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Keine Zensur, aber auch keine Kritik

Presse- und Meinungsfreiheit war eine der zentralen Forderungen der Menschen, die in der Ukraine für einen Machtwechsel auf die Straße gingen. Vor der so genannten orange-farbenen Revolution hatte es dort nur einen oppositionellen Fernsehkanal gegeben. Unter dem neuen Präsidenten Viktor Juschtschenko wurde die Zensur zwar abgeschafft, verbessert hat sich die Situation aber kaum. Das liegt vor allem an den Journalisten selbst. Denn viele sympathisieren mit Juschtschenko und wollen ihn nicht kritisieren. Ein Bericht von Gesine Dornblüth.

07.09.2005
    Es war am 25. Juli, als Serhiy Leschtschenko, Chefreporter der Internetzeitung "Ukrayinska pravda" den Zorn des Präsidenten auf sich zog. Während einer Pressekonferenz stellte er die Frage, woher dessen Sohn so viel Geld habe, sich als Student einen neuen BMW und teure Restaurant besuche leisten zu können. Viktor Juschtschenko, angetreten, um mit Korruption und Vetternwirtschaft in der Ukraine aufzuräumen, beschimpfte den 25jährigen Leschtschenko daraufhin als "Auftragsmörder". Der wirkt noch immer etwas durcheinander:

    "Ehrlich gesagt, anfangs hat mich das gar nicht so sehr getroffen wie später, als ich es wieder und wieder im Fernsehen gesehen und darüber nachgedacht habe."

    Ein gutes halbes Jahr nach dem Machtwechsel gibt es in der Ukraine keine Zensur mehr. Besonders gut ist es um die Pressefreiheit deshalb trotzdem nicht bestellt. Sergiy Taran, selbst Journalist, leitet das unabhängige "Institut für Masseninformation" in Kiew:

    "In den USA tritt der Präsident nach journalistischen Recherchen zurück. In der Ukraine können Journalisten noch so negativ über Politiker schreiben - die ignorieren das einfach. Ein weiteres Problem ist, dass die Regierung versucht, in den ukrainischen Medienmarkt einzugreifen."

    Das beunruhigt auch Natalja Ligatschowa. Und es erinnert sie an die Zeit unter Ex-Präsident Kutschma, als acht Fernsehsender von nur zwei präsidententreuen Familien kontrolliert wurden. Ligatschowa wertet in ihrer Zeitschrift Telekritika regelmäßig ukrainische Medien aus:

    "Alle, die offen für Kutschma gearbeitet haben, halten sich nach wie vor über Wasser. Sie haben damals viel Geld verdient, und sie werden keineswegs von ihren Kollegen deshalb an den Pranger gestellt. Die Leute, die für Kutschma gearbeitet haben, sind alle noch auf ihren Posten."

    Das größte Problem der ukrainischen Medien ist ihrer Ansicht nach die Selbstzensur. Denn viele Journalisten haben sich während der so genannten orangefarbenen Revolution auf die Seite Juschtschenkos geschlagen und sehen dessen Reformkurs nun als ihre eigene "Mission".

    "Die Situation ist kompliziert. Manche Journalisten halten sich jetzt in ihrer Kritik gegenüber der Regierung zurück, weil sie Angst haben, damit Wasser auf die Mühlen der alten Machthaber zu gießen. Dabei ist es die Pflicht von Journalisten zu kritisieren. Ich glaube, diese Selbstzensur wird bis zur Parlamentswahl im Frühjahr anhalten. Die Journalisten wollen nicht als Killer der Regierung auftreten. Sie wollen nicht den Leuten dienen, von denen sie früher unterdrückt wurden."

    Auch Ligatschowa spürt diesen Zwiespalt, warnt aber vor den Konsequenzen eines solchen Schmusekurses:

    "Wir versuchen, der neuen Regierung beizubringen, demokratisch zu handeln. Leider vermag sie das nicht. Sie arbeitet, was demokratische Mechanismen angeht, ganz ähnlich wie die alte Regierung: Sie will das Wohl des Landes, aber sie will es mit harter Hand und mit Druck erreichen und nicht im Konsens, nicht, indem sie die Gesellschaft beteiligt. Da muss man die Regierung rechtzeitig aufhalten und ihr sagen: Leute, es gibt die und die Regeln der Demokratie, und an die müsst ihr euch halten."

    Sergij Taran vom Institut für Masseninformation sieht bei allen Problemen, die die Ukraine ein gutes halbes Jahr nach dem Umbruch mit demokratischen Umgangsformen noch hat, massive Fortschritte.

    "Vor einem Jahr hätte ich gesagt, dass ich glücklich wäre, wenn wir nur diese Probleme hätten. Denn da wurden wir zensiert. Nun sind wir glücklich, dass wir nur noch diese Probleme haben, und ich hoffe, dass die in einem Jahr auch gelöst sind."

    Präsident Juschtschenko hat mittlerweile bei Serhiy Leschtschenko, dem von ihm als "Auftragskiller" verunglimpften Reporter der Ukrainska Pravda, angerufen. Zuvor hatten etwa 700 ukrainische Journalisten einen Aufruf im Internet unterzeichnet, in dem sie eine Entschuldigung Juschtschenkos forderten. Wirklich um Entschuldigung gebeten habe ihn der Präsident nicht, erzählt Leschtschenko. Er hat sich trotzdem mit dem Gespräch zufrieden gegeben.

    "Es war mir unangenehm. Ich hatte ja gar keine Entschuldigung gefordert. Aber es war wichtig, dass er angerufen hat, um die Kuh vom Eis zu kriegen. Denn sonst wäre daraus ein landesweiter Konflikt geworden, und das war die Sache nicht wert."

    Die Frage, woher das Geld des Präsidentensohnes stammt, bleibt indes nach wie vor ungeklärt.