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Kenia
Wie Politiker ethnische Konflikte ausnutzen

Von Utz Dräger |
    Kenia im Jahr 2007 - wütende Mobs brandschatzen und töten wahllos, Menschen rennen um ihr Leben. Die Ausschreitungen nach den Wahlen zur Präsidentschaft stürzen das Land binnen weniger Tage und Wochen in Chaos und bürgerkriegsähnliche Zustände.
    "Es war wie ein Blutrausch", erinnert sich später Geoffrey Mwauru, ein Augenzeuge der Gewalt - "Banden sind umhergezogen. Sie haben Menschen niedergemetzelt und Häuser in Brand gesetzt. Ich bin um mein Leben gerannt und musste dabei über viele Leichen springen."
    Auslöser für die gewaltsamen Zusammenstöße ist der mehr als fragwürdige Sieg des bisherigen Amtsinhabers Mwai Kibaki. Viele Kenianer wittern Wahlbetrug.
    Die Unruhen nach der Wahl fordern über eintausend Tote, mehr als eine halbe Million Menschen werden vertrieben.
    Die Fronten bei den Konflikten verlaufen überwiegend entlang ethnischer Linien. In Kenia leben über vierzig verschiedene Volksgruppen - und diese fallen in bestimmten Konstellationen nun übereinander her.
    "Die ethnische Zugehörigkeit wird manipuliert von Politikern, um ihre Macht zu verankern."
    Gladwell Othieno arbeitet und lebt in Nairobi und Berlin, sie ist Mitbegründerin und Direktorin des "Africa Center for Open Governance".
    "Es ist sehr leicht an die Macht zu kommen, wenn man eine Gruppe von Leuten als ein Wahlvolk hinter sich bringen kann. Und deswegen hat sich das so verankert in Kenia, weil der Konflikt von Politikern immer geschürt wird, um ihre eigenen Positionen zu festigen."
    "They are willing and ready to kill you! And they will do it!!!"
    "Sie sind bereit dich zu töten und das werden sie auch tun!"
    Hassschürende Reden, die zur ethnischen Spaltung beitragen wie die dieses Parlamentsabgeordneten sind mittlerweile in Kenia verboten. Kenias Volksgruppen sprechen eigene Sprachen - gerade in den Radiosendern der jeweiligen Gemeinschaften wurde auch während der Wahl 2007 massiv gegen bestimmte andere gehetzt. Als Futter dienten dabei auch reale Streitigkeiten. Es geht um Land, Besitz und Dinge wie den Zugang zu Wasser.
    Mordaufträge als politisches Instrument
    Mehr noch - Politiker bezahlten insbesondere arbeitslose Jugendliche, um Angst zu verbreiten und ethnische Konflikte zu befeuern. Weit mehr als die Hälfte der vielen jungen Menschen in Kenia hat keinen Job. Generell klafft die soziale Schere weit auseinander. Millionen leben von fast nichts, eine reiche Elite besitzt weite Teile von Land und Wirtschaft.
    Dieser junge Mann, der sich Tom nennt, gesteht im Auftrag eines namhaften Politikers auch bei den letzten Wahlen 2013 in den Slums Nairobis für Unruhe gesorgt zu haben.
    "Weil wir kein Geld haben, nehmen wir auch Mord-Aufträge an, um irgendetwas zu verdienen. Meistens werden wir dafür bezahlt, Unruhe zu stiften, Menschen zu entführen oder den Besitz anderer zu zerstören."
    Politikern, die solche Aufträge bezahlen, geht es schlicht um den eigenen Machtgewinn - wie auch in der Politik. Die Programme der verschiedenen Parteien lassen sich mitunter kaum voneinander unterscheiden.
    Das in der politischen Praxis der Volkszugehörigkeit eine zentrale Bedeutung zukommt, untergräbt laut Gladwell Otieno auch in der Gegenwart fundamentale demokratische Prozesse.
