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Keramische Räume
Spektakel für die Sinne

Töpfern ist eine der ältesten Techniken der Kulturgeschichte - eingesetzt in der Architektur oder für Gebrauchsgegenstände. Im Leverkusener Museum Morsbroich gibt es jetzt eine Ausstellung zeitgenössischer Kunst aus Ton. Ein mutiger Ansatz, denn schließlich wurde der Werkstoff in der bildenden Kunst lange missachtet.

Von Georg Imdahl | 30.05.2014
    Eine Mitarbeiterin geht am 21.05.2014 im Schloss Morsbroich in Leverkusen (Nordrhein-Westfalen) an der Keramikarbeit "Family" aus dem Jahr 1998 von Thomas Schütte vorbei. Das Museum Schloss Morsbroich zeigt vom 25.05.2014 bis zum 31.08.2014 in der Ausstellung "Keramische Räume" Arbeiten der Künstler Fontana, Prangenberg, Schütte, Trockel und Karstieß.
    Das Museum Schloss Morsbroich zeigt vom 25.05.2014 bis zum 31.08.2014 in der Ausstellung "Keramische Räume" Arbeiten der Künstler Fontana, Prangenberg, Schütte, Trockel und Karstieß. (picture / alliance / Federico Gambarini)
    Diese Ausstellung ist ein Spektakel für die Sinne. Man spürt förmlich, wie die Künstler ins Material gegriffen, es durchgeknetet und geformt haben. So schuf Lucio Fontana in den Fünfzigerjahren, als Reaktion auf den Zweiten Weltkrieg, pathetische Kreuzigungen, Krieger und Schlachten. Es wimmelt nur so vor bizarren Formen, in denen Relief, Skulptur und Malerei eins werden. Wie bei Rosemarie Trockel. Rohes Fleisch hat die Kölner Künstlerin abgeformt, gebrannt und dann blutrot lasiert. Nun hängt das Stück massig an der Wand, versehen mit tiefen Einschnitten, die direkt auf Fontanas berühmteste Werke anspielen. Mit dem Messer hatte der 1899 geborene Künstler einst monochrome Leinwände aufgeschlitzt, um den Bildbegriff zu erweitern.
    Neuer Barock der Gegenwartskunst
    Wohin der Blick in der Ausstellung auch fällt, er trifft auf wulstige Objekte und schrundige Oberflächen, deren farbige Lasuren schillern oder das Licht in tiefen Kratern verschlucken. Insgesamt wähnt man sich in einem neuen Barock der Gegenwartskunst.
    Allen Arbeiten gemeinsam ist der Werkstoff Ton, aus dem, in gebrannter Form, die Keramik entsteht. Töpfern ist eine der ältesten Techniken der Kulturgeschichte. Eingesetzt in der Architektur, der Kunst und für Gebrauchsgegenstände. Doch eine Ausstellung zeitgenössischer Kunst vom Material her zu entwickeln, so wie man früher zum Beispiel Werke von Stahlbildhauern zusammengeführt hat - ist das nicht ein antiquierter Ansatz? Eigentlich schon, doch beim Ton ist in diesem Fall er sinnvoll, ja mutig, denn hier wird ein Werkstoff rehabilitiert, der in der bildenden Kunst lange Zeit ganz und gar nicht angesagt war. Warum eigentlich nicht?
    "Ich kann mir eigentlich nur vorstellen, dass es viel mit den 70er Jahren mit dem Hobbybereich zu tun hat, einfach mit so einer Töpferwut sozusagen. Es hat aber auch damit zu tun, und das merkt man einfach auch jetzt immer wieder wenn Künstlerkollegen mit dem Material arbeiten, dass sie eigentlich in dieselbe Falle tappen mit dem Material, und die nenne ich ein bisschen so rheinländisch Nippesfalle. Das Problem ist einfach – so kleine, nette Arbeiten aus dem Material, die, wenn sie dann in ihrer Masse auftreten, diesen, ja, Nippes-Figuren-Charakter nicht wirklich loswerden."
    Ein Werkstoff wird rehabilitiert
    So Markus Karstieß, 1971 in Düsseldorf geboren und jüngster Bildhauer der Gruppenschau, deren Teilnehmer allesamt von Lucio Fontana inspiriert worden sind. Nippes-Charakter wird man ihren Werken sicherlich nicht unterstellen, im Gegenteil. Es dominiert das stattliche Format. Karstieß selbst zeigt architektonische Raumecken, die auf dem Fußboden stehen und deren Wände in Kupfer- und Silberglasuren schimmern. Ein Hauch von Gothic geht von diesen Winkelelementen aus, deren Flächen der Künstler mit den Fingern perforiert hat.
    Von Thomas Schütte stammen menschengroße, bauchige Gefäße, die wie gigantische Stillleben im Raum stehen. In seinen neuesten Arbeiten schuf der Düsseldorfer Künstler groteske Masken, die an ein Medusenhaupt von Lucio Fontana erinnern.
    Eine kapitale Wandarbeit von Norbert Prangenberg bringt es auf 600 Kilogramm Gewicht. Die tragende Wand musste eigens mit Stahlstützen verstärkt werden, um die farbgesättigte Bilderlast bewältigen zu können. Mit einer expressiven menschlichen "Figur" bezog sich auch der 2012 gestorbene Prangenberg explizit auf Fontana.
    Verpöntes Material wieder zurück in den Diskurs
    Der hat also im Rheinland nachhaltige Spuren hinterlassen seit seiner ersten Einzelausstellung im Museum Morsbroich im Jahr 1962. Wie der damalige Museumsdirektor Udo Kultermann vertrat auch Fontana einen kosmologischen Ansatz. Er huldigte einem Weltbild, in dem die Natur das Vorbild für Wissenschaft, Technik und Kunst liefert. Es ist vor allem diese positivistische Sicht der Welt, die heute als überholt gelten darf. Nicht aber die geschichtsträchtige Keramik. Diese hat nach wie vor Potenzial für die Kunst, wie der Bildhauer Markus Karstieß bekräftigt:
    "Man guckt bei Keramik immer so gerne zurück, weil die Kulturgeschichte eben so lange ist, und man kommt daran auch nicht vorbei. Es ist aber doch ein Material, mit dem man total nach vorne gucken kann."
    Eben dies bringt die Ausstellung auf den Punkt und führt damit ein verpöntes Material wieder zurück in den Diskurs.