"Meine Stimme hat sich im Laufe der Zeit entwickelt. Schon als ich klein war, hab ich gesungen. Ja, ich habe eine kleine und eine große Stimme. In mir schlummerte schon immer eine große Stimme. Also zuerst mal meine kleine Stimme, einen Moment, ich suche nach einer Melodie. ... Und jetzt meine große Stimme."
Eine einzigartige, kraftvolle Stimme steckt im kleinen zierlichen Körper von Kendra Morris. Aufgewachsen ist die 32-jährige Sängerin in Florida. Seit einigen Jahren lebt sie in New York. Von klein an bestimmt Musik ihr Leben. Ihre dunklen Augen funkeln, als sie von ihrem gerade erschienen Debüt "Banshee" spricht. Sie wirft ihre langen blonden Haare nach hinten.
"Ich bin von den sogenannten Banshees, von diesen im irischen Volksglauben verbreiteten weiblichen geisterhaften Wesen fasziniert. Ich liebe das Mysteriöse, Unbekannte. Banshees waren für mich einerseits gruselig und andererseits fesselnd. Ich habe sie immer mit dem Tod und dem kalten Wasser vor der irischen Küste in Verbindung gebracht. Ich vermutete Banshees in Küstenfelsen und Höhlen. Sie tauchen auf um einen Tod anzukündigen, wie in dem gleichnamigen Lied meines Albums. Hier bringen Jungen einen Mann um und sofort erscheint diese Geisterwesen."
Früher schaltete Kendra Morris im Pool die Lichter aus und begab sich auf die Suche nach Monstern und Banshees. Heute leben diese Wesen in ihrem Debütwerk "Banshee" weiter. Die 14 Songs des aktuellen Albums reflektieren ihren Lebensweg, thematisieren ihre Gefühle und Vorstellungen. Sie musste kämpfen, um sich als Sängerin durchzusetzen. Diese Haltung reflektiert der Song "Waiting":
"Ja, ich musste immer warten und habe gemerkt, ich darf nicht aufgeben. Am Anfang in New York sagten meine Freunde im Musikgeschäft immer, deine Musik ist gut. Aber keiner gab mir die Chance, irgendwo aufzutreten. Ich war damals wohl nicht cool genug. Ich denke, man muss an sich glauben. Angst lähmt. Würden wir uns von der Angst überwältigen lassen, wären wir immer noch Höhlenmenschen."
Dabei hat sie sich als Achtjährige selbst ganz gerne in ihre eigene Höhle verkrochen: Mit einer Karaoke-Maschine nahm sie im Schrank erste Songs auf.
"Ich hab immer noch diese kleine goldene Leiter vor Augen. Sie war mein Spiegel und mein Zugang zu einer anderen Welt. Wenn ich die Stufen hochging, tauchte ich in eine kleine Kammer ein. Das war mein Universum voller Lieder und Melodien. Dort verbrachte ich Stunden, dachte mir Lieder aus, sang über das, was ich gerade fühlte. Eines meiner Lieblingslieder ging damals über eine Prinzessin. Ich war zwar viel allein, aber ich fühlte mich nie einsam. Wenn man mich fragte, was ich eines Tages werden wollte, war meine Antwort: Ich werde Sängerin. Davon war ich damals schon felsenfest überzeugt."
Später arbeitete Kendra Morris mit einem Achtspur-Aufnahmegerät, machte 2003 erste musikalische Schritte mit der Girl-Band Pinktricity. 2011 erhielt sie den Holly Prize, eine Auszeichnung für vielversprechende Singer und Songwriter. Schließlich wurde die Musikszene hellhörig: So absolvierte sie eine Tour mit dem Motown-Gitarristen Dennis Coffey und kurz darauf steuerte der New Yorker DJ-Premier einen Remix ihrer Single "Concrete Waves" bei.
Vorliebe vor Soul-Musik
Die Zusammenarbeit mit einem Motown-Künstler bestätigte Sie in ihrer Vorliebe für den Soul.
"Für mich gab es schon immer den Soul, ich konnte nie viel mit Popmusik anfangen. Damals in Florida hörte ich den Radiosender Oldies 92,5, da lief immer Soul-Musik. Auch meine Eltern faszinierte der Soul. Durch meinen Vater lernte ich Soul- und Funk-Bands wie Tower Of Power oder War kenne, denen mein Herz gehört. Ich liebe Soul-Melodien."
Ihre Vorbilder sind Marvin Gaye, Stevie Wonder, The Jackson 5 oder The Temptations. Wenn man ein solches Timbre hat und dann auch noch Soul singt, wird man leicht mit Amy Winehouse in Verbindung gebracht. Wie kann man sich da eigentlich behaupten?
Im Vergleich mit Amy Winehouse
"Es gibt immer mal wieder Vergleiche. Das ist schmeichelhaft mit Amy Winehouse verglichen zu werden. Sie war großartig und äußerst begabt. Doch mir ist es wichtig, ich selbst zu sein und auch zu bleiben. Ein kleiner Motor in mir treibt mich dazu an, weiter zu machen und besser zu werden und vor allen Dingen meinen eigenen Stil zu finden. Ich will nicht jemanden nachmachen. Das ist mit viel Arbeit verbunden. Das heißt, nie aufgeben, immer am Ball bleiben, neue Songs kreieren und so weiter. Ich fordere mich ständig heraus und möchte, dass man eines Tages sagt, das ist Kendra Morris. Ich bin als Kendra Morris geboren und ich werde als Kendra Morris sterben."
"Es gab Zeiten, in den 90ern beispielsweise, da haben die Pop-Divas den Soul etwas verdrängt, obwohl selbst einige dieser Stars Soul machten. Whitney Houston wäre da zu nennen. Ich glaube, der Soul feiert gerade heute ein Comeback, weil wir wieder den warmen, analogen Klang von früher suchen. Denn je weiter das digitale Zeitalter mit seinem klinischen, nüchternen Produktionen voranschreitet, desto mehr sehnen wir uns nach dem realen und authentischen Sound der damaligen Soul-Musik zurück."