetragen werden, aber man muss diese Sprache auch leben, Motivation muss auch von innen kommen.

    Burgwinkel: Wie ist denn der Stand der Deutschvermittlung insgesamt, das Interesse? Sie wollen ja nun auch begeistern für die deutsche Sprache!

    Wicke: Ja, man weiß ja, dass Englisch überall auf dem Vormarsch ist, und da hat Deutsch einen bisschen schweren Stand. Das ist auch einer der Gründe, warum die Zentralstelle für das Auslandsschulwesen, das Goethe-Institut und die anderen Mittler hier existent sind, präsent sind, um eben darauf hinzuweisen, dass Deutsch eigentlich gar nicht so schwer ist, dass Deutsch Spaß machen kann, dass man sich mit der deutschen Sprache auseinandersetzen und dass man interkulturell von ihr profitieren kann.

    Burgwinkel: Ist es denn Ihrer Erfahrung nach so, dass die Arbeitslosigkeit in Europa und der Fachkräftemangel in Deutschland vielleicht doch so ein bisschen anschieben auch das Interesse an der deutschen Sprache?

    Wicke: Ich will nicht ausschließen, dass auch ökonomische Gründe dafür sprechen, sich mit Deutsch zu befassen. Wenn man sich die Statistiken ansieht, dann ist Deutschland ein wichtiger Handelspartner in Europa und Übersee. Ich habe selbst junge Leute unterrichtet in Tschechien, die wussten ganz genau, ich werde irgendwann in der Europäischen Union arbeiten und dafür brauche ich neben anderen Fremdsprachen auch die deutsche Sprache. Ich denke, das Bewusstsein bei Jugendlichen ist heute sehr hoch, dass man mit Fremdsprachenkenntnissen – Klammer auf:- auch zu den Handelspartnern, Klammer zu, doch beruflich sehr profitieren kann.

    Burgwinkel: Eine vielleicht etwas andere Sache: Wie ist es denn mit Deutsch-Lernen in Deutschland? Der deutsche Lehrerverband, der hat das zuletzt noch beklagt, eine eklatante Vernachlässigung, nur ein Sechstel des Unterrichts wurde insgesamt auf die Muttersprache verwendet.

    Wicke: Schon seit den 60er-, 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts sind ja Mitbürger in Deutschland anwesend, die über andere Sprachen verfügen, die sogenannten Familien oder Kinder mit Migrantenhintergrund. Ich denke, in Deutschland muss man das doch d intensivieren, weil wir es grob vernachlässigt haben. Wir haben zwar Fördermaßnahmen ergriffen für diese Jugendlichen, aber sie waren eher, ja, sage ich mal, so ein Tropfen auf den heißen Stein. Da verbirgt sich eine ungeheure Chance, diese Kinder mit Migrantenhintergrund zu fördern und ihnen Deutschkenntnisse beizubringen, sodass sie noch aktiver an der Gesellschaft teilnehmen können. Und umgekehrt, es gibt eine unheimliche Vielfalt bei uns!

    Burgwinkel: Ich denke, es müssen aber insgesamt alle Schüler, nicht nur Schüler mit Migrationshintergrund gefördert werden! Also, der "Spiegel" sprach von der deutschen Schlechtschreibung, weil wohl Orthografie oder Grammatik überhaupt nicht mehr unterrichtet werden in ausreichendem Maße.

    Wicke: Für mich ist ganz klar, ich bin ein sehr engagierter Verfechter des kommunikativen Ansatzes gewesen, als dieser aufkam, und ich bin auch ein sehr engagierter Verfechter des kompetenzorientierten Unterrichts. Nur sehe ich eine große Gefahr, dass diese Standardisierung, die in unserer Gesellschaft zurzeit stattfindet, dazu führt, dass "teaching to the test" betrieben wird, wie die Amerikaner sagen, und dass wir gar nicht mehr versuchen, individuelle Förderung der Kinder zu berücksichtigen. Und da liegt für mich ein ganz, ganz großes Manko, dass wir als Lehrer gar nicht mehr so die Zeit haben, uns um individuelle Betreuung zu kümmern, dass wir gar nicht mehr die Zeit haben, den Kindern zu zeigen, dass literarische, deutschsprachige literarische Texte einen hohen Stellenwert haben, dass es Spaß macht sich damit auseinanderzusetzen, und dass es da auch sinnvoll sein kann, grammatisch richtig zu formulieren, wenn man über diese Dinge spricht oder wenn man Texte darüber schreibt.

    Burgwinkel: Das war Dr. Rainer Wicke von der Zentralstelle für das Auslandsschulwesen über Motto und Themen der Tagung der Deutschlehrer, per Handy direkt aus Bozen.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.