    "Es ist klar zu sehen, wir haben im Moment eine Regierung, die sehr viele Fehler gemacht hat. Aber man merkt, dass die Kritik meist nicht akzeptiert wird von denjenigen, die diese Regierung unterstützen. Nicht weil sie nicht einsehen, dass Fehler gemacht werden, sondern weil das "ihre Leute" sind. Und die darf man nicht kritisieren."
    Wer Kenia besucht hat, weiß, dass man im Alltag wenig bis gar nichts von einer Spaltung oder Zersplitterung des Landes spürt.
    Ethnische Unterschiede spielen im Alltag keine Rolle - in der Politik schon
    Der Anthropologe und Afrika-Experte Owuor Olunga forscht an der Universität Nairobi zum Thema "ethnische Identitäten und Beziehungen". Er bestätigt diesen Eindruck.
    "Die ethnische Identität spielt im Alltag so gut wie keine Rolle. Normalerweise sind sich alle darüber bewusst, dass man sich gegenseitig braucht. Wir brauchen uns etwa für den Handel - wir brauchen die Loyalität der Kamba, die Geschäftstüchtigkeit der Kikuyu, den Stolz der Luo - daraus entsteht ein Cocktail, das ist Kenia. Animositäten entstehen nur im Politischen. Weil es im Politischen eine "Alles für den Sieger"Mentalität gibt."
    Wer an der Macht ist, versorgt in erster Linie sich selbst und die eigene Gemeinschaft. Kenias Politiker gönnen sich gemessen am Durchschnittsverdienst der Bevölkerung mit die höchsten Diäten weltweit. Der Staat als größter Arbeitgeber vergibt die Jobs - unter der Hand - immer wieder nach ethnischer Abstammung.
    Selbst wenn Wähler bettelarm und perspektivlos sind, glauben sie deshalb häufig, dass mit einem mächtigen Politiker ihrer Abstammung an der Spitze auch das eigene Leben besser werden kann.
    Ein Grund, warum der Konflikt um den zweifelhaften Wahlausgang 2007 dermaßen eskalierte. Den Menschenging es um existenzielle Fragen und eine vermeintliche Verbesserung des Lebens.
    "Es wird nichts besser wenn wir uns hinsetzen und schweigen", sagte 2007 dieser aufgebrachte Demonstrant "...ohne Blut wird nichts besser."
    An diese Formel glauben viele heute noch - ob junge Rekruten der Al Shabaab an der Küste Kenias oder Viehhirten im Norden des Landes. Gruppen, die sich entrechtet und benachteiligt fühlen, sind schnell bereit, zur Waffe zur greifen. Immer wieder kommt es teils unbemerkt von der internationalen Öffentlichkeit zu blutigen Massakern, häufig zwischen Angehörigen verschiedener Volksgruppen.
    Wie ethnische Konflikte gelöst werden könnten
    Welchen anderen Weg Kenia von Anfang an hätte nehmen können, wird am Beispiel des Nachbarlandes Tansania deutlich. Auch in Tansania gibt es eine große ethnische Vielfalt.
    Nach der Unabhängigkeit verfolgte man dort jedoch eine sozialistische Agenda, setzte nicht wie in Kenia auf den Leistungs-, sondern vielmehr auf den Gedanken des Ausgleichs und betonte die nationale Einheit - nicht zuletzt indem man früh "Swahili" als gemeinsame Sprache einführte.
    In Kenia wurde "Swahili" erst 1992 offizielle Amtssprache. Unter dem Eindruck der Wahlunruhen 2007 und 2008 gab sich Kenia etwas später eine neue Verfassung mit weit stärkerem föderalem Charakter. Sie soll die ethnischen Konflikte entschärfen, um die eigentliche Politik mehr in den Vordergrund zu rücken und gleichzeitig das zentral organisierte "Abräumen" einer politischen Elite eindämmen.
    Gladwell Otieno vom "Africa Center for Open Governance" glaubt, dass die neue Verfassung Anlass zu Hoffnung gibt.
    "Sie hat viel Potential, aber es wird ein langer Kampf sein um die neue Verfassung richtig zu implementieren. Weil die führenden Politiker dagegen sind."