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Kemmer: Athen muss von hohen Schulden runterkommen

Michael Kemmer, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands deutscher Banken, sagt, dass durch die politische Lage "eine völlig unüberschaubare und schwer abzuschätzende Situation" in Griechenland herrsche. Banken seien daher momentan nicht dazu bereit, sich zu engagieren. Athen müsse dabei bleiben, seinen Haushalt zu konsolidieren, so Kemmer weiter.

Michael Kemmer im Gespräch mit Dirk Müller | 11.05.2012
    Dirk Müller: Von Erdrutschsiegen ist des Öfteren die Rede nach Wahlgängen in der Politik - vergangenes Jahr beispielsweise in Baden-Württemberg, als die Grünen die Sozialdemokraten hinter sich ließen und somit in einer Koalition den Regierungschef stellen konnten. In Griechenland war es jetzt eher eine Erdrutschniederlage, und das gleich für zwei Parteien, die das Land seit Jahrzehnten politisch geprägt und, wie viele jetzt sagen, misshandelt haben - für die Konservativen und für die Sozialisten. Jetzt ist es nahezu unmöglich, eine stabile Regierung in Athen auf den Weg zu bringen. Es drohen ein paar Tage nach den Wahlen schon wieder Neuwahlen und es droht, dass der Staat seine Schulden nicht mehr bedienen kann - auch weil die Euroländer unter diesen Umständen nur schwer bereit sind, die nächsten vereinbarten Hilfsgelder Richtung Akropolis zu überweisen.

    Die Krise in Athen und die Geldinstitute - darüber sprechen wollen wir nun mit Michael Kemmer, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der deutschen Banken. Guten Morgen!

    Michael Kemmer: Guten Morgen, Herr Müller.

    Müller: Herr Kemmer, haben Sie Griechenland schon abgeschrieben?

    Kemmer: Nein, wir haben Griechenland noch nicht abgeschrieben. Das was jetzt Venizelos sagte, klang ja so unvernünftig nicht, wenn ich es vergleiche mit dem, was am Sonntag/Montag gesagt worden ist. Aber man muss mal schauen. Der Schlüssel für die Lösung des Problems liegt in der Hand der Griechen und ich hoffe, dass sie verantwortungsvoll genug sind, diesen Schlüssel auch zu nutzen, denn letztendlich würde ein Scheitern dieser ganzen Geschichte sich in erster Linie auf die Griechen auswirken. Die wären die absolut Leidtragenden, wenn das Ganze schiefgehen würde.

    Müller: Und die Eurozone würde das gut verkraften?

    Kemmer: Also ich glaube, dass die Eurozone es verkraften könnte. Schön wäre es natürlich nicht, weil wir brechen einen wichtigen Stein heraus und prinzipiell ist ja die Unumkehrbarkeit der Währungsunion ihr konstituierendes Merkmal. Und wenn ein Land dann auf einmal doch ausscheiden würde, dann würden sich natürlich alle fragen, ist das erst der Anfang, kommt dann das nächste Land, ist die Währungsunion insgesamt gefährdet, und das wäre natürlich eine Entwicklung, die überhaupt niemanden erfreuen kann. Also es ist nicht so, dass man sagt, das können wir locker abhaken, das will auch niemand, aber ich glaube, die unmittelbaren Auswirkungen wären begrenzt. Das hat auch Bundesfinanzminister Schäuble gestern Abend völlig zurecht gesagt. Wir sind jetzt sicherlich besser vorbereitet auf einen solchen Schritt, als wir es vor zwei Jahren gewesen wären, aber herbeireden sollten wir ihn alle miteinander nicht.

    Müller: Wir kennen, Herr Kemmer, das Wählervotum vom vergangenen Wochenende, ein Votum ganz eindeutig gegen die geplanten Reformen, gegen den geplanten Sparkurs. Kann man ein Land gegen die Bevölkerung zwingen zu sparen?

    Kemmer: Nein, das geht sicherlich nicht. Die Bevölkerung muss hier mitziehen. Das war sicherlich eine Denkzettelwahl gegen die zwei großen Parteien, die ja das Land über die letzten Jahrzehnte regiert haben. Und wenn Sie in Griechenland sind - und ich bin gelegentlich dort - und Sie sprechen mit den Leuten, dann schimpfen die natürlich sehr auf die Politik und sagen, die Politiker haben uns das eingebrockt, und sie schimpfen in gleicher Weise auf die beiden großen Parteien, und da haben sie jetzt sicherlich bei der Wahl am Sonntag Dampf abgelassen. Ich bin aber schon sehr zuversichtlich, dass alle Verantwortlichen und auch das Volk zur Einsicht kommen, dass ein Weitermachen, so wie man es bisher gemacht hat, also Sparanstrengungen, Konsolidierungsanstrengungen, vielleicht auch versehen mit zusätzlichen Wachstumsimpulsen, dass das zwar hart ist für Griechenland, unangenehm ist, aber letztlich immer noch die am wenigsten schmerzhafte Alternative.

    Müller: Bleiben wir bei dem Thema Wachstum. Das ist inzwischen auch bei der Kanzlerin angekommen, auch bei Ihnen, bei den Banken.

    Kemmer: Ja! Es ist, glaube ich, richtig, dass man versucht, Wachstumsimpulse zu setzen. Man muss aber sehr genau aufpassen, was man tut. Wenn man öffentliche und private Investitionen ankurbelt, dann ist das mit Sicherheit sehr sinnvoll, und da gibt es auch Methoden dafür, die muss man sehr sorgfältig abwägen. Was überhaupt keinen Sinn macht, sind irgendwelche Strohfeuer, dass wir irgendwelche kreditfinanzierten Ausgabenprogramme voranschieben, denn das würde letztendlich die Wirtschaft nur sehr kurzfristig ankurbeln und würde auf der anderen Seite aber das Vertrauen der Investoren, derjenigen, die den Ländern der Eurozone Geld geben sollen, deutlich erschüttern, denn wahrscheinlich wären solche Wachstumsprogramme ja ohnehin nur durch zusätzliche Kreditaufnahme zu finanzieren. Das heißt, Wachstumsimpulse im Prinzip ja, aber man muss hier sehr, sehr sorgfältig abwägen, was man tut, und man muss unbedingt das richtige tun.

    Müller: Herr Kemmer, ich muss hier noch mal nachfragen. Das heißt, wenn es zu Investitionsprogrammen kommen soll - Sie haben gesagt, dazu gehören auch Kredite -, dann sind die Banken, die Milliarden in Griechenland verloren haben, auch wieder bereit, mit in die Bütt zu springen?

    Kemmer: Das ist eine sehr, sehr schwierige Frage. Hier ist - und darüber wird ja auch im Moment nachgedacht - mit Sicherheit zunächst mal eine öffentliche Einrichtung wie beispielsweise die Europäische Investitionsbank gefragt. Ich glaube nicht, dass die Banken momentan dazu bereit wären, in größerem Umfang sich in Griechenland zu engagieren, denn da sitzen schon noch die Nachwirkungen dieses massiven Schuldenschnitts in den Knochen und das können sie als Bank momentan überhaupt nicht ihren Aktionären zumuten, dass sie jetzt neues Geld reingeben in eine völlig unüberschaubare und schwer abzuschätzende Situation. Aber die Europäische Union hat genügend Möglichkeiten, hier etwas zu tun, und die Banken werden sich wie in der Vergangenheit einem vernünftigen Programm sicherlich nicht verweigern.

    Müller: Auch die privaten Banken?

    Kemmer: Davon ist auf jeden Fall auszugehen. Aber es muss natürlich zunächst der Impuls von der öffentlichen Hand kommen. die Situation ist so verfahren, dass Sie mit normalen marktwirtschaftlichen Investitionen, mit normalen marktwirtschaftlichen Kreditvergaben momentan nicht rechnen können.

    Müller: Es gibt ja eine große Vertrauenskrise zwischen den Banken untereinander. Das hat Wolfgang Schäuble, der Finanzminister, immer wieder gesagt, Sie haben das auch in einem Deutschlandfunk-Interview vor wenigen Monaten hier an dieser Stelle eingeräumt. Dieses Vertrauen, dieser Vertrauensbruch, den es gegeben hat, ist das besser geworden?

    Kemmer: Die Vertrauenskrise besteht nach wie vor. Die Refinanzierung der Banken ist besser geworden, das hat aber in erster Linie zu tun mit den großen Tendern, die die Europäische Zentralbank zur Verfügung gestellt haben. Dadurch, dass die Situation in der Eurozone immer noch so unsicher ist, ist auch das Vertrauen noch nicht in vollem Umfang zurückgekehrt. Es gibt ein paar Silberstreifen am Horizont, es haben einzelne Banken auch wieder länger laufende Anleihen platzieren können, aber die Situation ist immer noch sehr, sehr labil und wir sollten hier uns nicht die Illusion machen, dass wir aus dem gröbsten schon heraus sind. Wir müssen hier Schritt für Schritt weiter arbeiten. Der Schlüssel liegt in der Lösung der Staatsschuldenkrise, hier müssen die Staaten auf dem eingeschlagenen Weg weitermachen, sie müssen die Haushalte konsolidieren, sie müssen schauen, dass sie von den hohen Schulden runterkommen, und wenn das gelingt, wird auch das Vertrauen der Märkte zurückkehren und dann wird auch das Vertrauen der Banken untereinander zurückkehren.

    Müller: Diese Konsolidierung, Herr Kemmer, das wollen ja auch die Spanier, das will ja auch die spanische Regierung zumindest. Jetzt musste die spanische Regierung die viertgrößte Bank de facto verstaatlichen. Woher kommt da das Geld und wie kontraproduktiv ist das?

    Kemmer: Ja das ist natürlich keine schöne Entwicklung. Sie kommt nicht sehr überraschend. Spaniens Wirtschaft insgesamt ist sehr immobilienlastig, es hat dort eine klare Blasenbildung gegeben. Das heißt also, die Preise an den Immobilienmärkten sind absolut davongelaufen. Die kommen jetzt wieder auf ein realistisches Niveau runter und das belastet insbesondere die Banken, die in erster Linie in Immobilienkrediten engagiert sind. Das ist schwierig. Das Programm, das jetzt angestoßen worden ist, erscheint mir auf den ersten Blick sinnvoll und vernünftig zu sein. Aber Ihre Frage ist völlig berechtigt: Wo kommt das Geld her für die Bankenrettung. Es gibt ja hier Mechanismen, die letztes Jahr im Herbst verabschiedet worden sind, nämlich dass der EFSF Geld an klamme Staaten geben kann, wenn die dieses Geld für die Rettung ihrer Banken brauchen. Es kann durchaus sein, dass das in diesem Fall so erfolgen wird, aber dann muss natürlich Spanien auch akzeptieren, dass es gewisse Auflagen des Rettungsschirms gibt. Das wollen sie im Moment noch nicht, das ist auch verständlich, dass sie es nicht wollen. Wenn sie es aus eigener Kraft schaffen, wäre es ihnen zu wünschen. Wenn sie es nicht aus eigener Kraft schaffen, sind die Mechanismen da. Die müssen aber dann durchgezogen werden mit allem, was vereinbart worden ist.

    Müller: Wir haben Griechenland, wir haben Portugal beziehungsweise Spanien jetzt in dieser aktuellen Diskussion. Wolfgang Schäuble hat gestern gesagt, wir sind viel, viel besser auf die Krise vorbereitet als vor zwei Jahren. Hat er da recht?

    Kemmer: Da hat er absolut recht. Da gibt es verschiedene Facetten. Es ist einmal ein gewisser psychologischer Gewöhnungseffekt, dass die Leute nicht mehr völlig geschockt sind, wenn man darüber spricht, dass beispielsweise Griechenland aus der Währungsunion austreten könnte, was keine gute Alternative ist, um das ganz deutlich zu sagen. Aber wenn Sie schauen: Durch den griechischen Schuldenschnitt sind die Forderungen der Banken an Griechenland weit, weit abgeschrieben. Das heißt, das isoliert stellt keine Bedrohung dar. Wir haben natürlich Ansteckungseffekte, die keiner richtig abschätzen kann. Das ist die eigentliche Gefahr. wir wissen nicht, was für die anderen Länder herauskommen würde, wenn beispielsweise Griechenland kippen würde. Aber dadurch, dass wir jetzt einfach zwei Jahre Erfahrung mit dieser schweren Staatsschuldenkrise haben, sind wir sehr viel besser vorbereitet. Wir haben Mechanismen eingeführt über den EFSF, über den ESM und alles, was dazugehört, dass wir die Dinge, glaube ich, händeln könnten. Ich will es aber nicht bagatellisieren, wir sind in einer nach wie vor sehr ernsten Situation. Aber ich stimme da Wolfgang Schäuble völlig zu: Wir sind besser darauf eingestellt, als wir es vor zwei Jahren gewesen wären.

    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk Michael Kemmer, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der deutschen Banken. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Kemmer: Gerne.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.